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Paris startet Bodenoffensive

Heftige Kämpfe und tote Zivilisten in Mali

Von Martin Ling *

Der Präsident von Côte d'Ivoire, Alassane Ouattara, warb gestern in Berlin um eine breite europäische Unterstützung für die Militärintervention in Mali durch die westafrikanische ECOWAS. Frankreich hat derweil seine Bodenoffensive gestartet.

Alassane Ouattara ging nicht mit leeren Händen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dem Präsidenten von Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste) bei seiner Stippvisite in Berlin gestern Unterstützung zugesagt, die Ouattara in seiner Eigenschaft als derzeitiger Vorsitzender der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS zupass kommt: Deutschland wird nach den Worten Merkels »sehr kurzfristig« zwei Bundeswehr-Transportflugzeuge für den internationalen Militäreinsatz in Mali zur Verfügung stellen.

Ouattara ist damit seinem in Berlin verkündeten Ziel einen Schritt näher gekommen: »Wir hoffen, dass diese Operation von allen Europäern mitgetragen wird.« Ob und vor allem wie von allen, ist zwar noch nicht ausgemacht, an Deutschlands Unterstützung besteht derweil kein Zweifel: Anfang nächster Woche will die Bundesregierung über mögliche weitere Hilfe sprechen. Frankreich habe um breit gefächerte Unterstützung gebeten, darunter den Transport von ECOWAS-Truppen nach Mali, stellte Kanzlerin Angela Merkel klar.

Ouattara hofft, dass es im Juni oder Juli Wahlen in dem westafrikanischen Land geben wird, damit eine demokratisch legitimierte Regierung für Ordnung sorgen könne.

Die militärischen Vorbereitungen der ECOWAS laufen derweil weiter. »Wir sind hier, um unsere Unterstützung der Streitkräfte Malis bei der Befreiung des Nordens zu erneuern«, sagte der Kommandeur der Einsatztruppen der ECOWAS, General Soumaila Bakayoko, der wie Ouattara aus Côte d'Ivoire stammt, am Dienstag in Bamako nach einem Treffen der Militärs. Neue Truppenverbände werden nach seinen Worten in Kürze in Mali eintreffen. Unterdessen hat Frankreich seine Bodenoffensive gegen die Islamisten im Norden Malis gestartet und stellt sich auf einen langen Kampf ein. In der von Islamisten kontrollierten Stadt Diabali lieferten sich französische Spezialtruppen am Mittwoch schwere Gefechte mit den Aufständischen, wie aus Sicherheitskreisen verlautete. Frankreichs Alliierter, die malische Armee, steht im Verdacht schwerer Menschenrechtsverletzungen. Malische Soldaten hätten in Mopti mehrere mutmaßliche Islamisten festgenommen und erschossen, berichtete die französische Zeitung »Le Monde« (Online-Ausgabe) unter Berufung auf Augenzeugen am Mittwoch. »Sie machen regelrecht Jagd«, sagte ein namentlich nicht genannter Bewohner von Mopti, das nahe der Demarkationslinie zwischen Süd und Nord liegt.

Bei den Angriffen sollen, so berichten mehrere Hilfsorganisationen übereinstimmend, jetzt auch die ersten Zivilisten ums Leben gekommen sein. Bisher geht man von mindestens elf Toten aus.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 17. Januar 2013

Lexikon: ECOWAS

Sie ist ein Zusammenschluss unterhalb der Ebene der 2002 gegründeten Afrikanischen Union (AU): Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) die bereits 1975 gegründet wurde. Während der AU alle afrikanischen Staaten außer Marokko (Streitfall besetzte Westsahara) angehören, umfasst die ECOWAS 15 Staaten Westafrikas - vom 150-Millionen-Einwohnerstaat Nigeria bis zum Inselstaat Kap Verden mit einer guten halben Million Einwohner.

Gegründet wurde die ECOWAS in Nigerias Wirtschaftsmetropole Lagos. 1993 wurden in der Hauptstadt Benins, Cotonou, der Vertrag von Lagos überarbeitet und die ECOWAS auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt. Hauptsächliches Ziel des Zusammenschlusses ist der Ausbau der wirtschaftlichen Integration dieser Länder, doch auch die politische Integration wird vorangetrieben.

