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Ghaddafis Offensive

Libysche Regierungstruppen erobern wichtige Städte zurück. Auch Journalisten werden Opfer von Anschlägen und Verhaftungen

Von Karin Leukefeld *

Nach heftigen Kämpfen mit bewaffneten Kräften der Opposition in Ras Lanuf und Begra hat das libysche Militär am Wochenende offenbar die Kontrolle über die beiden strategisch wichtigen Küstenstädte im Osten des Landes zurückgewonnen. Angeblich soll die Luftwaffe dabei Raffinerien und Öllager bombardiert haben, was die Regierung jedoch dementierte. Schukri Ghanem von der Nationalen Ölgesellschaft erklärte, die Angriffe hätten lediglich »kleinere Lager für Diesel in As Sidra«, westlich von Ras Lanuf, getroffen. Fathi Faraj vom libyschen Ölunternehmen AGOCO meinte dagegen, Ghaddafi zeige mit den Angriffen seine »wahren Absichten: Entweder kontrolliert er das Öl, oder er bombardiert es«.

Auch aus der westlich von Tripolis gelegenen Stadt Al-Sawija mußten sich die Oppositionskräfte nach einer massiven Offensive von Heer, Marine und der Luftwaffe zurückziehen. 90 Prozent des Landes seien wieder unter staatlicher Kontrolle, sagte Ghaddafis Sohn Saif Al-Islam einer italienischen Zeitung. Die Unruhen seien »bald vorbei«.

Staatschef Muammar Al-Ghaddafi warf dem Westen vor, das libysche Volk zu beleidigen, »es zu Sklaven zu machen und die Kontrolle über das Öl übernehmen« zu wollen. Die Ölproduktion des nordafrikanischen Landes ist nach Auskunft von Ghanem seit Beginn der Kämpfe Mitte Februar um zwei Drittel auf 500000 Barrel pro Tag gesunken.

Unterdessen kam es laut Berichten von Journalisten in Bengasi und Tobruk, den zwei größten Städten im Osten Libyens, nach dem Freitagsgebet (11. März) erneut zu großen Kundgebungen. Dabei sei Entschlossenheit im Kampf gegen Ghaddafi demonstriert worden, der als »Feind Gottes« bezeichnet wurde, berichtete ein Reporter des ägyptischen Online-Portals Ahram. »Wir werden nicht aufgeben«, wiederholte die Menge Parolen, die auf Transparenten und an Häuserwänden zu lesen waren, »wir werden siegen oder sterben«. Dennoch sei deutliche Unruhe unter den Demonstranten spürbar gewesen, äußerte der Reporter. Wenn die militärisch nicht ausgebildeten und nur locker zusammengewürfelten Oppositionsgruppen Luft- und Bodenangriffen der geschulten Militärverbände gegenüberstünden, reichten Mut und Glaube nicht. Laut sei der Ruf nach internationaler Unterstützung und einer Flugverbotszone erhoben worden. Man könne gegen Soldaten kämpfen, »aber nicht gegen Kampfjets«, zitierte der Reporter den 23jährigen Medizinstudenten Mohammed Fadallah.

Am Sonntag (13. März) wurde ein Kameramann des arabischen Nachrichtensenders Al-Dschasira in einem Hinterhalt unweit von Bengasi erschossen, als er mit zwei Kollegen von einer Demonstration von Oppositionellen zurückkam. Drei BBC-Mitarbeiter wurden nach 21 Stunden in Tripolis freigelassen, nachdem man sie gefesselt, geschlagen und einer Scheinexekution ausgesetzt hatte. Die drei berichteten von anderen Gefangenen, die sie während ihrer Festnahme gesehen und gesprochen hatten, und die schwer mißhandelt worden seien. Nach acht Tagen wurde am Sonntag Andrei Netto, Reporter des brasilianischen O Estado de Sao Paulo freigelassen. Der irakische Journalist Ghaith Abdul-Ahad, der für den britischen Guardian berichtet, wird seit einer Woche vermißt.

* Aus: junge Welt, 14. März 2011


Vormarsch von Gaddafis Truppen auf Bengasi

Arabische Liga spricht sich für Flugverbotszone über Libyen aus **

Die Gaddafi-treue libysche Armee befindet sich auf dem Vormarsch gegen die Aufständischen im Landesosten. Diese mussten sich aus mehreren Orten zurückziehen. Die Arabische Liga sprach sich auf einer Tagung in Kairo für die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen aus. Außenminister Westerwelle mahnte zur Zurückhaltung.

Die Truppen von Libyens Staatschef Muammar el-Gaddafi gewinnen im Kampf gegen die Aufständischen immer mehr an Boden. Nachdem die Regierungstruppen am Sonntag (13. März) die Umgebung der Stadt Brega einnahmen, zogen sich die Rebellen nach eigenen Angaben in die weiter östlich gelegene Stadt Adschdabija zurück, dem letzten Stützpunkt vor der Oppositionshochburg Bengasi.

Die Gaddafi-Truppen hatten am Samstag bereits die Rückeroberung der Städte Ben Dschawad und Ras Lanuf gefeiert, wie ein AFP-Journalist berichtete. Gaddafis Sohn Seif el-Islam erklärte am Samstag in italienischen Medien, der Sieg über die Aufständischen stehe kurz bevor. 90 Prozent des Landes seien unter der Kontrolle der regierungstreuen Truppen.

