Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Einladung zum Angriffskrieg

Hintergrund: Die UN-Resolution 1973 von vergangenem Donnerstag war der Startschuß für westliche Militäraktionen gegen Libyen. Ihr Zustandekommen gibt tiefe Einblicke in die weltpolitischen Machtkonstellationen

Von Knut Mellenthin *

Als »unzulässig« und »unentschuldbar« hat Rußlands Präsident Dmitri Medwedew am Montag die Kritik seines Regierungschefs an der westlichen Kriegsführung gegen Libyen abgekanzelt. Zuvor hatte Wladimir Putin die am Donnerstag voriger Woche verabschiedete UN-Sicherheitsresolution 1973 mit einem »mittelalterlichen Kreuzzugsaufruf«, der »alles erlaubt«, verglichen. In seiner Reaktion auf Putins Äußerungen offenbarte Medwedew nicht nur, daß er die UN-Entschließung für grundsätzlich richtig halte, sondern beteuerte andererseits auch: »Wir werden an keinen Flugverbotsoperationen gegen Libyen teilnehmen, und wir werden keine Truppen entsenden, falls die Militäraktionen, Gott behüte, auch auf dem Boden stattfinden, was ich nicht ausschließen kann.«

Der russische Präsident tat, als wäre diese Möglichkeit die selbstverständlichste Sache der Welt. Dabei hatten die westlichen Mainstreammedien doch immer wieder hervorgehoben, daß der Einsatz von Bodentruppen durch die Resolution ausdrücklich ausgeschlossen worden sei. Aber Medwedew verfügt offensichtlich über bessere Quellen oder hat das Dokument vielleicht sogar im Wortlaut gelesen. Dort steht tatsächlich nur, als winziger Einschub in eine Generalvollmacht für alle Arten von Militäraktionen, daß es keine »ausländischen Besatzungsstreitkräfte in irgend­einer Form auf irgendeinem Teil des libyschen Territoriums« geben soll. Englisch: »excluding a foreign occupation force of any form on any part of Libyan territory«. Da kann man also ganz unbesorgt sein: Weder im Irak noch in Afghanistan haben die USA und ihre Verbündeten ihre Soldaten jemals als Besatzungskräfte bezeichnet.

Lizenz zur Aggression

Nein, die Resolution 1973 schließt zumindest einen zeitlich begrenzten Einsatz von Bodentruppen, etwa verdeckte Operationen von Spezialeinheiten, keineswegs aus. Die britische Presse verbreitete schon am Montag Gerüchte, daß Kommandogruppen in Libyen gelandet seien, um die Luftangriffe besser steuern und koordinieren zu können. US-Präsident Barack Obama hat immerhin mehrmals versprochen, er wolle auf diesen Kriegsschauplatz keine amerikanischen Bodentruppen schicken. Ähnliche Aussagen seiner französischen und britischen Kollegen fehlen jedoch.

Da der Einsatz von Bodentruppen in der UN-Resolution nicht explizit ausgeschlossen wurde, obwohl genau dieser Eindruck durch eine irreführende Formulierung erweckt werden soll, muß man schlußfolgern, daß diese Option ganz bewußt offengehalten wurde. Dieser Grundzug kennzeichnet überdies die gesamte Resolution. Sowohl der russische wie auch der chinesische Vertreter beklagten in der entscheidenden Sitzung des Sicherheitsrates am 17. März, daß die Beschlußvorlage – die gemeinsam von Frankreich, Großbritannien und dem Libanon eingebracht wurde – viele in den vorangegangenen Diskussionen aufgetauchte Fragen unbeantwortet lasse. Das entspreche nicht der üblichen Arbeitsweise des Gremiums, kritisierte der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin. Ungeklärt sei insbesondere, wie und von wem die Resolution durchgesetzt werden solle. Offen seien ebenso die Grenzen der Intervention. Der indische Vertreter Manjeev Singh Puri, wies in seinem Redebeitrag darauf hin, daß die Resolution »auf sehr wenig klaren Informationen« beruhe. Er bedauerte, daß der Sicherheitsrat vor seiner Entscheidung nicht einmal den Bericht eines eigens nach Libyen entsandten Sonderbotschafters abgewartet habe.