Sicherheitspolitisch wird die ECOWAS immer wieder aktiv, so bei der Intervention ihrer Mission ECOMOG in Liberia während des Bürgerkrieges Anfang der 90er Jahre. In Mali sollen nun 3300 Soldaten Frankreich bei der Rückeroberung Nordmalis unterstützen. ML




Flächenbrand in Afrika

Französische Intervention in Mali: Krieg greift auf Algerien über. Ouattara in Berlin. Bundeswehr vor zwölftem Auslandseinsatz

Von André Scheer **


Nach Beginn der französischen Militärintervention in Mali greift der dortige Krieg offenbar auf die Nachbarländer über. In Algerien überfiel ein Kommando mutmaßlicher Islamisten am Mittwoch einen Standort des Ölkonzerns BP in der Region von Tiguentourine im Zentrum des Landes, auf halber Strecke zwischen Libyen und Mali. Dabei wurden der algerischen Nachrichtenagentur APS zufolge ein Franzose getötet und sieben weitere Menschen verletzt. Mehrere Angestellte des Ölkonzerns wurden verschleppt. Einer der Angreifer erklärte in einem Anruf bei der französischen Agentur AFP, seine Gruppe komme aus Mali.

Algerien hatte sich lange einer ausländischen Militärintervention in Mali widersetzt. Inzwischen hat die Regierung in Algier der französischen Luftwaffe jedoch uneingeschränkte Überflugrechte eingeräumt. Die französische Tageszeitung L’Humanité vermutet, daß dieser »Blankoscheck« Mitte Dezember beim Besuch von Staatschef François Hollande in Algier ausgehandelt wurde.

Obwohl in Frankreich Umfragen zufolge eine Mehrheit der Bürger die Intervention unterstützt, wächst die Kritik. Die Französische KP bemängelte, daß die Entscheidung zum Krieg ohne Einbeziehung des Parlaments getroffen worden sei. Die Militärintervention beseitige nicht die Notwendigkeit einer politischen Lösung und eines Dialogs mit den Rebellengruppen. Zudem kritisierte die der Partei nahestehende L’Humanité die Informationspolitik der Regierung. Nach Mali entsandte Korrespondenten würden in Bamako festgehalten, die französische Armee lasse lediglich die Verbreitung »trivialer Bilder« zu. Einen Eindruck von der realen Lage im Kampfgebiet könnten sich die Journalisten deshalb nicht machen. Im Interview mit dem Blatt wies der Wissenschaftler Pierre Boilley vom Zentrum für Studien der afrikanischen Welten auf die Mitverantwortung der einstigen Kolonialmacht hin. So habe Paris den Süden des damaligen Französisch-Sudan bis zur Unabhängigkeit 1960 »sehr direkt« beherrscht. Der Norden sei hingegen als »wenig nützlich« betrachtet und deshalb nicht entwickelt worden.

Die französische Militärintervention wird von Deutschland aktiv unterstützt. Die Bundesregierung kündigte am Mittwoch an, zwei Transall-Flugzeuge zur Verfügung zu stellen, mit denen vor allem Soldaten der mit Frankreich verbündeten afrikanischen Staaten ins Land gebracht werden sollen. Die ersten 190 Kämpfer aus Nigeria sollten noch am Mittwoch in Mali eintreffen.

Um die Heimatfront kümmerte sich erstmal Bundespräsident Joachim Gauck. Er besuchte am Mittwoch das Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Geltow bei Potsdam, um sich, wie es hieß, einen Überblick über die nicht weniger als elf derzeit laufenden Auslandseinsätze deutscher Soldaten zu verschaffen, die unter anderem in Afghanistan, der Türkei, im Sudan, Südsudan, Kongo und am Horn von Afrika stationiert sind.

Zeitgleich empfing Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin den ivorischen Staatschef Alassane Ouattara, der Anfang 2011 selbst durch eine französische Militärintervention in Côte d’Ivorie (Elfenbeinküste) an die Macht gebracht worden war. Dabei schloß sie eine Ausweitung der deutschen Beteiligung am Krieg in Nordafrika nicht aus, . Sie werden am kommenden Montag mit Hollande besprechen, »ob es weitere Erwartungen gibt«. Der »Terrorismus« im Norden Malis sei »nicht nur eine Bedrohung für Afrika, sondern auch für Europa«. Es herrsche »hoher Zeitdruck«.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 17. Januar 2013


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