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Über 400 000 flohen bereits aus Libyen

BBC: Zivile Opfer bei alliiertem Luftangriff *

Vor der Gewalt in Libyen sind nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration inzwischen mehr als 400 000 Menschen geflohen.

Die meisten Flüchtlinge aus Libyen seien nach Tunesien und Ägypten gelangt, hieß es am Freitag in Genf. Innerhalb des Bürgerkriegslandes steckten weitere Zehntausende fluchtbereite Menschen fest. Allein in der Stadt Sabha im Zentrum Libyens warteten 34 000 Verzweifelte auf ihre Ausreise. Sie hätten keine Transportmöglichkeiten, um sich außer Landes zu bringen, erklärte die Organisation für Migration. Zudem fehle es ihnen an Lebensmitteln und Wasser. Es handele sich um Migranten, die in Libyen beschäftigt waren. Auch bei der Mehrzahl der bereits aus Libyen geflohenen Menschen handele es sich um Migranten.

"Friendly fire"

Nachrichten der folgenden Art sind uns aus anderen Kriegen sattsam bekannt. Dass sie nun auch aus Libyen kommen, zeigt, dass dort längst ein "normaler" Interventionskrieg in Gang ist.

Bei einem NATO-Luftangriff in Libyen sind nach Angaben der libyschen Opposition 13 Rebellen getötet worden. Sieben weitere seien verletzt worden, sagte Oppositionssprecher Abdel Hafidh Ghogha am 2. April. Der Luftangriff am Abend des 1. April habe den Truppen von Machthaber Muammar al Gaddafi gegolten. Die Rebellen seien getötet worden, als sie die Ölstadt Brega unter ihre Kontrolle bringen wollten. Ghoga sprach von einem "unglücklichen Versehen".
dapd, 2. April 2011



Die Organisation teilte mit, dass sie aufgrund von Geldmangel vorübergehend die Evakuierung von Libyen-Flüchtlingen in ihre Heimatländer einstellen müsse. Man brauche zusätzliche 160 Millionen Dollar, um die Heimkehr weiterer Flüchtlinge zu organisieren. Die Internationale Organisation für Migration habe bislang rund 84 000 Migranten nach Hause gebracht. Viele Menschen wurden mit gecharterten Flugzeugen von Tunesien zurückgeflogen.

Bei einem alliierten Luftangriff auf einen Militärkonvoi des Gaddafi-Regimes in Libyen sollen sieben Zivilisten ums Leben gekommen sein. Ein BBC-Reporter in der von Regierungsgegnern kontrollierten Stadt Adschdabija berichtete am Freitag (1. Apr.) unter Berufung auf einen libyschen Arzt von dem Angriff. Der Mediziner sei zwei Tage zuvor in ein Dorf nahe des umkämpften Ölhafens Brega gerufen worden. Dort seien sieben Menschen getötet und 25 weitere verletzt worden, als alliierte Flugzeuge Raketen auf den Militärkonvoi abfeuerten.

Die Geschosse hätten die Militärfahrzeuge getroffen, habe der Arzt dem Reporter gesagt. Ein Munitionstransporter sei explodiert, die mächtige Detonation habe auch zwei Wohnhäuser zerstört. Deswegen sei es zu den Opfern unter den Bewohnern gekommen.

Unterdessen haben sich die Aufständischen unter Bedingungen zu einem Waffenstillstand bereit erklärt. Voraussetzung sei, dass die Truppen von Staatschef Muammar al-Gaddafi ihre Offensive beendeten und sich zurückzögen, sagte der Vorsitzende des Nationalen Übergangsrates, Mustafa Abdel Dschalil. Die Rebellen waren zuletzt in die Defensive geraten. US-Oberbefehlshaber Mike Mullen hatte erklärt, schlechtes Wetter habe die Luftangriffe in dieser Woche behindert.

* Aus: Neues Deutschland, 2. April 2011


NATO tötet Zivilisten

Zerstörte Wohnhäuser bei Alliiertenangriff in Libyen. Aufständische stellen Bedingungen für Waffenstillstand **

Bei einem alliierten Luftangriff auf einen Militärkonvoi der libyschen Regierungstruppen sind laut einem BBC-Bericht Zivilisten ums Leben gekommen. Ein libyscher Arzt, der zwei Tage zuvor in ein Dorf nahe des umkämpften Ölhafens Brega gerufen worden war, erklärte gegenüber einem britischen Reporter, daß sieben Menschen getötet und 25 weitere verletzt wurden, als alliierte Flugzeuge Raketen auf einen Militärkonvoi abfeuerten. Dabei sei ein Munitionstransporter explodiert, und zwei Wohnhäuser seien zerstört worden.