Beim Lesen der Entschließung springt ins Auge, daß sie handwerklich extrem unsorgfältig und unpräzise ausgearbeitet wurde. Nicht etwa aus sprachlicher Unfähigkeit, sondern um möglichst weitgehende Interpretationsmöglichkeiten und damit auch Handlungsoptionen zu erreichen. Mit diesem Ziel hatte vor allem die Vertreterin der USA im Sicherheitsrat, Susan Rice, in der Schlußphase der Debatte noch einmal kräftig draufgepackt.

Zwei Tage zuvor war man sich in Washington noch nicht einmal sicher gewesen, ob Rußland und China überhaupt ein Flugverbot mittragen oder durch Enthaltung passieren lassen würden. Nun aber erreichte man plötzlich sogar zusätzlich eine uneingeschränkte Generalvollmacht für Angriffshandlungen jeder Art.

Die beiden Veto-Mächte, die es in der Hand gehabt hätten, die Resolution in dieser Form scheitern zu lassen, winkten sie trotzdem mit ihrer Stimmenthaltung durch. Der chinesische Vertreter, Li Baodong, der zur Zeit den Vorsitz im Sicherheitsrat führt, verschanzte sich dabei hinter der Arabischen Liga und der Afrikanischen Union (AU). Auf deren Meinung lege China so großen Wert, daß es dahinter sogar seine ernsten Bedenken zurücktreten lasse. Aber glaubwürdige Ausreden sehen anders aus: Die AU, der Dachverband aller Staaten des Kontinents, hatte – in einer Sitzung ihres Rates für Frieden und Sicherheit am 10. März – gar nicht für die Durchsetzung eines Flugverbots, sondern im Gegenteil gegen jede Art ausländischer Intervention in den libyschen Bürgerkrieg optiert. Und die Arabische Liga, der 22 Staaten angehören, hatte zwar ein Flugverbot gefordert, nicht aber die in der Resolution 1973 zusätzlich enthaltene Generalvollmacht zur unbegrenzten Kriegsführung. Lynchjustiz ...

Im Fall Rußlands soll, wie gerüchteweise berichtet wird und wie die Äußerungen Medwedews glaubhaft erscheinen lassen, sogar über eine Zustimmung zur Resolution nachgedacht worden sein. Der Präsident sagte, der Nachrichtenagentur RIA Nowosti zufolge, am Montag nicht nur: »Ich halte diese Resolution nicht für falsch«, sondern auch: »Ich glaube, daß diese Resolution generell unser Verständnis von den Vorgängen in Libyen widerspiegelt.« Indessen scheint nicht nur Regierungschef Putin, sondern auch Außenminister Sergej Lawrow gegen den vom Westen vorgelegten Entwurf gewesen zu sein.

Das nachträgliche »Bedauern« russischer und chinesischer Regierungssprecher über die Kriegshandlungen der westlichen Allianz gegen Libyen steht unter dem Verdacht der Scheinheiligkeit und des Zynismus. Denn daß der einzige Zweck der Resolution 1973 darin bestand, den Weg für militärische Zwangsmaßnahmen frei zu machen, war von vornherein offensichtlich. Die Regierung in Washington machte daraus ja auch niemals ein Geheimnis.

Aber mehr noch: Die Kriegsbeteiligung wäre in den USA sehr viel schlechter zu verkaufen gewesen, wenn die Resolution sich lediglich auf die Errichtung einer Flugverbotszone beschränkt hätte. Daß diese allein nicht ausreichen würde, um den Bürgerkrieg in Libyen zugunsten der »Rebellen« zu entscheiden, war ein gewichtiges Argument der zögernden Kräfte im Pentagon gewesen. Deshalb war es von entscheidender Bedeutung, Rußland und China dazu zu bringen, auch noch die sehr viel weiter gehende Generalvollmacht hinzunehmen, die im Punkt 4 der Resolution fixiert ist. Sie »autorisiert« beliebige Staaten dazu, »national« oder gemeinsam in irgendwelchen Kombinationen »alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen«, »um die von Angriffen bedrohte Zivilbevölkerung und bewohnte Gebiete in Libyen zu schützen«.

