Litauen: Konservative drängen an die Macht
Wahldebakel für Sozialdemokraten
Von Berndt Frisch *
Elf Ministerpräsidenten amtierten in Litauen, seit sich das Land 1991 von der Sowjetunion löste. Wer
der zwölfte sein wird, ist nach der ersten Runde der Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag (12. Oktober) noch offen.
Lange vor den Wahlen hatte sich abgezeichnet, dass die regierenden Sozialdemokraten unter
Ministerpräsident Gediminas Kirkilas ihre politische Macht verlieren würden. Doch mit einem solchen
Debakel hatten weder Kirkilas noch seine Koalitionspartner – die sozialliberale Neue Union und die
Bauernpartei – gerechnet. Die Sozialdemokraten wurden nach der Auszählung der Listenstimmen,
die über die Vergabe von 70 der 141 Seimasmandate entscheiden, mit 11,74 Prozent nur
viertstärkste Partei. Ihre Koalitionspartner verfehlten mit 3,8 und 3,73 Prozent sogar den
Wiedereinzug ins Parlament, den Seimas. Für den ehemaligen Parlamentspräsidenten Arturas
Paulauskas und die frühere Regierungschefin Kazimiera Prunskiene bedeutet dies zumindest ein
vorläufiges Ende der politischen Karriere.
Wahlsieger wurde die konservative Heimatunion, die ein Bündnis mit der Christlich-Demokratischen
Partei eingegangen war und 19,58 Prozent der Stimmen erhielt. Überdies liegen Kandidaten der
Heimatunion in 25 der 71 Direktwahlkreise vorn, in denen am 26. Oktober durch Stichwahlen
zwischen den beiden Erstplatzierten über die Mandatsvergabe entschieden wird. Parteichef Andrius
Kubilius, 1999/2000 schon einmal Regierungschef, hat bereits den Anspruch der Heimatunion auf
das Amt des Seimaspräsidenten angemeldet. Überdies sieht er »gute Chancen«, eine Koalition
zustande zu bringen. Dies dürfte angesichts der unscharfen Konturen des neuen Parlaments jedoch
schwierig werden.
Zweitstärkste Kraft der ersten Runde wurde mit 15,13 Prozent nämlich überraschend die Partei der
Wiedergeburt des Volkes, eine Neugründung des Fernsehstars Arunas Valinskas, die von vielen
Litauern als »Spaßpartei« angesehen wird. Einer ihrer Wahlslogans: »Das Schiff sinkt, aber mit uns
gibt's dabei mehr Spaß.«
Platz 3 mit 12,73 Prozent eroberte die Partei Ordnung und Gerechtigkeit unter dem 2004 seines
Amtes als Staatspräsident enthobenen Rolandas Paksas. Die Heimatunion, aus deren Reihen
Paksas einst kam, schließt jedoch jedes Bündnis mit dessen Partei aus. Während die Konservativen
im Wahlkampf die »russische Gefahr« an die Wand malten, setzte sich Paksas für freundschaftliche
Beziehungen zum Nachbarn ein.
Die große Gewinnerin der Wahlen 2004, die Arbeitspartei des russischstämmigen Unternehmers
Viktor Uspaskich, kam diesmal nur auf 9,03 Prozent der Stimmen. Die Fünfprozenthürde
übersprangen außerdem die Unabhängigen Liberalen und die Liberale Zentrumsunion.
Parallel zu den Wahlen durften die Litauer über die Zukunft des Atomkraftwerks Ignalina abstimmen,
das laut Forderung der EU bis 2009 abgeschaltet werden soll. Da weniger als 50 Prozent der
Berechtigten an der Abstimmung teilnahmen, wurde das Votum für ungültig erklärt, obwohl sich eine
klare Mehrheit für die Verlängerung der Laufzeit ausgesprochen hatte, denn das Werk deckt 70
Prozent des litauischen Strombedarfs. Die Zeitung »Lietuvos rytas« prophezeite: »Wir werden die
erste Regierung haben, die ein Land ohne Atomkraftwerk und dafür in vollständiger Abhängigkeit
von russischem Öl und Gas leitet... Auch wird die neue Regierung bereits in ihren ersten Amtstagen
mit einer stagnierenden Wirtschaft und einem steigenden Haushaltsdefizit konfrontiert, während die
Menschen immer unzufriedener werden. Die Rechnungen für Strom und Heizung steigen, es werden
immer mehr Kredite aufgenommen, und deren Bedingungen verschlechtern sich aufgrund der
Finanzkrise.«
* Aus: Neues Deutschland,15. Oktober 2008
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