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Machtgierige Milizen

Im NATO-Krieg gegen Libyen aufgerüstete Kampfgruppen terrorisieren Bevölkerung

Von Karin Leukefeld *

Der vermutlich von Milizen entführte Vizechef des libyschen Geheimdienstes ist am Montag wieder freigelassen worden. Mustafa Nuh war am Sonntag am Flughafen von Tripolis von Unbekannten verschleppt worden. Kurz darauf waren aufgebrachte Menschen in der Hauptstadt Tripolis in das Nationalparlament gestürmt. Sie forderten die Regierung auf, dem Treiben der Milizen ein Ende zu setzen. Der Zorn der Einwohner richtet sich vor allem gegen die Misrata-Milizen, die in der vergangenen Woche mindestens 43 Menschen getötet haben. Deren Kämpfer hatten auf Demonstranten gefeuert, die sie vor ihrem Hauptquartier zum Abzug aus Tripolis aufforderten. Erst als andere Milizen den Demonstranten zu Hilfe eilten, zogen sich die Misrata-Kämpfer in die von ihnen besetzten Gebäude zurück. Krankenhäuser gaben die Zahl der Verletzten mit 450 an. Aus Protest gegen die Milizen und zur Trauer um die Toten war in Tripoli ein dreitägiger Streik ausgerufen worden.

Die Führung der Milizen in der Hafenstadt Misrata hat nun den Rückzug aus Tripolis angeordnet. Die Kämpfer sollten die Hauptstadt innerhalb von 72 Stunden verlassen, hieß es in einer am Sonntag verbreiteten Erklärung. Die Auseinandersetzung mit den Demonstranten folge »einem Plan, das Ansehen der Misrata-Milizen zu zerstören«. Es solle so aussehen, als seien »die Milizen das einzige Hindernis, den Staat wieder aufzubauen«. Die Misrata-Miliz hatte sich während des NATO-Krieges gegen den früheren Staatschef Muammar Ghaddafi 2011 mit ihrer Kampfkraft und Brutalität ein gewisses »Ansehen« verschafft und war vom Westen und von den Golfstaaten ausgerüstet und unterstützt worden. Nach dem Sturz Ghaddafis weigerten sich die Kämpfer aus Misrata wie die meisten Milizen, ihre Waffen wieder abzugeben. Manche verknüpften die Entwaffnung mit der Forderung nach politischem Einfluß. Andere Milizen wurden in die libyschen Streitkräfte eingegliedert.

Erst am Mittwoch vergangener Woche hatte eine Gruppe früherer Kämpfer die Ölraffinerie in Zawiya besetzt und die Produktion gestoppt, um ihrer Forderung nach medizinischer Versorgung von Verletzungen, die sie sich im Krieg zugezogen hatten, Nachdruck zu verleihen. Die Anlage produziert mit 120000 Barrel Benzin pro Tag rund ein Fünftel des Gesamtbedarfs Libyens. Sorgen, daß der Treibstoff knapp werden könnte, wies der Sprecher der Nationalen Ölgesellschaft, Mohammed Al-Hrairi, zurück. Es gebe Reserven für 20 Tage, sagte er in Tripolis. Der Streit werde »rasch gelöst«. Unter Ghaddafi war die medizinische Versorgung in Libyen kostenlos, viele Libyer konnten sich auf staatliche Kosten im Ausland behandeln lassen.

Seit dem von Frankreich, Großbritannien und Katar begonnen Krieg gegen das Land, der dann von der NATO mit UN-Mandat unterstützt wurde und mit dem gewaltsamen Tod Ghaddafis endete, herrscht in Libyen politisches, militärisches und ökonomisches Chaos. Erst am Dienstag hatte der Weltwährungsfonds gewarnt, daß die Wirtschaftskraft des Landes 2013 wegen der wiederholten Proteste an den Ölförder- und Verarbeitungsanlagen um 5,1 Prozent zurückgehen werde. Die Förderung ist seit Juli dieses Jahres von landesweit 1,5 Millionen Barrel Öl pro Tag nach IWF-Angaben auf 250000 Barrel gesunken. Der libysche Wirtschaftsminister Mustafa Abu Fanas räumte zwar Verluste ein, sagte aber, daß Libyen über genügend Rücklagen verfüge. Die Regierung sei in der Lage, weiterhin Löhne und Gehälter zu zahlen. Die Verluste durch die Protestaktionen an den Ölanlagen bezifferte der Wirtschaftsminister auf umgerechnet rund 4,5 Milliarden Euro. Andere Quellen gehen von einem Verlust von mehr als zehn Milliarden Euro aus.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 19. November 2013

Karin Leukefeld

referiert auf dem Friedenspolitischen Ratschlag 2013 zum Thema:
Der Krieg gegen Syrien ist vertagt. Die Gefahr bleibt bestehen
Workshop B6 am Samstagnachmittag 7. Dezember 2013.
Zum ganzen Programm des Friedensratschlags.




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