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Starker Mann Frankreichs

Ibrahim Boubacar Keïta soll als neuer Präsident Mali stabilisieren. Gegenkandidat hat bereits gratuliert. Paris stärkt seinen Einfluß

Von Christian Selz *

Nach zwei erfolglosen Versuchen hat Ibrahim Boubacar Keïta sein Ziel im dritten Anlauf erreicht. Der 68jährige Politveteran wird neuer Präsident Malis. Dazu gratulierte ihm sein Herausforderer bei der Stichwahl vom Sonntag, Soumaïla Cissé, bereits vor der für heute erwarteten offiziellen Bekanntgabe der Wahlergebnisse. »Ich bin zu ihm gegangen, um ihm zu gratulieren und ihm viel Glück zu wünschen«, sagte Cissé dem französischen Auslandshörfunk RFI. Die guten Wünsche kann IBK, wie ihn die Malier nach seinen Initialen kurz nennen, gut gebrauchen. Der neue Präsident übernimmt ein heikles politisches Erbe. Nach einem katastrophalen Jahr mit dem Putsch der Armee gegen Expräsident Amadou Touré im März 2012, dem anschließenden Aufstand von Tuareg-Rebellen und Islamisten sowie der Intervention Frankreichs im Januar dieses Jahres, soll Keïta das westafrikanische Land wieder stabilisieren.

Allen alles recht machen

Auf sein Erfolgsrezept aus dem Wahlkampf wird er bei der Bewältigung seiner zweifelsohne schwierigen Aufgaben dabei nur bedingt bauen können. Um an die Macht zu kommen, fuhr der Politaltmeister einen Kurs, der vor allem eines versprach: allen alles recht zu machen. Keïta kritisierte – wie von der Afrikanischen Union erwartet – den Putsch des Armee, stellte sich mit dem Anführer, Amadou Sanogo, aber so gut, daß die Armee letztlich auf seiner Seite stand. Er umgarnte die vor allem auf dem Lande dominanten islamischen Gruppen mit Koran-Versen in seinen Wahlkampfreden, gilt aber eigentlich als weltlicher Kandidat, der seine Wählerhochburg in der Hauptstadt Bamako hat. Mit dem Motto »Für Malis Ehre« nahm Keïta einerseits die Malier mit, die Frankreichs militärisches Eingreifen als Verletzung der staatlichen Integrität sahen, warb ansonsten aber mit seinen guten Kontakten zu europäischen Geldgebern – allen voran Frankreich. Im Land der einstigen Kolonialmacht, die auch an der jüngsten Niederschlagung des Aufstands von Tuareg-Rebellen und Islamisten im Landesnorden entscheidenden Anteil hatte, verbrachte Keïta 26 Jahre seines Lebens. Der Präsident, der in Frankreich auch studiert hat, später Dozent an der Sorbonne war und im Wahlkampf immer wieder auf sein Vorbild Charles de Gaulle zurückkam, ist ein offenkundiger Kandidat Paris’. Sein Widersacher in der Stichwahl, Cissé, wäre das allerdings ebenso gewesen. Beide entspringen der im ersten Wahlgang drittplatzierten sozialdemokratischen Allianz für Demokratie in Mali (ADEMA), beide spalteten sich ab, um ihre eigenen Präsidialambitionen zu verfolgen, und beide zählen seit Jahrzehnten zum frankreichtreuen politischen Establishment des Landes.

Ändern wird sich also wenig in Mali, der Einfluß der Pariser Politik dürfte sogar gestärkt sein. Keïta, auf dem Papier immerhin »Sozialist«, hat bereits in seiner Zeit als Premierminister von 1994 bis 2000 den neoliberalen Umbau der Wirtschaft des vor allem von Landwirtschaft und Bergbau abhängenden Landes vorangetrieben. Französische Konzerne interessieren sich insbesondere für die Uranvorkommen des Landes, daneben ist Mali auch drittgrößter Goldproduzent Afrikas.

