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Das falsche Spiel der NATO und der Schacher um die Abgeordneten

Bundestag entscheidet gegen die Mehrheit der Bevölkerung - Friedensbewegung erzielt Wirkung

Bewahrheiten sich so schnell die Befürchtungen und Warnungen der Friedensbewegung? Ist das Einsammeln von Waffen doch riskanter als uns die NATO bisher weiszumachen versuchte? Oder ist der Tod eines britischen Soldaten, wenige Stunden vor Beginn der eigentlichen Operation "Essential Harvest" (Wesentliche Ernte), nur ein "tragischer Zwischenfall" (Tony Blair), der keinerlei Bedeutung für den weiteren Einsatz der NATO habe? Fest zu stehen scheint, dass der 20-jährige britische Pionier Ian Collins in der Nacht zum 27. August tödlich verletzt wurde, als Jugendliche auf einer Straße südlich von Skopje ein Betonstück auf sein Militärfahrzeug geworfen hatten. NATO-Generalsekretär George Robertson verurteilte den Anschlag scharf, betonte aber, am Einsatz des Bündnisses werde sich nichts ändern. Warum auch? Aus Nato-Kreisen verlautete, dass man den Zwischenfall nicht als politisch motiviert einschätze. Es handele sich vielmehr um eine Hand voll Jugendlicher, die die Nato "nicht sonderlich leiden" könnten. "Es waren keine Waffen im Spiel. Der Soldat ist tot, weil ihn ein Stein am Kopf traf", sagte ein Nato-Mitarbeiter nach SPIEGEL ONLINE (27.08.2001). So etwas kann also immer und überall passieren.

Das falsche Spiel der NATO

Es scheint, als lüge sich die NATO von Anfang an etwas in die Tasche. Die Stimmung in der makedonischen Bevölkerung ist alles andere als NATO-freundlich und Gründe für diese Haltung gibt es zuhauf. Gut in Erinnerung ist z.B. noch, dass die makedonische Regierung und Öffentlichkeit während des NATO-Kriegs 1999 nur unzureichend und zu spät über die Militäraktionen der NATO informiert worden war, obwohl die NATO ihre Operationen teilweise von makedonischem Territorium aus durchführte. Oder was soll die makedonische Bevölkerung davon halten, dass es die NATO bzw. KFOR zugelassen hat, dass im benachbarten Protektorat Kosovo ein ethnisch "sauberer" Albanerstaat errichtet wurde? Und schließlich ist es erst wenige Wochen her, dass das amerikanische Militär einige Hundert albanische UCK-Kämpfer mitsamt ihren Waffen und Ausrüstungen aus der Ortschaft Aracinovo nahe der mazedonischen Hauptstadt Skopje evakuierte. Es geht also keineswegs darum, dass es in Makedonien einige irregeleitete Jugendliche gibt, die die NATO "nicht sonderlich leiden" können, sondern darum, dass ein großer Teil der Bevölkerung äußerst misstrauisch ist, was die NATO und insbesondere die USA mit ihrem Staat denn nun im Schilde führen.

Dass die NATO von Anfang an mit falschen Karten spielte, davon ist auch die Süddeutsche Zeitung überzeugt. In einem Leitartikel von Stefan Kornelius heißt es: "Die Nato muss aber heucheln, um überhaupt nach Mazedonien einrücken zu können. Die starke Allianz muss sich ein schwaches Mandat geben, um gleich drei Seiten zufrieden zu stellen: die mazedonische Regierung, die albanischen Rebellen, und die Regierungen und Parlamente der Mitglieder. Keine dieser drei Gruppen hätte dem Bündnis den Einsatz gestattet, wäre das Mandat ehrlich formuliert worden." (S, 28.08.2001)

