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Treibende Kräfte

Ein russischer Fernsehsender belegt: Die "Berichterstattung" westlicher Medien über den Bürgerkrieg in Libyen ist zum großen Teil Kriegspropaganda

Von Rainer Rupp *

Am Dienstag (8. März) drohte US-Präsident Barack Obama der Regierung Libyens mit völkerrechtswidrigen Militärinterventionen, falls die Gewalt in dem nordafrikanischen Land nicht aufhöre. Die Forderung kann Oberst Muammar Al-Ghaddafi nicht erfüllen, denn Libyen befindet sich inzwischen in einem Bürgerkrieg, d.h. die Gewalt geht von beiden Seiten aus. Der Friedensnobelpreisträger in Washington versuchte zugleich, den Bürgerkrieg anzuheizen, indem er westlichen Agenturmeldungen zufolge Saudi-Arabien bat, die Rebellen mit panzerbrechenden und anderen Waffen aller Art zu versorgen. Am selben Tag mußte der britische Außenminister William Hague im Londoner Unterhaus eingestehen, daß eine schwer bewaffnete Spezialeinheit der britischen Armee, angeblich begleitet von einem »Diplomaten« ihrer Majestät, in der Nähe des ostlibyschen Bengasi festgenommen wurde. Das unterstreicht, daß die westliche Aggression gegen Libyen längst begonnen hat.

In einer neuen »humanitären Intervention« sollen offensichtlich die großen Energievorräte Libyens für das westliche Kapital befreit werden. Die Rechtfertigung für einen Militäreinsatz soll die von westlichen Medien und Regierungen aufgestellte Behauptung liefern, Ghaddafi bombardiere mit seiner Luftwaffe Zivilisten, die friedlich demonstrierten. Für diese These wurden bisher jedoch keine Beweise vorgelegt.

Reine Einbildung

Der von Moskau aus operierende internationale Nachrichtensender »Russia Today« (RT) hat westliche Meldungen dieser Art inzwischen als reine Kriegspropaganda entlarvt. Unter Berufung auf namentlich nicht genannte, hochrangige Quellen in der russischen Militäraufklärung berichtete RT, daß die von westlichen Medien und Politikern mit Empörung verurteilten Luftschläge gegen die Zivilbevölkerung in Bengasi nicht stattgefunden haben. Laut RT habe die militärische Führung Rußlands die Entwicklung in Libyen mit Hilfe moderner Aufklärungsmittel, inklusive Satellitenbeobachtung, von Anfang an genau verfolgt. Die angeblichen Angriffe der libyschen Luftwaffe auf demonstrierende Menschenmengen seien »reine Einbildung« westlicher Medien.

Belegt sind allerdings einige Luftangriffe der Regierungstruppen auf von Rebellen eroberte Munitionslager. Keith Harman, ein unabhängiger Kriegskorrespondent aus den USA, der sich vor Ort in Libyen befindet, aber nicht für die großen Konzernmedien arbeitet, berichtete am Montag in einem RT-Interview von solch einem Angriff. Zuerst hätten die Rebellen das Waffendepot der Regierung gestürmt und erobert. Als die Regierung dann mit einem Luftangriff das Depot zerstörte, hätten viele westliche Journalisten, aber auch der im Emirat Katar stationierte Fernsehsender Al-Dschasira daraus einen Angriff auf Demonstranten gemacht. Ghaddafi sei zum Monster und Diktator abgestempelt worden, der sein eigenes Volk bombardiert. Die »friedlichen Demonstranten«, die bei dem Luftschlag auf das Munitionslager getötet wurden, waren demnach schwer bewaffnet.

