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NATO verlängert Krieg

Libyen: Heftige Luftangriffe auf Sirte und Bani Walid. Aus beiden Städten fliehen Zivilisten

Von Karin Leukefeld *

Kampfjets der NATO sollen bei mehreren Luftangriffen in der Nacht zu Donnerstag auf die Hafenstadt Sirte mehr als 150 Menschen getötet haben. Auch Artillerie der Kampftruppen des sogenannten Nationalen Übergangsrates seien an dem Angriff beteiligt gewesen, sagte der Sprecher von Muammar Al-Ghaddafi, Musa Ibrahim, telefonisch der Nachrichtenagentur Reuters. Die Menschen seien »in ihren Häusern getötet worden«, so Ibrahim, das städtische Krankenhaus hätte die Arbeit einstellen müssen. In der vergangenen Woche sollen mehr als 300 Menschen durch NATO-Luftangriffe in Sirte getötet worden sein..

Sirte ist von den Aufständischen zu Land eingekreist, seeseitig und aus der Luft wird die Stadt von der NATO kontrolliert. Bis auf Satellitenverbindungen sind alle Kommunikationsmöglichkeiten gekappt. Auch die Wüstenstadt Bani Walid soll heftigen Luftangriffen ausgesetzt sein, heißt es aus Kreisen der Ghaddafi-Kämpfer. Sowohl aus Sirte als auch aus Bani Walid fliehen Zivilisten. Flüchtlinge aus Sirte berichteten Journalisten des südafrikanischen Nachrichtensenders News24, es habe seit dem 20. August keinen Strom mehr in Sirte gegeben, es gebe kein Wasser, kaum Benzin, die Nahrungsmittel seien knapp.

Während die einen sagen, sie seien von Ghaddafis Truppen an der Flucht gehindert worden, berichteten andere, sie seien aus Furcht vor den Angriffen der NATO und der Rebellen nicht geflohen. Die Stadt sei dauernd mit Raketen beschossen und aus der Luft angegriffen worden. Widersprüchliche Angaben gibt es auch über die Haltung der Zivilbevölkerung in Sirte. Während manche Reporter berichten, Zivilisten hätten sich den Kämpfern Ghaddafis angeschlossen, um die Stadt »gegen die NATO-Rebellen« zu verteidigen, heißt es in anderen Berichten, ganze Familien würden von Ghaddafi-Kämpfern regelrecht »hingerichtet«, sobald man sie verdächtige, mit den neuen Machthabern Libyens zu sympathisieren.

Am Donnerstag (22. Sept.) hatte die NATO in Brüssel erklärt, ihre Angriffe in Libyen für weitere 90 Tage fortzusetzen. Die Kampfflugzeuge würden in der Luft bleiben, solange die libyschen Bürger bedroht seien, sagte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Die Mission sei bisher »außerordentlich erfolgreich« gewesen. Die Kampfjets flogen seit März 23350 Einsätze, davon waren 8751 gezielte Angriffe. Am 30. Juli wurden bei einem Angriff auf das staatliche libysche Fernsehen drei Journalisten getötet und 21 verletzt. Unbestätigten Berichten zufolge wurden seit März bis zu 50000 Menschen getötet.

Journalisten berichten derweil von völlig desorientierten Kämpfern des Übergangsrates. Vor Bani Walid hätten einige sich durch unkontrollierten Waffengebrauch selbst oder Kameraden getötet. Es gebe keine Koordination und keine Disziplin, schreibt Mohammed Ali Harissi für Middle East Online. Bei Bani Walid wurde der Korrespondent von BBC Arabisch und der libanesischen Tageszeitung As Safir, Mohammad Ballout, durch ein fingergroßes Geschoß schwer verletzt, das zuvor zwei weitere Medienmitarbeiter durchbohrt und einen von ihnen getötet hatte.

Sowohl die Afrikanische Union, als auch Algerien haben mittlerweile den Nationalen Übergangsrat in Libyen anerkannt. Der südafrikanische Präsident Jakob Zuma forderte auf der UN-Vollversammlung ein Ende der Kämpfe in Libyen und der NATO-Luftangriffe.

* Aus: junge Welt, 24. September 2011


Gefährlicher Kuchen

Von René Heilig **

Eine Lagerhalle nahe der zentrallibyschen Stadt Sabha. Tausende blaue Fässer sind mehrfach übereinander gestapelt, daneben Plastiksäcke ebenfalls mit gelbem Pulver darin. Davor steht ein CNN-Reporter, der darüber sinniert, was wohl geschehen würde, wenn die ringsum reichlich vorhandene Munition explodieren würde. Dann würde genau das geschehen, was Terrorexperten weltweit meinen, wenn sie vor schmutzigen Bomben warnen. Denn der orange-gelbe Stoff, den man Yellow Cake, also gelben Kuchen nennt, ist eine radioaktive Uranverbindung, aus der man beispielsweise Brennstäbe machen kann.

Erinnern wir uns: Als die USA einen Grund suchten, Irak zu überfallen, behaupteten sie, der Schurkenstaat habe Yellow Cake aus Niger importiert, um Atombomben zu bauen. Das war zwar gelogen, doch wer wollte das Risiko eingehen, von Saddam überrascht zu werden? Und nun? Jeder dahergelaufene Bandit kann sich bedienen. Die siegreichen Krieger des Westens suchen zwar mit Spezialtruppen nach dem entmachteten Diktator, doch um den gefährlichen Kuchen, dessen Lagerort vom alten Regime ordentlich bei der IAEA bekannt gemacht worden war, kümmern sie sich nicht. So viel zum Anti-Terror-Krieg. Ach ja, nur so am Rande: Gaddafi hatte auch tonnenweise Chemiekampfstoffe produzieren lassen.

** Aus: Neues Deutschland, 24. September 2011 (Kommentar)


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