Während die Gaddafi-Gegner vor allem noch Teile im Osten des Landes kontrollieren, halten sie im Westen noch die Stadt Misrata. Nachdem diese vergangene Woche Ziel von Offensiven der Gaddafi-Truppen war, wurden am Sonntag laut Bewohnern in der Umgebung Schüsse aus automatischen Waffen abgegeben. Ein weiterer Bewohner sagte, er erwarte, dass Soldaten Gaddafis die Stadt angreifen würden, nachdem bereits die westlich gelegene Stadt Al-Sawijah zurückerobert wurde. Erstmals seit Beginn des Konflikts wurde ein ausländischer Journalist getötet. Dabei handelt es sich um einen Kameramann des katarischen Fernsehsenders Al Dschasira.

Trotz der anhaltenden Kämpfe in Libyen ist bislang noch keine Entscheidung hinsichtlich der Einrichtung einer Flugverbotszone über dem nordafrikanischen Land gefallen. Bei einem Treffen in Kairo sprach sich am Samstag allerdings die Arabische Liga für diese Maßnahme aus und rief den UN-Sicherheitsrat auf, »seiner Verantwortung gerecht zu werden«. Damit sollten weitere Angriffe der libyschen Luftwaffe auf die Aufständischen verhindert werden. Die USA begrüßten die Forderung.

International herrscht indes weiter Uneinigkeit über die Einrichtung einer Flugverbotszone. Nach den Krisentreffen von EU und NATO, die keine konkreten Ergebnisse brachten, ist für den heutigen Montag ein G-8-Treffen auf Ministerebene geplant. US-Außenministerin Hillary Clinton und ihre EU-Kollegen wollen dann in Paris erneut über eine Flugverbotszone diskutieren und dies mit Russlands Außenminister Sergej Lawrow abstimmen, nachdem Moskau sich diesbezüglich bislang zurückhaltend gezeigt hatte.

Auch die Bundesregierung äußerte sich skeptisch. Außenminister Guido Westerwelle hatte am Samstag (12. März) die deutsche Position zur Libyen-Krise bekräftigt. Er rief mit Nachdruck zur Zurückhaltung bei Überlegungen für eventuelle militärische Eingriffe auf und forderte stattdessen Gespräche mit den Nachbarn Libyens. Es sei wichtig, den Eindruck zu vermeiden, dass es um einen »christlichen Kreuzzug gegen Menschen muslimischen Glaubens« gehe, sagte Westerwelle zu Beginn eines informellen Treffens der EU-Außenminister in Gödöllö bei Budapest. »Wir wollen nicht in einen Krieg im Norden Afrikas hineingezogen werden«, sagte der Minister weiter. »Ich glaube, es ist nicht gesund, wenn Europa über andere Länder spricht, anstatt mit diesen Ländern«. In Nordafrika seien Freiheitsbewegungen der Völker im Gange. Europa solle dies unterstützen, »wenn gewünscht«, doch nur als »Partnerschaft auf gleicher Augenhöhe« mit den dortigen Akteuren. Entscheidungen des Westens ohne Einbeziehung der betroffenen Nationen würde »das zarte Pflänzchen Demokratie« vor Ort gefährden.

** Aus: Neues Deutschland, 14. März 2011


Mit neun Stimmen für Flugverbot

Arabische Liga: Ghaddafi hat »seine Legitimität verloren«

Von Karin Leukefeld ***


Die Außenminister der Arabischen Liga haben am Sonnabend (12. März) in Kairo den UN-Sicherheitsrat aufgefordert, eine Flugverbotszone über Libyen durchzusetzen. Mit seinen Angriffen auf die eigene Bevölkerung habe der libysche Staatschef Muammar Al-Ghaddafi »seine Legitimität verloren«, hieß es in dem Beschluß. Außerdem solle der UN-Sicherheitsrat einen »sicheren Hafen« einrichten, um »das libysche Volk und Bürger anderer Staaten zu schützen«. Eine »ausländische Intervention« in Libyen lehnte die Liga hingegen ab, die zukünftig mit dem oppositionellen Nationalrat in Bengasi zusammenarbeiten will. Der Rat hatte sich am 5. März unter Führung des früheren Justizministers Mustafa Abdel Dschalil zur einzig legitimen Vertretung des Landes ausgerufen.

Von den 22 Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga hatten lediglich elf Staaten an der Sitzung teilgenommen, nur neun stimmten für die Resolution. Libyen war bereits vor zwei Wochen aus dem Gremium ausgeschlossen worden. Syrien und Algerien votierten gegen die Erklärung. Der syrische Vertreter bei der Arabischen Liga, Yussef Ahmad, warnte, eine Flugverbotszone könnte zu einer ausländischen Intervention führen. »Jede Invasion ist eine Verletzung der libyschen Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Integrität«, sagte er. Sie sei zudem »unvereinbar mit der Charta der Arabischen Liga und mit den Prinzipien des Völkerrechts«.

Sowohl Großbritannien als auch die USA begrüßten die Entscheidung der Liga. Die Afrikanische Union (AU) hält hingegen an ihrer Ablehnung einer Flugverbotszone fest und hat sich gegen jede ausländische Einmischung ausgesprochen. Südafrika, Uganda, Mauretanien, die Demokratische Republik Kongo und Mali haben eine Vermittlungsdelegation gebildet, die in der kommenden Woche in Libyen »alle Parteien zu einem Dialog untereinander und mit den Partnern der Afrikanischen Union bewegen« will, teilte die AU mit.

Die Einrichtung einer vom Mittelmeer aus kontrollierten Flugverbotszone über Libyen würde nach einer Studie des Washingtoner »Center for Strategic and Budgetary Assessments« bis zu einer Milliarde US-Dollar kosten, meldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung am vergangenen Freitag. Die wöchentlichen Folgekosten lägen demnach bei 100 bis 300 Millionen US-Dollar.

*** Aus: junge Welt, 14. März 2011


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