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Libyens Süden probt den friedlichen Aufstand

Vernachlässigt von der Regierung setzen die Bewohner auf Selbstorganisation und De-facto-Autonomie

Von Maryline Dumas, Sebha (IPS) *

Nach dem Sturz von Muammar al-Gaddafi 2011 kam es auch im abgeschiedenen Süden Libyens zu Auseinandersetzungen zwischen den drei Volksgruppen Araber, Toubou und Tuareg. Inzwischen hält man zusammen gegen die Regierung in Tripolis, die den Süden komplett vernachlässigt.

»Der Regierung sind wir egal, denn wir kommen aus dem Süden«, meint Mohamed Salah Lichekh, Leiter des Oubari-Lokalrats im Süden Libyens. Damit spricht er den Menschen in diesem Teil des Landes aus dem Herzen. Das Gefühl, von Tripolis links liegen gelassen zu werden, eint die drei in der Provinz Fezzan vertretenen Volksgruppen Araber, Toubou und Tuareg. Es ist die Kritik an der Regierung, die sie zusammenschweißt.

Oubari ist eine vorwiegend von Tuareg bewohnte Stadt rund 200 Kilometer westlich von Sebha, der Hauptstadt von Fezzan. Die 40 000 Einwohner haben ein Problem mit dem Telefonnetz. Und Polizisten sind auf den schlechten Straßen selten zu sehen. »Mein Vetter ist Polizist, doch geht er nur zur Arbeit, um sein Gehalt abzuholen«, berichtet ein Libyer, der sich Anonymität ausbat. Und dem Leiter des Sebha- Lokalrats, Ayoub Zaroug, wurde vom Polizeichef gesagt, dass die Sicherheitskräfte sich aus Angst nicht blicken ließen.

Ähnlich desolat sieht die Lage in Mourzouk aus, dem Bezirk im äußersten Süden von Fezzan. In dem vorwiegend von Toubou bewohnten Gebiet fehlen öffentliche Dienstleistungen. »Am 3. September hat es in unserem Ort Agar gebrannt. Wir haben keine eigene Feuerwehr, deshalb haben wir in Mourzouk angerufen. Doch auch dort gab es keine Feuerwehr«, schildert der Dorfvorsteher Ibrahim Ahmed den Ernst der Lage.

»Wir haben nichts: keine Armee, keine funktionierende Polizei. Die Sicherheitskräfte haben weder ein Auto, noch ein Telefon. Unterstützung aus Tripolis ist nicht zu erwarten«, fügt Ahmed hinzu.

Angesichts dieser Basisversorgungsengpässe versuchen die Libyer im Süden ihre Probleme selber zu lösen. In Qahira, einem Armenviertel von Sebha sorgt eine Gruppe aus 60 Revolutionären und lokalen Freiwilligen für Ruhe und Ordnung, wie der Leiter des Slums, Toubou Adam Ahmed, erläutert. Sie patrouillieren mit ihren eigenen Waffen durch die Straßen. Bei Problemen werden die Chiefs eingeschaltet.

Wie Ahmed berichtet, gelingt den meisten Kriminellen die Flucht. »Sie verstecken sich in den Bauruinen, die von einem indischen Unternehmen während der Revolution verlassen worden sind«, sagt er. »Wir wissen, wo sie sind, doch ist niemand da, der sie festnehmen könnte.«

Ein erboster Youssef Souri, Mitglied des Lokalrats von Mourzouk, fügt hinzu: »Selbst wenn sie festgenommen würden, gäbe es kein Gericht, vor das sie gestellt werden könnten. Wir haben die Regierung in Tripolis bereits drei Mal aufgefordert, das Gericht wiederzueröffnen. Doch eine Antwort haben wir nicht bekommen.«

»Mutmaßliche Diebe werden einige Tage eingesperrt, bevor die Familien als Garanten auftreten können und die Kaution bezahlen, die nach der Verhandlung zurückerstattet wird«, so Souri. »Mörder werden nach Sebha überstellt. Doch dort kommt es häufig vor, dass die Richter aus Angst vor Vergeltungsschlägen die Verfahren aufschieben.«

Diese De-facto-Autonomie hat in einigen Bevölkerungskreisen den Wunsch nach einem Staatenbund aufkommen lassen. Was in Cyrenaica im Osten Libyens bereits Gestalt angenommen hat, trifft nun auch im Süden Libyens auf immer mehr Zuspruch.

Ein Befürworter ist Ibrahim Youssef, Leiter einer Organisation in Mourzouk, der meint: »Ich bin ein Föderalist, weil ich möchte, dass Fezzan von dem Wohlstand profitiert, den Tripolis derzeit komplett abzieht. Allerdings möchte ich einen echten Staatenbund, nicht drei Länder, wie sie die Menschen im Osten anstreben.«

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 1. Oktober 2013


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