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Krieg in Libyen: Terror gegen Terror

USA, Frankreich und Großbritannien bombardierten zahlreiche Ziele / Gaddafi droht mit Vergeltungsangriffen *

Einen Monat nach dem Beginn eines Aufstands in Libyen hat eine »Koalition der Willigen« – angeführt von Frankreich, Großbritannien und den USA – militärisch in den innerlibyschen Konflikt eingegriffen. Unter Berufung auf eine Resolution des UN-Sicherheitsrates wurden Dutzende Ziele bombardiert. Libyens »Revolutionsführer« Muammar al-Gaddafi drohte daraufhin mit einem »langen Krieg«.

Der Einsatz der internationalen Kriegskoalition begann am Sonnabend (19. März) mit Angriffen französischer Kampfjets auf libysche Regierungstruppen vor der Rebellenhochburg Bengasi. Am Abend feuerten US-Kampfschiffe und ein britisches U-Boot mehr als 100 Tomahawk-Marschflugkörper auf Luftabwehrstellungen an der libyschen Küste. Am Sonntagmorgen setzten französische und US-Streitkräfte die Luftangriffe fort. Wie AFP-Korrespondenten berichteten, wurden bei einem Luftangriff rund 35 Kilometer westlich von Bengasi dutzende Fahrzeuge der Regierungstruppen zerstört. Angegriffen wurden Flugplätze, Luftabwehrstellungen, Waffendepots, Panzer und Militärlastwagen in den von Gaddafi kontrollierten Landesteilen.

Die Gewalt der Truppen Gaddafis gegen Aufständische und Zivilbevölkerung zu stoppen, soll das Ziel der Militäroperation »Odyssey Dawn« (etwa: Odyssee Morgendämmerung) sein. US-Oberbefehlshaber Mike Mullen sprach im US-Fernsehsender ABC von einem »Erfolg« der ersten Phase des Einsatzes: Die Offensive der Truppen Gaddafis sei vor Bengasi gestoppt worden.

Nach libyschen Angaben starben bei den ersten Angriffen mindestens 48 Menschen, 150 weitere wurden verletzt. Parlamentspräsident Mohammed Swei sprach von einer »barbarischen Aggression«. Laut Staatsfernsehen wurden in Tripolis sowie in den Städten Misurata, Suara, Sirte und Bengasi zivile Ziele bombardiert. »Revolutionsführer« Gaddafi drohte mit Vergeltungsangriffen und einem »Schlachtfeld im Mittelmeer«. »Dies ist nun eine Konfrontation des libyschen Volkes mit Frankreich, Großbritannien und den USA, mit den neuen Nazis«, erklärte er am Sonntag in einer nur im Ton vom Fernsehen übertragenen Rede. Die Libyer würden nicht nachgeben, »denn wir verteidigen unsere Erde und unsere Würde«. Derweil sollen seine Truppen weiter die Aufstandshochburgen Bengasi und Misurata angegriffen haben. In Bengasi waren bei heftigen Kämpfen am Freitag und Sonnabend nach Angaben von Ärzten und AFP-Reportern mehr als 90 Menschen getötet worden. Die Aufständischen hatten irrtümlich auch ein eigenes Kampfflugzeug abgeschossen.

Der Präsident der Arabischen Liga, Amr Mussa, kritisierte das Vorgehen der Kriegskoalition in Libyen. Die Luftangriffe dienten nicht dem vereinbarten Ziel, eine Flugverbotszone über dem Land durchzusetzen, sagte Mussa. »Wir wollen Schutz für die Zivilbevölkerung und keinen Beschuss weiterer Zivilisten.« Russland distanzierte sich scharf von der Bombardierung strategischer Objekte wie Brücken. Solche Schläge seien von der jüngsten UN-Resolution nicht gedeckt, erklärte das Außenministerium in Moskau. Russland hatte sich ebenso wie Deutschland, China, Indien und Brasilien bei der Abstimmung über die Resolution zur Errichtung einer Flugverbotszone der Stimme enthalten. Während China und Indien den Waffengang bedauerten, steht die Bundesregierung im Inneren in der Kritik, sich durch die Enthaltung von ihren Verbündeten isoliert zu haben. Nur die LINKE protestierte gegen die militärische Intervention, denn »Krieg schafft keinen Frieden«.

* Aus: Neues Deutschland, 21. März 2011


Feuer & Wasser

Von Jürgen Reents **

Nein, es muss nicht damit gerechnet werden, dass britische, französische, US-amerikanische und andere Kampfflugzeuge einen Startbefehl erhalten, um den Aufständischen in Bahrain zu Hilfe zu eilen. Zwar setzt Scheich Chalifa Bin Salman seine Sicherheitskräfte brutal und mit Unterstützung der saudischen Armee gegen die Revolte ein, aber das Regime gehört – wie das in Jordanien, Kuwait und Marokko – zu den »wichtigen Verbündeten« der NATO. Bahrain ist der Hauptstützpunkt der 5. US-Flotte, Einsatzgebiet Naher Osten. Den gilt es nicht mit, sondern gegen die Aufständischen zu sichern.