Soziale Mißstände

Den Rohstofförderern dürfte nicht ungelegen kommen, daß Keïta die Macht der Gewerkschaften schon vor anderthalb Jahrzehnten entscheidend eindampfte. Auch das machte ihn wählbar. Seine jetzige Popularität im Volk zieht er dagegen vor allem aus seinem ruhigen Erscheinungsbild und dem Image als starker Mann. Gegenüber dem technokratisch angehauchten Cissé galt Keïta als alles versöhnender Landesgroßvater. Viele Malier, das drückt die Wahl aus, wünschen sich nach den Tumulten des vergangenen Jahres vor allem Frieden, Stabilität und Verläßlichkeit. »Kankeletigui«, haben ihn seine Anhänger getauft, in der Regionalsprache Bambara ist das »ein Mann, der zu seinem Wort steht«.

Allein mit starken Reden dürfte Keïta allerdings nicht weit kommen. Der Krieg im Norden des Landes, der immer noch nicht endgültig befriedet ist, stellt dabei nur das vordergründige Problem dar und ist Ausdruck der tiefen sozialen Mißstände im Land. Den Anteil der Bevölkerung, der unter der Armutsgrenze lebt, beziffern verschiedene Schätzungen zwischen einem Drittel und der Hälfte. Aktuelle Zahlen gibt es kaum. Die Korruption im Staatsapparat ist tief verwurzelt. Sie zu bekämpfen, dürfte für den Versöhnungskandidaten Keïta, der nach seiner Wahl viele Loyalisten zu bedienen hat, zur nahezu unüberwindbaren Hürde werden. Bringt er dem Land allerdings keinen wirtschaftlichen Aufschwung und den Menschen keine spürbare Verbesserung ihrer Lebenssituation, dürfte auch das väterliche Image des heute noch umjubelten Hoffnungsträgers sehr bald verblassen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 14. August 2013


Tatkräftig **

Aller guten Dinge sind drei. Zumindest gilt das für Ibrahim Boubacar Keita und sein Bestreben, Präsident in Mali zu werden. Nachdem er 2002 und 2007 jeweils gegen Amadou Toumani Touré gescheitert war, hat er es nun im stolzen Alter von 68 Jahren geschafft: Sieg in der Stichwahl gegen Soumaila Cissé.

Ein malischer Mandela, der das von Bürgerkrieg und Sezessionsbestrebungen im Norden sowie weit verbreiteter Armut im Süden geplagte Land mit sich selbst versöhnen könnte, ist er von Haus aus nicht. Aber wer ist das schon? Keita, von seinen Anhängern nur IBK genannt, ist sich allerdings durchaus bewusst, dass er vor einer schwierigen Aufgabe steht: »Mali ist kein leichtes Land.« Was ihm bei dieser Mammutaufgabe helfen könnte, ist die ihm zugesprochene Tatkraft und seine bereits gesammelte Regierungserfahrung. Unter dem Vorgänger Tourés, dem von 1992 bis 2002 amtierenden Alpha Oumar Konaré, arbeitete IBK ab Februar 1993 als Außenminister und wurde ein Jahr darauf sogar Premierminister. In dieser Zeit erwarb er sich den Ruf eines Mannes der harten Hand, als er Streiks mit der Parole »Nein zum Chaos« niederschlagen ließ. Dabei versteht sich Keita als Sozialdemokrat und brachte es als Vorsitzender der damaligen Regierungspartei Adéma 1999 bis zum Vizepräsidenten der Sozialistischen Internationale.

Eigentlich sollte Keita in Konarés Fußstapfen treten. Doch da ein Teil der Adéma dagegen aufbegehrte, machte Keita auf eigene Rechnung weiter und gründete 2001 seine politische Organisation, die Sammlungsbewegung für Mali (RPM), die zu einer starken Kraft im Parlament wurde und ihn nun bis ins Präsidentenamt trug. Gut ein Jahr nach dem Militärputsch gegen Touré, den Keita, der an der Pariser Sorbonne Geschichte und Politik studierte, als einziger der Präsidentschaftskandidaten eindeutig verteidigte: »Ich bin stolz darauf, dass die Armee mich unterstützt.« »Wie kann jemand ein guter Präsident sein, wenn er nicht das Vertrauen der Streitkräfte hat?« Dass er ein guter Präsident ist, muss er freilich erst noch beweisen.

Martin Ling

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 14. August 2013


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