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Kämpfe in Libyen

Tote bei Gefechten zwischen verfeindete Milizen

Von Karin Leukefeld, Beirut *

Bei einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Milizen am vergangenen Wochenende in Libyen sind mindestens zwei Menschen getötet worden, die Zahl der zum Teil schwer Verletzten variiert zwischen 16 und mehr als 40 Personen. Die Kämpfe ereigneten sich Korrespondentenberichten zufolge in der gebirgigen Gegend von Gharjan und Assabia, rund 80 Kilometer südlich von Tripolis. Miteinander verfeindete Milizen aus beiden Orten hatten sich seit Freitag (13. Jan.) mit Luftabwehrraketen und Maschinengewehren beschossen. Osama Al-Juweili, amtierender Verteidigungsminister des libyschen Übergangsrates, hatte am Samstag (14. Jan.) vergeblich versucht, vor Ort zwischen beiden Seiten zu vermitteln und einen Waffenstillstand zu erreichen. Ebenso erfolglos blieb die Mission einer Delegation von Stammesältesten. Die hatten am Sonntag (15. Jan.) in Gharjan versucht, die Freilassung von Gefangenen zu erreichen.

Gegenüber dem Korrespondenten von BBC World räumten Vertreter der örtlichen Behörden ein, sie seien nicht in der Lage, die Kämpfe zu stoppen. Hintergrund ist offenbar der Versuch von »revolutionären Brigaden« in Gharjan, Anhänger des früheren libyschen Machthabers Muammar Ghaddafi aus Assabia zu entwaffnen. Die Ankündigung der Übergangsregierung, mit Unterstützung der neuen UN-Mission in Libyen (UNSMIL) einen Versöhnungsprozeß auch mit ehemaligen Anhängern Ghaddafis einzuleiten, ist in weiten Teilen des Landes auf scharfen Widerspruch gestoßen. Ebensowenig wie diese sind auch die ehemaligen Rebellen nicht bereit, ihre Waffen abzugeben.

Zuletzt war Anfang Januar in Tripolis ein mehrstündiger Kampf zwischen Milizen aus Misrata und einer lokalen Tripolis-Miliz ausgebrochen, bei dem vier Menschen starben und viele verletzt wurden. Seit der Einnahme von Tripolis haben bewaffnete Gruppen die libysche Hauptstadt unter sich aufgeteilt. Der internationale Flughafen wird von den Zintan-Milizen kontrolliert, die den Flughafen vor einigen Monaten eingenommen hatten. Als »Revolutionäre« betrachten sich die Rebellen auch als »Hüter der Revolution«. Ihre bewaffnete Präsenz in der Hauptstadt und an Orten zentraler Infrastruktur (Flughafen, Häfen, Ölförderanlagen) soll ihren Machtanspruch unterstreichen.

Mehrmals hat die Übergangsregierung die Milizen aufgefordert, ihre Waffen abzugeben, bisher ohne Erfolg. Auch Proteste der Einwohner von Tripoli, die die Milizen aufforderten, die Stadt zu verlassen, waren vergeblich. Selbst der Vorsitzende des Übergangsrates, Mustafa Abduljalil warnte nun vor einem Bürgerkrieg, sollte es nicht gelingen, die Milizen zu kontrollieren und zu entwaffnen.

Vertreter des angeblich größten Zusammenschlusses von Milizen aus Misrata, Bengasi und Zintan, die »Koalition der libyschen Revolutionäre«, hatten schon im Dezember erklärt, sie würden erst dann ihre Waffen abgeben, wenn man die Kämpfer auch an der politischen Macht beteilige.

Die Ernennung von Oberst Yussef Al-Mangush zum neuen Armeechef Anfang Januar war von der Koalition der Revolutionäre umgehend zurückgewiesen worden. Er habe »nicht auf der Liste von sechs Kandidaten« gestanden, die die Rebellenbewegung der Übergangsregierung für den Posten vorgeschlagen hatte, erklärte Behlool Assid und einer der Mitbegründer des Rebellenzusammenschlusses die Ablehnung.

Der Militärrat der Cyrenaika, einem weiteren Zusammenschluß von Rebellen, hat wiederum einen eigenen Kandidaten für den Posten des Armeechefs vorgeschlagen. Eine dritte Gruppe von Rebellen unterstützt dagegen Mangush, der unter Ghaddafi Oberst war und 1999 aus dem aktiven Dienst ausschied. Anfang 2011 hatte er seine Sympathie für die Opposition gegen Ghaddafi erklärt, dessen Truppen ihn im April in Brega festgenommen hatten. Erst nach dem Sturz Tripolis Ende August kam Mangush aus der Gefangenschaft frei. Der vorherige, vom damaligen Übergangsrat ernannte Armeechef General Abdel Fatah Yunis war im Juli vergangenen Jahres aus Reihen der Rebellen ermordet worden. Der Mord an dem angesehenen Militär, der eigentlich für den Posten des Armeechefs einer neuen libyschen Armee vorgesehen war, ist bis heute nicht aufgeklärt.

* Aus: junge Welt, 17. Januar 2012

Aktuelle Meldung

Bengasi: Übergangsrat in der Bredouille

Libysche Demonstranten stürmten Sitz des Gremiums **

Empörte Demonstranten haben am Sonnabend (21. Jan.) den Sitz des libyschen Übergangsrates in der früheren Rebellenhochburg Bengasi gestürmt.

Nach stundenlanger Belagerung sei das Gebäude attackiert und geplündert worden, sagte ein Mitglied des Übergangsrates. Am Sitz des Gremiums demonstrierten zunächst Hunderte Menschen für mehr Transparenz und den Ausschluss von früheren Verantwortlichen der Führung um Staatschef Muammar al-Gaddafi von wichtigen Posten. Bis zum Abend stieg die Zahl der Demonstranten auf rund 2000. Laut Augenzeugen drangen mit Steinen und Metallstangen bewaffnete Demonstranten in das Gebäude ein und schleuderten selbst gebaute Sprengsätze. Verletzt wurde nach offiziellen Angaben niemand.

Die Demonstranten setzten bei ihrem Angriff die Fassade des Gebäudes in Brand, zerstörten Fenster und ein gepanzertes Fahrzeug, wie Ratsmitglied Fathi Badscha sagte. Sie hätten es den Menschen im Innern des Komplexes aber ermöglicht, das Gebäude zu verlassen. Unter ihnen war demnach auch der Vorsitzende des Übergangsrates, Mustafa Abdul Dschalil. Augenzeugen zufolge versuchte Dschalil erfolglos, die Demonstranten zu beruhigen.

Unterdessen kündigte der Vizepräsident des Übergangsrates sein Ausscheiden aus dem Gremium an. Er verzichte »im Interesse der Nation« auf sein Amt, sagte Abdel Hafes Ghoga am Sonntag dem Fernsehsender Al-Dschasira. Mit seiner Entscheidung reagiere er auf »die jüngsten Ereignisse«.

Ghoga war am Donnerstag (19. Jan.) in der Universität von Bengasi von wütenden Studenten angegriffen worden. Sie warfen ihm vor, Teil der alten Führung gewesen zu sein, und bezeichneten ihn als »Opportunisten«.

* Aus: neues deutschland, 23. Januar 2012




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