Man könne nicht zusehen, wie »Männer und Frauen in Libyen Brutalität und Tod durch die Hand ihrer eigenen Regierung« ausgeliefert seien, erklärte US-Präsident Barack Obama für die neue Koalition der Kriegswilligen. Doch sie können: in Bahrain, in Jemen und anderswo. Muammar al-Gaddafi ist ein erbarmungsloser und unberechenbarer Despot, aber er ist nicht der einzige dieser Sorte. Er ist jedoch – mit gewissen Nuancen neben Syriens Herrscher Hafiz al-Assad – der letzte in der arabischen Welt, der seine Menschenrechtsverbrechen weitgehend eigenständig und nicht auf Rechnung westlicher Stabilitätserwartungen begeht. Nur das hat ihn zur Zielscheibe des militärischen Angriffs gemacht.

Libyen kann zum fatalen Wendepunkt der arabischen Revolte werden. Der Westen, der mit Mubarak, Ben Ali und all den anderen Herrschern Jahrzehnte lang zu eigenem Nutzen gut auskam, musste vom um sich greifenden Aufstand eine größere arabische Unabhängigkeit fürchten. Nun hat er im Nationalrat in Bengasi einen Stichwortgeber gefunden (nur gefunden?), der laut nach militärischer Hilfe rief. Vielleicht liegt hier auch ein Grund, weshalb Gaddafis Aufforderung vom 6. März, eine UN-Mission zur Untersuchung des Aufstands zu schicken, unbeantwortet blieb. Die westlichen Führungsmächte hatten sich längst entschieden, ihre in Gefahr geratene lenkende Rolle in der arabischen Welt wieder zu stabilisieren.

Doch Krieg und die Verteidigung von Menschenrechten sind Feuer und Wasser. In Afghanistan mussten die Menschen dies erfahren, als die ersten Bomben Hochzeitsgesellschaften trafen. Die Arabische Liga erklärte nach den Luftangriffen, die sie mit herbeirief, so sei das nicht gemeint gewesen. Hat sie den Eigennutz wie auch die Skrupellosigkeit der Kriegskoalition unterschätzt? Das Feuer des Krieges erwärmt keine Menschenrechte, es verbrennt und verdampft sie. Für Interessen, die nichts mit der arabischen Revolte zu tun haben.

** Aus: Neues Deutschland, 21. März 2011 (Kommentar)


Krieg schafft keinen Frieden

Friedensbewegung protestiert gegen Bombardierungen ***

An verschiedenen Orten Deutschlands wurde am Wochenende Protest gegen die Bombardierung libyscher Städte durch westliche Staaten deutlich. Es gab Mahnwachen und Protesterklärungen.

Mehrere hundert Menschen haben am Wochenende in Berlin gegen den Krieg in Libyen protestiert. Am Sonntagvormittag (20. März) versammelten sich etwa 150 Frauen und Männer zu einer Mahnwache vor dem Brandenburger Tor. Zu der Kundgebung hatte die Linkspartei aufgerufen.

Die Partei betont in einer Erklärung: »Die Militärintervention ist keine Lösung, sondern eine Verschärfung des Konflikts.« Aus einem Bürgerkrieg sei ein international geführter Krieg geworden. Es drohe eine Eskalation mit unabsehbaren Folgen. »Wir fordern die Bundesregierung auf, entschieden bei ihren NATO-Partnern Widerspruch gegen das Bombardement einzulegen.« Kanzlerin Angela Merkel solle unverzüglich mit US-Präsident Obama sprechen und ihn von der Notwendigkeit einer friedlichen Lösung überzeugen. »Krieg schafft keinen Frieden. Demokratie kann man nicht herbeibomben. Die Botschaft der Linkspartei an alle Kriegsparteien lautet: ›Die Waffen nieder!‹ Wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand. Es müssen sofort Verhandlungen auf der Grundlage eines allgemeinen Gewaltverzichts und einer Anerkennung der völkerrechtlichen Standards beginnen.«

Der Bundesausschuss Friedensratschlag begrüßte in einer Erklärung ausdrücklich Deutschlands Enthaltung im Sicherheitsrat zum Beschluss der Errichtung einer sogenannten Flugverbotszone. Man zeigte sich »empört über die Leichtfertigkeit, mit welcher der UN-Sicherheitsrat Kriegsermächtigungen vergibt«. Es gebe Alternativen zum Kriegseinsatz. Die UN-Resolution selbst enthalte eine Reihe von Maßnahmen, die sofort zu ergreifen sind und die das Regime Gaddafi entscheidend schwächen würden. Sie reichen von der Verhinderung von Waffenlieferungen bis zum Einfrieren von Vermögen konkret benannter Regierungsmitglieder und Militärs. Auch gebe es Vermittlungsangebote von dritter Seite, beispielsweise von Venezuela oder der Afrikanischen Union, über die sich das UN-Gremium »unverständlicherweise hinweggesetzt« habe.

Das Netzwerk Friedenskooperative betont, es könne keine Sympathie für das Regime Gaddafis geben. In Libyen ging es den Aufständischen wie zuvor in Tunesien und Ägypten um die Beseitigung eines Despoten, um mehr Gerechtigkeit und Freiheit, um die Respektierung ihrer Menschenrechte und eine Entwicklungsperspektive für sich und ihre Region. Statt durch Krieg wäre den Menschen besser »durch rasches ziviles Eingreifen, Evakuierung und Aufnahme der vielen Flüchtlinge und Gestrandeten, sowie die internationale Isolation des Regimes geholfen – ähnlich, aber konsequenter als damals beim Apartheid-Regime in Südafrika. Auch die Mitgliederversammlung des Bundes für Soziale Verteidigung steht solidarisch »bei all jenen, die ohne Waffen für Demokratisierung eintreten«.

*** Aus: Neues Deutschland, 21. März 2011


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