Bonner Friedensforschungsinstitut für "vollständige Entwaffnung" der UCK

Jedenfalls dürfte es mit einer 30 Tage dauernden "Ernte" nicht getan sein. Das renommierte Bonner Friedensforschungsinstitut BICC (Bonner Internationales Konversions-Zentrum) kommt in einer Analyse zum Ergebnis, dass für die Befriedung der Region nur eine umfassende "Paketlösung" in Frage kommt. In ihr müssten neben der "vollständigen Entwaffnung" und Demobilisierung der UCK auch effektive Grenzkontrollen sowie ernsthafte Sanktionsdrohungen und die Strafverfolgung von einzelnen UCK-Terroristen enthalten sein. "Die Mission ist nur überzeugend, wenn sie durch Polizei und Geheimdienste der Nato-Mitglieder unterstützt wird. Es muss ein umfassendes Programm für Waffeneinsammlung geben, das illegale Waffenlager systematisch aushebt und UCK-Mitglieder notfalls auch mit Androhung und Einsatz von Gewalt entwaffnet", heißt es in einem Brief, der allen Bundestagsabgeordneten zugestellt wurde. Auch gegen das international operierende Unterstützernetzwerk der UCK in Mazedonien müsse koordiniert vorgegangen werden. Das BICC erinnert an das Schicksal der OSZE-Verifikationsmission für das Kosovo vom Herbst 1998 und warnt davor, dass sich die UCK oder Teile von ihr "unter dem Schutzschirm der internationalen Gemeinschaft umgruppieren" und den Kampf um ein Protektorat als Zwischenlösung auf dem Weg zur Abspaltung von Mazedonien weiterführen würde.

Das Waffeneinsammeln verlief an den beiden ersten Tagen so reibungslos, dass die BICC-Warnung und all unsere Befürchtungen übertrieben erscheinen müssen. "Wir haben damit begonnen, uns zu entwaffnen", sagte am 27. August der Kommandeur der UCK, Shpati, in der Region Kumanovo, in der die NATO erste Sammelstellen eingerichtet hat. Und der britische Major Alexander Dick freute sich sichtlich über den ersten Tag. "Wir haben mehr Waffen eingesammelt als wir geplant hatten." Doch vielleicht war die Inszenierung der Waffenübergabe zu perfekt, um eine Gewähr für die Zukunft zu sein. Das Einvernehmen zwischen UCK und NATO, das dabei zu Tage trat, war denn doch verräterisch. Gern scheinen die UCK-Kämpfer 3.300 ihrer Waffen abzugeben - haben sie doch dann immer noch ein Vielfaches davon in den Arsenalen. Das weiß die NATO, das weiß inzwischen alle Welt. Aber die makedonische Regierung steht unter Zugzwang, nun ihren Teil der Abmachung in drei Etappen einzulösen, d.h. all jene verfassungsrechtlichen und gesetzgeberischen Änderungen vorzunehmen, die der albanischen Minderheit wesentlich mehr Rechte einräumen als in der Vergangenheit. Kommt die Regierung ihrer Verpflichtung nicht nach, hat sie den schwarzen Peter und mutiert bald zum Gegner der NATO. Hält sie sich an den Plan, steht sie am Ende einer offiziell entwaffneten, in Wahrheit aber nach wie vor hoch gerüsteten UCK-Armee gegenüber und das Spiel kann wieder von vorne beginnen. Die NATO-Mission nützt also so oder so der UCK und - langfristig - den großalbanischen Blütenträumen.

Abgeordnetenschacher oder: Wie viel kostet ein Gewissen?

Dass die Bundesregierung für eine Beteiligung an der NATO-Waffen-Ernte schließlich auf eine satte Mehrheit im Bundestag rechnen konnte, war den Beobachtern der politischen Szene in Berlin schon länger klar. Dass aber so offensichtlich um die Stimmen der Abgeordneten gefeilscht werden würde, das wollte man doch nicht so gern wahrhaben. Ungläubiges Kopfschütteln nicht nur bei den Journalisten am 28. August, als die Fraktionsspitze der CDU/CSU bekanntgab, dass sie ihren Abgeordneten nun doch empfehlen würde, dem Bundeswehreinsatz zuzustimmen. Ausschlaggebend für die Entscheidung der Unionsfraktionen sei gewesen, dass die Bundesregierung zugesichert habe, die Mittel für den Einsatz von 500 deutschen Soldaten von 120 auf 148 Millionen Mark zu erhöhen. Außerdem habe sie zugesagt, mit der Nachrüstung der eingesetzten "Marder"-Panzer für einen besseren Minenschutz nicht erst 2003, sondern sofort zu beginnen.