Unterdessen haben Regierungstruppen die Rebellen entlang der Küste weiter zurückgedrängt, der genaue Frontverlauf war am Freitag aber unklar. Bei einer Pressekonferenz nannten die in die Defensive geratenen Aufständischen nun erstmals Bedingungen für einen Waffenstillstand. Die Soldaten von Staatschef Muammar Al-Ghaddafi müßten sich aus allen Städten zurückziehen und friedliche Proteste zulassen, erklärte ein Sprecher.

Die USA wollen sich ab Sonntag auf eine »unterstützende« Rolle beschränken und nur auf Bitten der NATO-Führung wieder Angriffe in Libyen fliegen, erklärte Generalstabschef Mullen. Die USA würden aber weiter Flugzeuge in der Luft betanken sowie Rettungs- und Aufklärungsmissionen fliegen. Nicht klar war, ob die Angriffe mit Marschflugkörpern von US-Schiffen aus weitergehen sollen. US-Verteidigungsminister Robert Gates sprach sich in der Anhörung dafür aus, daß die USA ihre Beziehungen zu den Ghaddafi-Gegnern vorerst nicht weiter ausbauen. Er sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt gegen deren Ausbildung und Bewaffnung. Bislang lägen noch zu wenig Informationen über sie und ihre Ziele vor.

Ein Mitarbeiter Ghaddafis führte in den vergangenen Tagen in London Gespräche mit britischen Regierungsvertretern. Die BBC und andere Medien meldeten, Mohammed Ismail, ein ranghoher Berater von Ghaddafis Sohn Saif Al-Islam, sei nach den Gesprächen wieder nach Libyen zurückgekehrt. (dpa/dapd/AFP/jW)

** Aus: junge Welt, 2. April 2011


Auf in den Krieg

Schweden: Parlament stimmt für Entsendung von Kampfjets nach Libyen

Von Peter Steiniger ***


Mit großer Mehrheit hat am Freitag (1. Apr.) das Schwedische Parlament einem Kriegseinsatz der Luftwaffe über libyschem Territorium zugestimmt. Nur die Vertreter der rechtslastigen Schwedendemokraten votierten dagegen.

Damit gibt der Reichstag den Plänen der konservativ geführten Regierung von Fredrik Reinfeldt grünes Licht, sich an der Intervention in Libyen zu beteiligen. Bis zu 250 Militärangehörige sollen für zunächst drei Monate als Beitrag zur »Aufrechterhaltung der Flugverbotszone« entsandt werden. Die formelle Anfrage der NATO-geführten Koalition, welche sich auf einen Beschluß des UN-Sicherheitsrates stützen kann, hatte Reinfeldt herbeigewünscht, um Schwedens Teilnahme zu legitimieren.

Umgehend auf den Weg zum Mittelmeer gebracht werden acht JAS 39 Gripen-Mehrzweckkampfflugzeuge, ein Tankflugzeug vom Typ C-130 sowie eine Aufklärungsmaschine. Die zugehörige Personalstärke liegt zunächst bei 130 und kann bei Bedarf um weitere Piloten und Bodenkräfte verstärkt werden. Der erste kriegerische Auslandseinsatz der schwedischen Luftwaffe seit der Beteiligung an einem UN-Mandat im Kongo vor einem halben Jahrhundert unterliegt der Einschränkung, daß deren Kampfjets nur zur Selbstverteidigung schießen und keine Ziele am Boden angreifen dürften. Außenminister Carl Bildt und Vertreter der Regierungskoalition bekräftigten in der Parlamentsdebatte, daß sie eine Teilnahme an Luftangriffen vorgezogen hätten.

Einen entsprechenden Kompromiß hatte das Reinfeldt-Kabinett zuvor mit den Sozialdemokraten als größter Oppositionspartei augehandelt. Die Linkspartei begrüßt das Ergebnis. Ihr Vorstand hatte sich für ein Ja zum Libyen-Einsatz ausgesprochen. Denn die Zivilbevölkerung müsse vor Ghaddafis Truppen geschützt werden. Ihr außenpolitischer Sprecher Hans Linde sieht nun Gefahren, daß die Operation »die Grenzen des UN-Mandats überschreiten« könne. Die Folge wäre eine Rücknahme der Zustimmung seiner Partei. Mehrere Abgeordnete der Linkspartei enthielten sich der Stimme. Schweden solle sich humanitär statt militärisch in dem Konflikt engagieren, welcher immer mehr Züge eines Bürgerkriegs annehme, machte Jens Holm deren Standpunkt deutlich.

Mit dem Libyen-Beschluß unterstreicht Schweden seine fortgeschrittene NATO-Kompatibilität. Er bedeutet weiteren Auftrieb für Bestrebungen zu einer förmlichen Aufgabe der Allianzfreiheit des Landes.

*** Aus: junge Welt, 2. April 2011


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