Praktisch betrachtet ist das nichts anderes als ein Aufruf zur außergesetzlichen Lynchjustiz gegen einen für vogelfrei erklärten Staat, allerdings mit den Mitteln gigantischer Militärapparate. Es gibt keine Instanz, die zu irgendeinem Zeitpunkt oder gar mit kurzfristiger Wirkung über die Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit der Kriegseinsätze entscheiden könnte. Der UN-Sicherheitsrat kann, wenn die Ermächtigung einmal erteilt ist, die militärische Kampfführung weder kontrollieren und korrigieren noch stoppen. Es gibt in der Geschichte auch kein Beispiel, daß das jemals von irgendwelchen Mitgliedstaaten versucht worden wäre.

Man muß den Wortlaut von Punkt 4 der UN-Resolution nicht einmal widersinnig verbiegen, um sie als schrankenlose Lizenz zur militärischen Einmischung in den libyschen Bürgerkrieg zu interpretieren. Und das zumindest so lange, bis sich– durch Luftangriffe auf die staatlichen Streitkräfte und vielleicht auch durch Kommando­unternehmen am Boden – das Kräfteverhältnis so weit zugunsten der »Rebellen« verschoben hat, daß sie den Rest der Wegstrecke mehr oder weniger aus eigener Kraft schaffen können. Der Grundgedanke dieses Plans lehnt sich an das Vorgehen gegen die afghanische Taliban-Regierung im Oktober 2001 an, als US-amerikanische Kampfflugzeuge den Truppen der Nordallianz den Weg nach Kabul freibombten. Die Frage ist indessen diesmal, ob die libyschen Streitkräfte so schwach und die »Rebellen« so stark sind, daß sich das alte Spiel ohne weiteres wiederholen läßt.

... mit humanitärem Anstrich

Das »Gipfeltreffen zur Unterstützung des libyschen Volkes«, das am vorigen Sonnabend in Paris stattfand, um der ganz kurz bevorstehenden Eröffnung der Luftangriffe die politische Weihe zu geben, richtete unter Berufung auf die vom UN-Sicherheitsrat erteilte Generalvollmacht ein Ultimatum an die libysche Regierung. Sie wurde darin nicht nur aufgefordert, »sofort ihre Gewaltakte gegen Zivilisten zu beenden«, sondern darüber hinaus ihre Streitkräfte »aus allen Gebieten zurückzuziehen, in die sie mit Gewalt eingedrungen sind, und in ihre Stützpunkte zurückzukehren«. Davon steht allerdings absolut nichts in der UN-Resolution, auch wenn in der gemeinsamen Erklärung des Gipfeltreffens dieser Eindruck erweckt werden soll.

In der von der deutschen Regierung ausdrücklich mitgetragenen Pariser Deklaration heißt es außerdem drohend – und gleichfalls durch die UN-Resolution nicht gedeckt: »Unsere Verpflichtung ist eine auf lange Sicht. Wir werden es Oberst Ghaddafi und seinem Regime nicht gestatten, den Willen der internationalen Gemeinschaft zu mißachten und den seines Volkes zu verhöhnen.« Das impliziert eindeutig die Fortsetzung des Angriffskriegs bis zum Sturz oder Tod Ghaddafis, auch wenn das offiziell geleugnet werden muß, weil es nicht durch die Resolution 1973 gedeckt ist.

Für die Arabische Liga nahmen an dem Treffen der Kriegsallianz in Paris ihr Generalsekretär Amr Musa und dessen künftiger Nachfolger, der irakische Außenminister Hoschjar Mahmud Zebari, teil. Außerdem waren Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien und Marokko durch ihre Außenminister vertreten. Aus dem Kommunique ist nicht ersichtlich, daß auch nur einer von ihnen dem gemeinsam verabschiedeten Ultimatum widersprochen hätte. Das hinderte Musa jedoch nicht, am Sonntag als Kritiker der Luftangriffe aufzutreten – und diese Kritik am Montag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon gleich wieder zu relativieren. Musa ist in erster Linie ein hemmungsloser Opportunist, der 1991 bis 2001 dem diktatorischen Regime von Hosni Mubarak als Außenminister diente. Jetzt hofft er, der nächste Präsident Ägyptens werden zu können.