Den Deal zwischen Kanzler und Opposition könnte man sarkastisch damit kommentieren, dass die CDU/CSU bereit ist für 28 Millionen DM in den Krieg zu ziehen und dass die Regierung "ihre" Opposition für so käuflich hält, dass sie ihr dieses schäbige Angebot überhaupt unterbreitet hat. Vielleicht handelt es sich auch nur um einen verspäteten Irrläufer der Debatte um das abgeschaffte Rabattgesetz, wonach nun Feilschen wieder erlaubt ist. Realpolitisch ist der Umfaller der Union allerdings nur konsequent, denn sie steht inhaltlich von Anbeginn für ein militärisches Engagement in Makedonien und anderswo. So gesehen mussten viele Abgeordnete aus CDU und CSU bei der Zustimmung zum Bundeswehreinsatz aus ihrem Herzen keine Mördergrube machen. Sie lassen die Soldaten reinen Gewissens nach Makedonien marschieren.

"Ich werde bei meiner ablehnenden Haltung bleiben"

Nicht so einfach ist es für viele Abgeordnete aus den Koalitionsfraktionen. Würden sie auf ihr Gewissen hören - ich bin mir sicher: Sie müssten sich gegen die Entsendung der Bundeswehr aussprechen. In Wahrheit sind am Ende aber doch nur wenige übrig geblieben, die dem Druck der Fraktion, der geballten Macht sozialdemokratischer Disziplin und einer falsch verstandenen Solidarität mit "ihrer" Regierung Stand gehalten und mit Nein gestimmt haben. Dazu gehörte - um nur ein Beispiel herauszugreifen - Sigrid Skarpelis-Sperk, die am Vorabend der Bundestagsabstimmung in einem E-mail an die vielen Absender von Briefen aus der Friedensbewegung mitteilte: "Für Ihr unterstützendes Email zur Mazedonien-Abstimmung darf ich mich bedanken. Ich werde bei meiner ablehnenden Haltung bleiben. Ich erbitte Ihr Verständnis für dieses Serienmail. Mit solidarischen Grüßen Ihre Sigrid Skarpelis-Sperk MdB."

Ich bin mir auch sicher, dass die Aktivitäten der Friedensbewegung ihre Wirkung auf die Abgeordneten nicht ganz verfehlt haben. Gewiss: Einige von denen, die noch Anfang Juli ein klares Nein formulierten, sind eingeknickt. Andere aber sind neu hinzu gestoßen. Die PDS-Fraktion hat ihre Oppositionsrolle ohne zu wanken durchgehalten. Und es hat einen regen Kontakt zwischen Friedensbewegung und Wahlkreisabgeordneten bzw. deren Büros gegeben - wenngleich er manchmal auch etwas einseitig blieb, weil sich so mancher Abgeordneter urlaubs- oder "gewissens"bedingt nicht hat blicken lassen. Keiner allerdings wäre auf die Idee des Verteidigungsministers gekommen, seine Dienstpflichten kurzerhand mit einer demonstrativen Badekur zu vertauschen. Erinnert das doch zu sehr an den obszönen Spruch von Generalfeldmarschall Hindenburg: "Der Krieg bekommt mir wie eine Badekur."

Wichtig sind nach wie vor die Aktivitäten der Friedensbewegung im öffentlichen Raum. Die Mahnwachen und kleinen Kundgebungen, die am 27. und 28. August fast überall im Land stattgefunden haben, sind vor Ort sehr wohl registriert und von vielen Passanten beifällig aufgenommen worden. Die Friedensbewegung kann sich sogar einer - allerdings zur Zeit nicht "mobilisierbaren" - Mehrheit in der Bevölkerung sicher sein, die den Bundeswehreinsatz in Makedonien ablehnt. Darauf lässt sich aufbauen.

Peter Strutynski

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