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Tripolis: NATO tötete tausend Zivilisten

Libyscher Generalstaatsanwalt wirft westlicher Allianz Kriegsverbrechen und Aggression vor *

Seit Beginn der NATO-Luftangriffe gegen Libyen am 31. März sind nach amtlichen libyschen Angaben mehr als 1000 Zivilisten getötet und 4500 weitere verletzt worden.

Bei ihren Angriffen auf die Hauptstadt Tripolis sowie auf andere Städte und Dörfer des nordafrikanischen Landes habe die Militärallianz 1108 Zivilisten getötet und 4537 weitere verletzt. Das teilte Libyens Generalstaatsanwalt Mohammed Sekri Mahdschubi auf einer Pressekonferenz in Tripolis mit. Wegen dieser Opfer müsse sich NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen vor der libyschen Justiz rechtfertigen.

Der Generalstaatsanwalt verlas eine Anklageschrift, in der Rasmussen unter anderem Folgendes zur Last gelegt wird: »Kriegsverbrechen, versuchte Tötung des Revolutionsführers Muammar al-Gaddafi, absichtliche Aggression gegen unschuldige Zivilisten, Ermordung von Kindern sowie versuchter Sturz der libyschen Regierung, um sie durch ein abhängiges Regime zu ersetzen, das der NATO und den westlichen Ländern die Kontrolle über die Reichtümer des Landes zugesteht.« Mahdschubi kündigte weitere Klagen gegen die NATO vor internationalen Gerichtsinstanzen an.

Libyens Staatschef Gaddafi will die Hauptstadt Tripolis nach Angaben aus Moskau bei einem Einmarsch der Aufständischen in die Luft jagen. Das behauptete der russische Libyen-Gesandte Michail Margelow gegenüber der Zeitung »Iswestija« vom Donnerstag und berief sich dabei auf Gespräche mit dem libyschen Ministerpräsidenten Bagdadi al-Mahmudi. »Der libysche Regierungschef hat mir gesagt: Wenn die Rebellen die Stadt erobern, werden wir sie (die Stadt) mit Raketen überziehen und in die Luft jagen«, sagte Margelow in dem Interview. Er gehe davon aus, dass Gaddafi einen solchen »Selbstmordplan« habe. Margelow hatte sich Mitte Juni mit Mahmudi in Tripolis getroffen, nachdem er zuvor mit Rebellenvertretern zusammengekommen war. Mit Gaddafi selbst hat sich der Libyen-Gesandte von Russlands Präsident Dmitri Medwedjew noch nicht getroffen. Verhandlungen über eine Lösung der Krise in Libyen können nach Angaben von Margelow auch ohne Gaddafi geführt werden. Die »Hebel der Macht« hätten der Regierungschef und andere Mitglieder der Regierung in der Hand. Gespräche müssten daher mit diesem »pragmatischen Teil« der libyschen Führung geführt werden.

Bei der Abstimmung über die Libyen-Resolution, auf deren Grundlage die NATO derzeit militärisch in Libyen vorgeht, hatte sich die Vetomacht Russland Mitte März im UNO-Sicherheitsrat enthalten. Seitdem hat Moskau den Einsatz wiederholt kritisiert, zuletzt die Versorgung der Rebellen mit Waffen durch Frankreich.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Juli 2011


NATO bedeutet Tod

Von Arnold Schölzel **

NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, der Friedensnobelpreisträger und US-Präsident Barack Obama und die anderen Repräsentanten der westlichen Wertegemeinschaft können neue »Erfolge« vermelden: Die UNO bescheinigte ihnen am Donnerstag, daß der NATO-Krieg in Afghanistan (»Landesverteidigung am Hindukusch.«) soviel zivile Opfer wie noch nie seit seinem Beginn gekostet hat. Libyen klagte die NATO am Mittwoch abend an, bei ihren Bombardierungen seit dem 31. März – offiziell »zum Schutz der Zivilbevölkerung« – bisher mehr als 1100 Zivilpersonen getötet zu haben.

Generalstaatsanwalt Mohammed Sekri Mahdschubi teilte auf einer Pressekonferenz in Tripolis mit, wegen dieser Opfer müsse sich NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen vor der libyschen Justiz rechtfertigen. Bei ihren Attacken auf Tripolis sowie andere Städte und Dörfer habe die Militärallianz 1108 Zivilisten getötet und 4537 weitere verletzt.

Der Generalstaatsanwalt verlas eine Anklageschrift, in der Rasmussen unter anderem folgendes zur Last gelegt wird: »Kriegsverbrechen, versuchte Tötung des Revolutionsführers Muammar Al-Ghaddafi, absichtliche Aggression gegen unschuldige Zivilisten, Ermordung von Kindern sowie versuchter Sturz der libyschen Regierung, um sie durch ein abhängiges Regime zu ersetzen, das der NATO und den westlichen Ländern die Kontrolle über die Reichtümer des Landes zugesteht.« Mahdschubi kündigte weitere Klagen gegen die NATO vor internationalen Gerichtsinstanzen an.

Auch in Afghanistan kann die Allianz, die im Original immer noch »Nordatlantikpakt« heißt, neue »Erfolge« vermelden. Im ersten Halbjahr 2011 seien 15 Prozent mehr Zivilisten getötet worden als im Vorjahreszeitraum, teilte die UN-Mission in Afghanistan (UNAMA) am Donnerstag mit. Für 80 Prozent der 1462 Todesfälle seien die Aufständischen verantwortlich, 14 Prozent müßten der NATO und der afghanischen Armee zugeschrieben werden. Laut UNAMA wurden seit Beginn des Krieges in Afghanistan 2001 noch nie so viele Zivilisten binnen eines halben Jahres getötet. Der bislang tödlichste Monat war der Mai mit 368 zivilen Todesopfern.

Die UNAMA-Angaben waren bereits überholt. Am gestrigen Morgen wurden in der ostafghanischen Provinz Chost bei einem NATO-Überfall sechs afghanische Zivilisten getötet, wie ein Sprecher der Provinzregierung der Nachrichtenagentur AFP sagte. Ein Lehrer, ein Student und ein Mädchen seien unter den Toten. Bei der Attacke auf das Dorf Toora Worai seien die Soldaten einem falschen Bericht nachgegangen, wonach dort ein Treffen von Kommandeuren des Hakkani-Netzwerkes stattfinden sollte. Die NATO-geführte Truppe ISAF leugnete wie üblich das Kriegsverbrechen und erklärte ihrerseits, sie habe bei einer gemeinsamen Razzia mit der afghanischen Armee in einem Vorort von Chost sechs Aufständische getötet, die das Feuer auf die Soldaten eröffnet hätten. Die Berichte lösten in der Provinz Proteste aus.

In dem kriegszerstörten Land droht wegen einer Dürre nach UN-Angaben ab Herbst eine Hungersnot für bis zu zehn Millionen Afghanen, einem Drittel der Gesamtbevölkerung. Das Welternährungsprogramm der UN (WFP) teilte am Mittwoch außerdem mit, der Anstieg der Zahl hilfsbedürftiger Menschen komme zu einer Zeit, da sich das WFP teilweise aus Afghanistan zurückzieht. Grund seien Mittelkürzungen der Geberstaaten, teilte das WFP mit.

** Aus: junge Welt, 15. Juli 2011


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