Die Rolle der Arabischen Liga beim Zustandekommen dieses Krieges ist ebenso schändlich wie entscheidend. Die US-Regierung hatte ihre Beteiligung an einer militärischen Intervention gegen Libyen von zwei öffentlich erklärten Voraussetzungen abhängig gemacht: Die eine war eine Mandatierung durch den UN-Sicherheitsrat, die andere eine direkte Aufforderung zum »Engagement« durch die arabischen Staaten. Diese Aufforderung sollte möglichst auch mit einer sichtbaren Teilnahme arabischer Staaten an der Kriegskoalition verbunden werden, um den klassischen westlich-imperialistischen Charakter des militärischen Eingreifens zu tarnen. Man kann getrost davon ausgehen, daß dieser plumpe Trick gar nicht die arabischen Massen täuschen soll – die mit den berüchtigten »doppelten Standards« der USA und der EU-Staaten direkt konfrontiert sind – sondern der Selbsttäuschung westlicher Grüner, Liberaler und Sozialdemokraten dient. Mit ein klein bißchen arabischer Beteiligung, auch wenn diese praktisch fast nur auf dem Papier steht, hat die Intervention doch gleich ein viel freundlicheres Gesicht.

Die Führung übernahm bezeichnenderweise der Gulf Cooperation Council (GCC), der Zusammenschluß der allesamt mehr oder weniger autoritär regierten sechs Staaten der arabischen Halbinsel: Saudi-Arabien, Kuwait, Vereinigte Arabische Emirate, Oman, Bahrain und Katar. Daß deren von Volksprotesten bedrängte Potentaten als Verteidiger angeblich demokratischer libyscher Oppositioneller keine glaubwürdige Figur abgeben, scheint von den »humanitären Interventionisten« kaum jemanden zu stören. Die letzten »Freiheitskämpfer«, für die sich diese Regimes stark gemacht hatten, waren in den 1980er und 1990er Jahren die afghanischen Mudschaheddin und danach die Taliban gewesen. Nun forderte der Ministerrat des GCC am 8. März den UN-Sicherheitsrat auf, »die erforderlichen Schritte zum Schutz der (libyschen) Zivilisten, einschließlich einer Flugverbotszone, zu ergreifen«. Von der Arabischen Liga verlangten die sechs Staaten die schnelle Einberufung einer Sondersitzung, um die »libysche Krise« zu diskutieren.

Kurioser Zirkelschluß

Diese Sitzung fand am 12. März statt. Einige Berichte besagen, daß von den 22 Mitgliedstaaten der Liga nur zwölf vertreten gewesen seien. Das beruht möglicherweise auf mißverständlichen Agenturmeldungen, denen zufolge zwölf Außenminister anwesend waren, was aber nicht unbedingt heißt, das nicht auch die meisten anderen Staaten durch Delegierte repräsentiert waren. Über die kontroversen Diskussionen ist anscheinend nichts Offizielles bekannt. Alle Berichte stimmen darin überein, daß Syrien der verabschiedeten Erklärung widersprochen habe. Als weitere Kritiker werden in erster Linie Algerien und Mauretanien, daneben möglicherweise auch Sudan und Jemen genannt.

In der mehrheitlich angenommenen Resolution der Liga wird der UN-Sicherheitsrat aufgerufen, »die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um sofort ein Flugverbot gegen die libysche Luftwaffe zu verhängen und sichere Gebiete an Stellen einzurichten, die dem Artilleriebeschuß ausgesetzt sind«. Die Arabische Liga erklärte darüber hinaus, daß die libysche Regierung »ihre Legitimität verloren« habe, und beschloß die Aufnahme von kooperativen Kontakten zum sogenannten Übergangsnationalrat der »Rebellen«. Andererseits heißt es in dem beschlossenen Text aber auch, man lehne »alle Formen ausländischer Intervention in Libyen« ab. In einem kuriosen Zirkelschluß wurde sogar behauptet, wenn jetzt nicht »die notwendigen Aktionen zur Beendigung dieser Krise« – also die gewaltsame Durchsetzung des Flugverbots und andere militärische Maßnahmen – ergriffen würden, werde es zu »einer ausländischen Intervention in Libyens innere Angelegenheiten« kommen.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die vorwärtstreibende Rolle Libanons, der derzeit von einer Koalition regiert wird, in der die schiitische Hisbollah maßgeblich vertreten ist und die insgesamt ein freundschaftliches Verhältnis zum Iran hat. Libanon setzte sich besonders stark für die Verhängung eines Flugverbots gegen Libyen ein und trat im UN-Sicherheitsrat als Mitinitiator der Resolution 1973 auf. Das wird meist damit erklärt, daß Ghaddafi sich vor vielen Jahren, 1978, den Haß der libanesischen Schiiten zuzog, weil ihm das bis heute unaufgeklärte »Verschwinden« eines ihrer beliebtesten Führer, Imam Musa Al-Sadr, und seiner Begleiter angelastet wird.

