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Dem Staat Libyen droht die Spaltung

Zwei Ministerpräsidenten beanspruchen die Macht für sich / Fragezeichen über der Wahl am 25. Juni

Von Mirco Keilberth, Tripolis *

Der abtrünnige libysche General Chalifa Haftar hat in Bengasi einen Mordanschlag überlebt. Bei dem Attentat an einem Kontrollpunkt starben am Mittwoch drei Menschen.

Die riesige Explosion und der metertiefe Krater im Asphalt deuten auf mehrere Tonnen TNT hin, die der Selbstmordattentäter Abu al-Darnawee in seinem Lastwagen vor dem Tor der Kaserne in Ghot Sultan zündete.

»Dieser Anschlag ist die Fortsetzung der Terrorwelle, mit der aus dem Ausland finanzierte Extremisten Libyen bedrohen«, sagt ein Armeesprecher in Bengasi, als er der Presse von den Toten und mehreren verletzten Wachen vor dem Tor von Chalifa Haftars Hauptquartier berichtet. Mohammed Hidschasi bestreitet, dass der pensionierte General bei dem Selbstmordanschlag verletzt wurde.

Haftar ist Kommandeur der »Operation Karama« (Würde) und hatte in den letzten Tagen mehrere Kasernen der wichtigsten Islamistenmilizen in Bengasi bombardieren lassen. In den Stadtteilen Hawari und Topolino kam es dabei auch unter der zwischen die Fronten geratenen Zivilbevölkerung zu Opfern. Die staatliche Universität hat wie viele Läden in Bengasi geschlossen. Mindestens 30 Tote und über 100 Verletzte sind die Bilanz »unseres Krieges gegen die Extremisten «, wie Haftar sein eigenständiges Vorgehen nennt. »Ansar Scharia, Rafallah Sati und die 17.-Februar- Miliz haben sich von revolutionären Kampfgruppen in Verbrecherbanden verwandelt, die den Koran als Rechtfertigung für ihren Machtanspruch missbrauchen”, bestätigen mir Einwohner in Libyens zweitgrößter Stadt. In der Nacht zu Montag versuchten Ansar-Scharia-Kämpfer mit einem Autokorso durch Westbengasi zu zeigen, dass die zweiwöchige Karama- Aktion der »Nationalarmee«, einem loses Bündnis von Armee und Städtemilizen, keine nennenswerte Erfolge erzielt hat.

Während sich in der östlichen Provinz Cyrenaika die Spirale der Gewalt weiter dreht, geht im 1000 Kilometer westlich gelegenen Tripolis das Leben scheinbar normal weiter. Doch die Polarisierung lähmt auch hier Ministerien und Geschäftsleute. Nachts kommt es sporadisch zu Auseinandersetzungen zwischen pro Haftar-Milizen aus Zintan und ihren islamistischen Rivalen, unter deren Kontrolle der Militärflughafen Mitiga steht. Neben Jordanien, den Philippinen und den USA hat nun auch Kanada seinen Bürgern die sofortige Ausreise ais Libyen empfohlen.

Eine Gruppe von Parlamentsabgeordneten und der oberste Mufti, Sadiq Ghariani, beschuldigt Haftar, einen Putschversuch gestartet zu haben. Die Fraktionen der Islamisten und aus der Stadt Misrata hatten hatte zuvor in einer umstrittenen Wahl den Hotelbesitzer Ahmed Maitiq zum neuen Übergangspremier gemacht – jedoch erst nachdem die Sitzung des Übergangsparlamentes geschlossen war und weniger als die Hälfte der Abgeordneten anwesend war. Die Ernennung von Maitiq wird von weiten Teilen der liberalen Szene abgelehnt. Die unangekündigte Vorstellung seiner Regierung in einem Hotel wirkte »wie ein ein Mafiatreffen«, lautete ein Kommentare im Netz. Da sich der ebenfalls vom Parlament im März gewählte Premier Abdullah Thinni weigerte, sein Amt an Maitiq abzugeben, besetzte dieser mit Hilfe einer Miliz den Sitz des Premierministers.

In den Augen vieler Bürger ist der politische Übergangsprozess mit dieser Politik, die einzig auf militärische Stärke setzt, gescheitert. Die Euphorie über die für den 25. Juni angesetzten Parlamentswahlen hält sich so in engen Grenzen. Eine Gruppe von 94 Abgeordneten kündigte am Mittwoch an, zusammen mit Thinnis Regierung künftig in der Stadt Beida bei Bengasi zu tagen.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 5. Juni 2014


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