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Das Kreuz mit dem Krieg

Von Ingolf Bossenz *

»Bei aller Sympathie für die Aufständischen in Libyen: Es sieht nicht so aus, als würde ein militärisches Eingreifen des Westens in Libyen diesen Kriterien vollauf genügen.« Die Kriterien, auf die sich der Kommentar von Radio Vatikan bezieht, finden sich im »Katechismus der Katholischen Kirche«. Allerdings ist dort an keiner Stelle von Militärintervention die Rede, sondern vom Recht einer Regierung »auf sittlich erlaubte Verteidigung« sowie von den »Bedingungen, unter denen es einem Volk gestattet ist, sich in Notwehr militärisch zu verteidigen«. Eine solche Notwehr sei nur gerechtfertigt, wenn der Schaden für die Nation oder die Völkergemeinschaft sonst »schwerwiegend und von Dauer« wäre. »Alle anderen Mittel, dem Schaden ein Ende zu machen, müssen sich als undurchführbar oder wirkungslos erwiesen haben.«

Klare Vorgaben, die dem Papst, der zugleich Staatschef ist, die Positionierung im Libyen-Krieg erleichtern sollten. Zumal der Katechismus in den 1990er Jahren unter Federführung des damaligen Glaubenspräfekten Joseph Ratzinger und heutigen Papstes Benedikt XVI. entstand.

Immerhin dauerte es bis zum vergangenen Sonntag, ehe sich der Pontifex eine Stellungnahme abrang. Da war man vor knapp 20 Jahren schneller. Das war indes v o r einem Krieg. 1991 hatte der Heilige Stuhl, damals mit Johannes Paul II. an der Spitze, als weltweit erster Staat die Sezessionsrepubliken Kroatien und Slowenien offiziell anerkannt. Eine Eile, die zweifellos beitrug zum Ausbruch der blutigen Bürgerkriege in Jugoslawien.

Angesichts dieses düsteren diplomatisch-machtpolitischen Erbes verzichtete der Kirchenstaat seither auf derlei forsche Parteinahmen. Benedikt bezeichnete es denn auch mit Blick auf den Krieg in Libyen als »umso dringender erforderlich, jedes diplomatische Mittel anzuwenden, um auch noch das schwächste Zeichen von Öffnung und Wunsch nach Versöhnung zu unterstützen«. Und er appellierte an »alle Verantwortlichen auf politischer und militärischer Ebene, unverzüglich einen Dialog einzuleiten und jegliche Waffengewalt zu suspendieren«.

Man kann wohl davon ausgehen, dass der Kirchenführer in dieser strikt pazifistischen Haltung von seinem Statthalter in Tripolis, dem Apostolischen Vikar Bischof Giovanni Martinelli, bestärkt worden ist. Martinelli hatte die Angriffe der westlichen Alliierten scharf verurteilt. »Keine Bombe kann Frieden bringen«, erklärte der Prälat gegenüber dem vatikanischen Pressedienst Fides. Die Diplomatie habe keine Chance erhalten. Der aus Italien stammende Bischof äußerte gar einen in diesen Tagen nachgerade ungeheuerlichen Satz: »Auch hat Libyen in den letzten Jahren alles versucht, um international Freundschaft zu knüpfen.«

Martinelli überraschte mit der Mitteilung, die in Tripolis ansässige islamische Hilfsorganisation »World Islamic Call Society« hoffe offenbar auf Vermittlungen des Heiligen Stuhls. Die Vereinigung habe an den Vatikan appelliert, für eine friedliche Lösung des Konflikts einzutreten.

Angesichts der innerhalb der Europäischen Union aufgebrochenen Differenzen in der Libyen-Frage könnte der Vatikan in der Tat den Versuch unternehmen, in diesem Sinne auf die öffentliche Meinung in Europa einzuwirken. Von der in den Krieg verstrickten EU selbst ist in dieser Hinsicht wenig zu erwarten. Das machte Frankreichs Außenminister Alain Juppé deutlich, der sich angesichts der offiziellen deutschen Kriegszurückhaltung mokierte: »Manche EU-Partner halten die EU offenbar für eine humanitäre Hilfsorganisation.« Paris sollte in diesem Falle nach Rom blicken: Schließlich gilt Frankreich als »älteste Tochter der Kirche«.

* Der Autor ist Redakteur des ND. Zu seinen Themen gehören unter anderem Religion und Kirchen.

Aus: Neues Deutschland, 1. April 2011 (Rubrik: "Brüsseler Spitzen")



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