Mehr Blut

In einem Sonderbericht aus Bengasi und Tripolis zeigte RT am Montag (7. März) darüber hinaus, daß derzeit das Leben in den beiden Hauptstädten friedlich verläuft. Beide liegen Hunderte Kilometer von der Frontlinie der sich bekämpfenden Lager entfernt. Bengasi gleicht laut RT einer Urlauberstadt am Meer, in der Kinder am Strand spielen und die Menschen in Ruhe ihren Einkäufen nachgehen. Die Straßen sind belebt, Angst vor Luftangriffen herrscht offenbar nicht. Allerdings werden die RT-Journalisten Zeugen, wie ein Al-Dschasira-Team auf einer etwas erhöhten Terrasse seine Kamera aufbaut und ein Mitarbeiter die Menschen auf dem Platz auffordert, nach vorn zu kommen um Anti-Ghaddafi-Parolen zu rufen. Der Al-Dschasira-Mann führt wie ein Dirigent Regie, während die Kamera die »Wut« der Massen in Bildern einfängt, die später um die Welt gingen.

Janan Moussa, eine junge Korrespondentin für die Nachrichtenagentur Al Aan Network aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, die in den letzten Tagen eigenen Angaben zufolge Hunderte von Kilometern die Rebellen an die Front begleitet hatte und dabei auch unter Beschuß gekommen war, erklärte gegenüber RT, sie verstehe die Empörung ihrer westlichen Kollegen nicht: »Wir sind hier im Krieg.« Beide Seiten seien schwer bewaffnet. »Es gibt eine Front, und dort wird geschossen«. Da müsse man mit Opfern rechnen. Aber die westlichen Journalisten hätten in ihrer Berichterstattung jede Verhältnismäßigkeit verloren.

Ähnlich äußerte sich die RT-Korrespondentin in Bengasi: Die westlichen Journalisten seien »nicht nur Teil der Entwicklungen hier, sondern die eigentliche Kraft, die diese Entwicklungen vorantreibt«. Sie seien nicht daran interessiert, »wie man Blutvergießen und Gewalt verhindern« könne, sondern sie »fordern geradezu mehr davon«

* Aus: junge Welt, 9. März 2011


Desinformation: Strippenzieher hinter Nebelwand **

Über 300 Tote soll es bei den Unruhen in Ägypten von Ende Januar bis Mitte Februar gegeben haben, einige Schätzungen nennen weit höhere Zahlen. Seinerzeit versuchten westliche Medien – wenn sie überhaupt berichteten –, das Mubarak-Regime ins rechte Licht zu setzen, und riefen beide Seiten zur Mäßigung auf. Verglichen damit ist die regelrechte Hetzkampagne, die die gleichen Medien derzeit während des Bürgerkriegs in Libyen gegen Oberst Muammar Al-Ghaddafi führen, erstaunlich. Von Aufrufen an beide Seiten zur Mäßigung kann keine Rede sein, vielmehr wird von der Regierungsseite verlangt, sich unter Androhung einer westlichen Intervention bedingungslos zu ergeben.

Wie schon bei den Vorbereitungen des US-Angriffskriegs gegen Irak 2003 ist erneut die New York Times (NYT) Wortführerin einer hysterischen Kriegstreiberei. Wie das geschieht, veranlaßte Professor Stephen Cohen von der New York University, in einem Interview mit dem Nachrichtensender »Russia Today« am Montag, die NYT als »das offizielle, staatliche Ministerium für Propaganda und Desinformation der Regierung der Vereinigten Staaten« zu bezeichnen.

Cohen bezweifelt nicht den Willen eines großen Teils der libyschen Bevölkerung, Ghaddafi loszuwerden. Nach seiner Ansicht wissen aber die Libyer genau, daß es ihnen sehr viel besser geht als ihren Nachbarn in Ägypten und Tunesien. Sie seien sich darüber im klaren, daß das Schlimmste, was ihnen passieren könnte, eine westliche Intervention wäre. Ihr Land mit den begehrten Ölvorräten werde dann zur Beute westlicher Konzerne und Kapitalinteressen.

Westliche Medien zitieren aber Forderungen nach einer Militärintervention, die von den US-hörigen Emigranten der Nationalen Front für die Rettung Libyens und anderen stammen. Diese Leute sind inzwischen in die östlichen, von Rebellen gehaltenen Gebiete Libyens zurückgekehrt. Tatsächlich ziehen hinter einer Propagandanebelwand westliche Journalisten und Politiker gemeinsam die Fäden für einen neuen imperialistischen Krieg.

(rwr)

** Aus: junge Welt, 9. März 2011


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