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Rekolonialisierung

Wahlen in Libyen nach NATO-Krieg

Von Rainer Rupp *

Erstmals seit 40 Jahren hätten die Libyer ein demokratisches Parlament gewählt, jubeln die deutschen Konzernmedien unisono zusammen mit ähnlichen Erzeugnissen der westlichen Presstitution. Eine Wahlbeteiligung von nur 60 Prozent wird als großer Erfolg gewertet. Die Tatsache, daß wegen Sicherheitsproblemen in ganzen Regionen nicht abgestimmt wurde, ging angesichts der Freude darüber unter, daß die prowestlichen Kandidaten der Allianz der Nationalen Kräfte (ANK) vorne lagen. Und wenn in der Islamistenhochburg Bengasi im Osten des Landes Stimmzettel öffentlich verbrannt und Wahllokale außerhalb der Stadt verwüstet werden, wird das als eher läßliche Sünde abgetan. Wichtig scheint einzig und allein, daß durch den Wahlerfolg der westlichen Marionetten der mörderische NATO-Aggressionskrieg von 2011 vor der Öffentlichkeit besser legitimiert werden kann.

Zu Erinnerung: Es waren hauptsächlich politisch naive Gutmenschen, die – angestachelt von westlichen Politikern und verfälschenden Medienberichten – ­NATO-Bomben auf Libyen forderten und sich dabei einen Dreck um das Völkerrecht scherten. Ohne seinen Öl- und Gasreichtum wäre dem Land, das wegen seiner fortschrittlichen Lebensweise und sozialen Errungenschaften als »Schweiz von Afrika« bekannt war, der westliche Überfall sicher erspart geblieben. So aber war Libyen bereits 2001 neben Irak, Iran, Syrien, Libanon, Somalia, Sudan und anderen vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush auf die Liste der Länder gesetzt worden, die entweder wegen ihrer fossilen Energiereserven oder ihrer geostrategischen Lage von den USA »befreit« werden müßten. Nach einem monatelangen Bombenkrieg wurde Lybiens Regierung gestürzt und deren Anführer Oberst Muammar Al-Ghaddafi am 20. Oktober von NATO-geführten Terroristen ermordet.

Nach den NATO-Bombern kamen die westlichen Wahlhelfer, um die Eingliederung Libyens in die neoliberale Weltordnung zu vollenden. Dabei haben sie die desolate Lage der Menschen – insbesondere in den großen Städten – skrupellos ausgenutzt. Durch das anhaltende Chaos im Land war eine echte und freie Entstehung von demokratischen Parteien aus der Mitte des libyschen Gesellschaft nicht möglich. Statt dessen wurde den Libyern die ANK als einzige säkulare Alternative zu den Muslimbrüdern und noch radikaleren Gruppierungen angeboten. Das Führungspersonal der ANK setzt sich hauptsächlich aus Leuten zusammen, die nach jahrzehntelangem Exil im Westen erst mit der Rebellion zurückgekommen sind. Chef der ANK, die mit hoher Wahrscheinlichkeit die zukünftige Regierung anführen wird, ist der US-amerikanisierte Mahmud Dschibril. Der hatte sich bereits 2011 in Washington in einer Rede vor der Wall-Street-finanzierten Brookings Institution angeboten, Libyen für das westliche Kapital zu globalisieren und den USA als Einfallstor für ganz Afrika, also als Rekolonialisierungshelfer, zu dienen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 10. Juli 2012

Weitere Nachrichten zur Wahl

Moskau: Reformen in Libyen sollten auf umfassendem nationalem Dialog basieren

Moskau begrüßt die Wahl in den Nationalen Kongress Libyens und weist darauf hin, dass die Reformen in dem nordafrikanischen Land auf einem umfassenden nationalen Dialog basieren sollten.

Das geht aus einer am Montag in Moskau veröffentlichten Mitteilung des russischen Außenamtes hervor. Die Wahlen in Libyen hatten am vergangenen Samstag stattgefunden. Vorläufigen Angaben zufolge kam der liberale Bündnis Allianz der nationalen Kräfte mit dem ehemaligen Regierungschef des libyschen Übergangsrates, Mahmud Dschibril, an der Spitze als Sieger hervor. Ihm folgt die islamistische Partei für Gerechtigkeit und Aufbau.

Das Außenministerium erinnerte daran, dass die Wahlkampagne in Libyen unter extrem komplizierten Verhältnissen durchgeführt worden war. "Trotz des verhängten Ausnahmezustandes gab es Zwischenfälle: In Bengasi wurde ein Hubschrauber abgeschossen, der Wahlzettel transportierte. In mehreren Städten, hauptsächlich im Osten des Landes, gab es Pogrome und Brandstiftungen von Wahllokalen. Aus Sicherheitsgründen blieben 100 der etwa 1500 Wahllokale geschlossen. Dennoch lag die Wahlbeteiligung bei rund 60 Prozent", hieß es.

"Moskau fasst die Wahl in Libyen als einen Beweis für Bestrebungen des befreundeten libyschen Volkes nach einer neuen demokratischen Gesellschaftsordnung in ihrem Land auf. Wir hoffen aufrichtig darauf, dass sich die herangereiften fundamentalen Wandlungen auf einen nationalen Dialog und die Berücksichtigung der Meinung aller Bevölkerungsschichten im Interesse einer Normalisierung der innenpolitischen Lage und der beständigen Entwicklung des libyschen Staates gründen werden", betonte das russische Außenministerium.

(RIA Novosti, Montag, 9. Juli 2012)


Wahlen in Libyen: Liberale vorn

Die Union der nationalen Kräfte, die liberale Parteien und Bewegungen sowie unabhängige Politiker Libyens vereint, liegt bei den Parlamentswahlen in den größten libyschen Städten Tripolis und Bengasi an der Spitze, berichtet der arabische Satellitensender Al Arabia. Es handelt sich dabei um Hochrechnungen, betont Al Arabia.

Die offiziellen Angaben werden erst Ende der Woche bekanntgegeben. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 60 Prozent.

An der Spitze der Union steht der ehemalige Premier des Nationalen Übergangsrates Mahmud Jabril. Die Hauptrivalen dieser großen politischen Kraft im heutigen Libyen sind die Islamisten und in erster Linie die Partei der Gerechtigkeit und des Aufbaus, die als eine Vertretung der internationalen Vereinigung der Muslimbrüder gilt.

(RIA Novosti, Sonntag, 8. Juli 2012)




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