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"Übergriffe von Militär und Polizei gehören zur Tagesordnung"

In den Internierungslagern für Flüchtlinge auf Malta herrschen verheerende Zustände

Ahmet Bugri ist 42 Jahre alt und kommt aus Ghana. Vor 18 Jahren kam er zur Aufnahme eines Jura-Studiums nach Malta und arbeitet dort inzwischen als Pastor und im Auftrag des Außenministeriums als Flüchtlingsberater. Bugri ist mit einer Malteserin verheiratet und hat drei Kinder. Auf einer Europatour berichtete er über die aktuelle Flüchtlingssituation auf der Mittelmeerinsel. Für das Neue Deutschland (ND) sprach Dieter Hanisch mit Bugri.



ND: Wie stellt sich die aktuelle Situation von Flüchtlingen auf Malta dar? Erst vor zwei Wochen machte eine der schlimmsten Flüchtlingstragödien im Mittelmeer Schlagzeilen, als vor Malta 70 von ihnen Tod aufgefunden wurden.

Bugri: Das stimmt. Doch diese Nachricht erschütterte in erster Linie wegen der hohen Zahl an Opfern. Leider ist es auf Malta Alltag geworden, dass täglich bis zu zehn Leichen aus dem Meer oder am Ufer geborgen werden. Die Regierung gibt keine offiziellen Zahlen bekannt, doch es leben derzeit rund 8000 Flüchtlinge auf der Insel. Dieses Jahr sind bis jetzt fast 3000 hier gelandet. Damit hat man nach acht Monaten schon die Zahl des gesamten Vorjahres erreicht.

Wie sieht der Alltag in den Camps aus?

Es sind regelrechte Internierungslager. Der eine Lagertyp ist völlig abgeschlossen und wird bewacht wie ein Gefängnis. Hier landen die Flüchtlinge zunächst und fristen meist einen 18-monatigen Aufenthalt. Bis zu 30 oder mehr Personen in einem Raum sind keine Seltenheit; Männer, Frauen und Kinder werden dort zusammengepfercht, die auch noch aus zum Teil 18 verschiedenen Nationen kommen und aus ihrer Heimat oder durch Fluchterlebnisse traumatisiert sind. Gewalttätigkeiten sind da keine Seltenheit, aber auch ein wachsender Alkohol- und Drogenkonsum sowie Suizidversuche. Denn ein ungewisses Warten ohne Freizeitmöglichkeiten, ohne Bildungs- und Sprachangebote, ohne Arbeitserlaubnis -- das zehrt extrem an den Nerven! Werden die Internierten nicht abgeschoben oder zu einer Rückkehr in die Heimat überredet, bringt man sie nach eineinhalb Jahren dann in offenen Zeltlagern unter, wo die Lebensbedingungen in Sachen Gesundheit, Hygiene und soziale Privatsphäre weiter miserabel bleiben. Alle Lager sind jedenfalls hoffnungslos überfüllt. Sie waren für Hunderte von Menschen konzipiert, beherbergen nun aber Tausende.

Warum werden die Menschenrechte mit Füßen getreten, nehmen die offiziellen staatlichen Stellen und Politiker nicht ihre moralische Verantwortung wahr?

Sie schieben diese auf die EU. Offiziell hat es noch nie eine Migrationspolitik auf Malta gegeben und somit auch keine Integrationsbemühungen. Mit dem Argument der Übervölkerung auf der kleinen Insel schiebt man das Thema beiseite. Behandelt man es doch einmal öffentlich, so wird es als Bedrohung, als Problem und als etwas Negatives dargestellt. Regierung und Opposition sind sich da weitgehend einig, dass man den Flüchtlingen den Aufenthalt so unattraktiv wie möglich macht.

Wie treten Polizei und Militär dabei in Erscheinung?

Sie zeigen sich von ihrer harten Seite. Es ist ihre Aufgabe, Flüchtlinge von der Insel fernzuhalten. Übergriffe in den Lagern, aber auch in der Öffentlichkeit gehören zur Tagesordnung. Kürzlich erst wurde ein Sudanese in einer Bar von Beamten brutal misshandelt. Das ist kein Einzelfall. Bis heute ist mir kein Fall bekannt, dass so etwas bestraft wurde.

Es gibt also einen sichtbaren Rassismus?

Ja. Die Politik gibt die Linie vor, erschwert aktuell gar gesetzlich die Möglichkeit bei Geburten, die Staatsbürgerschaft zu erlangen oder binationale Ehen mit Nicht-EU-Partnern einzugehen. Daher wird auch in der Bevölkerung für eine Grundstimmung gegen die Flüchtlinge gesorgt. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass die Lager jeweils an Stadträndern liegen. Die Flüchtlinge werden total abgeschottet. Es ist nicht gewollt, dass die Afrikaner Kontakt mit Einheimischen bekommen. Zudem werden Vorurteile von Seuchen und Krankheiten gestreut, um die Isolierung zu rechtfertigen.

Und die Rolle der Medien ...?

Regelmäßig kann man Berichte lesen, wie viele Bootsflüchtlinge wieder vor Malta gestrandet sind. Über Abschiebungszahlen gibt es keine Informationen. So entsteht natürlich ein einseitiger, falscher Eindruck. Dadurch beteiligen sich die meisten Journalisten -- wenige Ausnahmen bilden da einige unabhängige Zeitungen -- gewollt oder ungewollt am Zustandekommen eines fremdenfeindlichen Bildes. Ferner wird immer nur über afrikanische Flüchtlinge berichtet, dabei kommt eine große Zahl auch aus osteuropäischen Staaten wie der Ukraine. Wir sollten doch so ehrlich sein zu sagen, dass die hiesige Wirtschaft auch von Immigranten profitiert, wie sich bei Tagelöhnert ätigkeiten etwa im Hotelgewerbe, auf dem Bau oder in der Straßenreinigung zeigt. Das wird aber verschwiegen.

Was ist also zu tun?

Von innen heraus tut sich nichts. Der Druck muss von Nichtregierungsorganisationen aus den EU-Staaten kommen. Die müssen das Thema immer wieder ansprechen, um die EU-Verantwortlichen zum Handeln zu zwingen. Es hilft dabei nicht, Malta einfach Geld zur Bewältigung der Flüchtlingsprobleme zu geben. Man muss der Regierung in Valletta auch regelmäßig auf die Finger gucken, unabhängige Beobachter in die Camps schicken. Sonst wird sich nichts ändern, wie wir in den vergangenen Jahren gesehen haben.

Wie positioniert sich die einflussreiche christliche Kirche auf Malta?

Nun, ihr Wort hat Gewicht, doch die katholischen Kirchenoberen mischen sich nur ungern in die Politik ein, wollen ihr Verhältnis zur Regierung nicht trüben. Andere christliche Strömungen wie zum Beispiel die Jesuiten engagieren sich enorm für die Flüchtlinge, sind oft deren einzige Anlaufstellen. Nächstenliebe vor Ort wird in erster Linie von ihnen praktiziert. Sie nehmen sich schnell und unbürokratisch der Sorgen an und versuchen sich an einem gesellschaftlichen Sinneswandel hin zu mehr Menschlichkeit.

* Aus: Neues Deutschland, 16. September 2008


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