Das besondere Engagement der libanesischen Regierung ist aber auch nicht ganz unabhängig von der Politik des Iran zu sehen. Dort hat man sich aufgrund der Massenproteste in zahlreichen arabischen Ländern in eine fast rauschhafte Selbst­agitation gesteigert, die auf diplomatische Belange keine Rücksichten mehr nimmt. Während sich die führenden iranischen Politiker zu den Auseinandersetzungen in Libyen bisher nicht äußerten, warfen die Medien des Landes dem Westen abwechselnd und sogar gleichzeitig übergroße Nachsicht gegenüber Ghaddafi und imperialistische Einmischung in die inneren Angelegenheiten Libyens vor. Unter dem Strich sieht man die Militärintervention des Westens in Teheran anscheinend nicht ungern, nimmt aber trotzdem zunehmend die Gelegenheit wahr, sie in den Medien propagandawirksam zu kritisieren. Als sich am Sonntag mit dem Sprecher des Außenministeriums, Ramin Mehmanparast, erstmals ein Offizieller negativ über die militärischen Angriffe gegen Libyen äußerte, verschwand die Meldung jedoch sehr schnell wieder aus den englischsprachigen iranischen Online-Agenturen.

Teilen und herrschen

Anders als aus einigen lateinamerikanischen Staaten – insbesondere Kuba, Venezuela, Nicaragua und Bolivien – wurde bisher aus den 57 Ländern, die sich zur Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) zusammengeschlossen haben, kaum klare Kritik am Krieg des Westens gegen Libyen laut. Die OIC hatte bereits am 8. März, also genau zeitgleich mit den arabischen Golfstaaten und sogar noch vor der Arabischen Liga, auf einer Sitzung im saudi-arabischen Dschidda ihre politische Unterstützung für militärische Gewaltmaßnahmen gegen Libyen signalisiert. OIC-Generalsekretär Ekmeleddin Ihsanoglus sagte anschließend: »Wir gesellen uns zu den Stimmen, die eine Flugverbotszone fordern, und rufen den Sicherheitsrat auf, in dieser Hinsicht seine Pflicht zu tun.« Gleichzeitig sprach er sich allerdings gegen Operationen ausländischer Bodentruppen aus.

Das fast vollständige Schweigen der meisten OIC-Staaten angesichts des Krieges gegen ein Mitglied ihrer Gemeinschaft ist sicher nicht darauf zurückzuführen, daß die USA und deren Verbündete ihrer Intervention ein fadenscheiniges »arabisches« Mäntelchen übergezogen haben. Es ist viel mehr Ausdruck der Tatsache, daß Ghaddafi in der islamischen Welt nur noch sehr wenige Freunde hat. Zugleich zeigt sich darin aber auch der nach wie vor hohe Grad an Entsolidarisierung unter diesen Staaten. Das stellt, gerade auch vor dem gegenläufigen Hintergrund der Volksproteste und Aufstände in vielen arabischen Ländern, einen bedeutenden politischen Sieg des Westens dar. Wieder einmal ist es gelungen, die islamischen Staaten zu spalten, gegeneinander auszuspielen und zu instrumentalisieren. Für die nächste Zukunft läßt das Schlimmes erwarten, zumal die Militärintervention gegen Libyen auch als Probelauf für den irgendwann geplanten Koalitionskrieg gegen den Iran zu verstehen ist.

* Aus: junge Welt, 23. März 2011


Zurück zur Libyen-Seite

Zur UNO-Seite

Zurück zur Homepage