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Eingreifen in Libyen, aber wie?

Von Hans Georg Ehrhart *

In Libyen herrscht Bürgerkrieg. Friedliche Demonstrationen für mehr Demokratie und Freiheit sind zu einem bewaffneten Konflikt eskaliert, dessen Ausgang ungewiss ist. Angesichts der ungleichen Kräfteverhältnisse war es wahrscheinlich, dass die Anhänger Muammar al-Gaddafis gewinnen – mit schlimmen Folgen für seine Gegner. Vor diesem Hintergrund hat der UNO-Sicherheitsrat in der Resolution 1973 eine Flugverbotszone über Libyen beschlossen. Ist die internationale Gemeinschaft in der Pflicht einzugreifen? Die Antwort kann nur ein eindeutiges Ja sein. Die entscheidende Frage ist jedoch: Wie denn genau?

Bislang hatte die UNO in Resolution 1970 verschiedene Sanktionen gegen Libyen verhängt. Sie reichen von einem Waffenembargo über gezielte Sanktionen gegen Gaddafi, seine Familie und wichtige Anhänger bis zur Anrufung des Internationalen Strafgerichtshofs, wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Genozid zu ermitteln. Resolution 1973 erlaubt nun ein militärisches Eingreifen in Form der Einrichtung einer Flugverbotszone und gezielter Luftschläge. Ist ein militärisches Eingreifen aber sinnvoll? Verschiedene Gründe sprechen eher dagegen. Sie sollten auf jeden Fall mit bedacht werden:

1. Es besteht weder in der UNO noch in der EU Einigkeit über das politische Ziel einer solchen Aktion. Soll das Gaddafi-Regime beseitigt werden? Dann stellt sich die Frage was danach kommt und wie die Zukunft des Landes gestaltet werden soll. Auf jeden Fall dürfte ein langes internationales Engagement vor Ort notwendig sein. Oder soll die Opposition geschützt werden? Dann stellt sich die Frage wovor und wie lange? Das Flugverbot über dem Irak dauerte über zehn Jahre und behinderte die Gewaltherrschaft Saddam Husseins nicht wesentlich.

2. Die Einrichtung einer Flugverbotszone ist auch aus anderen Gründen problematisch. Die Gaddafi-Anhänger könnten Geiseln nehmen und als menschliche Schutzschilde missbrauchen, Flugabwehrbatterien z.B. in die Nähe von Krankenhäusern stationieren und Opfer der Luftschläge medial zur Schau stellen. Zivile Opfer, also so genannte Kollateralschäden, wären unvermeidbar.

3. Auch Gaddafi hat militärische Optionen, die bedacht werden müssen. Er verfügt über schultergestützte SAM-7 Boden-Luft-Raketen, sogenannte MANPADS. Die ideale Waffe, um Flugzeuge jeder Art – auch Zivilmaschinen – abzuschießen. Sie können zur Flugabwehr ebenso eingesetzt werden wie für Terroranschläge außerhalb des Landes. Gaddafi hat Erfahrung in der Unterstützung des internationalen Terrorismus. Er weiß also auf dieser Klaviatur zu spielen.

4. Die Durchsetzung der Flugverbotszone könnte eine Bodeninvasion erforderlich machen. Diese ist zwar vom Sicherheitsrat ausdrücklich ausgeschlossen worden. Doch zeigt die Erfahrung, dass Bürgerkriege nicht aus der Luft entschieden werden, sondern am Boden. Ist die internationale Gemeinschaft bereit, auch diesen Schritt zu tun, sollte sich die Sicherheitslage in Libyen nicht beruhigen? Wie viele eigene Tote ist sie bereit zu akzeptieren? Es geht letztlich um die Frage, ob die internationale Gemeinschaft willens ist, mit aller Konsequenz für die Aufständischen in Libyen militärisch in einen Bürgerkrieg einzugreifen.

5. Der Einsatz von militärischen Zwangsmitteln läuft vor allem auf das Engagement der USA, Frankreichs und Großbritanniens hinaus. Deren Image in der arabischen Welt ist angesichts der jüngeren (Irak, Afghanistan) und älteren Vergangenheit (Kolonialismus) eher negativ. Die Anhänger Gaddafis werden alles versuchen, die westlichen Akteure als Kreuzritter und Besatzer zu stigmatisieren.

6. Die Lage in der Region könnte eskalieren. Während die Arabische Liga den UNO-Beschluss unterstützt, gibt es in der Afrikanischen Union keinen Konsens für eine Flugverbotszone. Gaddafi hat durchaus auch Anhänger, insbesondere in einigen subsaharischen Ländern. Ägypten liefert angeblich heimlich Waffen an die libyschen Aufständischen. Zudem ist unklar, wie sich die Krise in Bahrain entwickelt. Sie könnte von einem lokalen sunnitisch-schiitischen Konflikt zu einem regionalen Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran eskalieren.

Die internationale Gemeinschaft ist in einem großen Dilemma. Sie muss eigentlich militärisch eingreifen, doch könnten die Folgen so dramatisch sein, dass sie es doch nicht tun sollte. Daraus folgt aber nicht, politisch passiv zu bleiben. Die internationale Gemeinschaft muss Gaddafi und seine Unterstützer in die Schranken weisen. Die Sanktionen sollten weiter verschärft werden, einschließlich der Verhängung eines vollständigen Öl- und Gasembargos. Die Opposition sollte mit allen erlaubten Mitteln unterstützt, humanitär Hilfe gewährleistet werden. Europa muss sich für politisch Verfolgte aus Libyen öffnen und dessen fragile Nachbarstaaten Ägypten und Tunesien unterstützen.

Letztlich ist es aber an den Libyern, ihr Recht auf Selbstbestimmung durchzusetzen. Dies sollte in einem von der UNO begleiteten politischen Prozess geschehen. Drei Schritte sind dafür notwendig: ein sofortiger Waffenstillstand, Gespräche zwischen den Konfliktparteien, Entsendung einer hauptsächlich von arabischen Staaten gestellten UNO-Blauhelmtruppe zur Absicherung des Waffenstillstands.

Diese Stellungnahme aus dem IFSH (Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg) wurde uns freundlicherweise zur Weiterverbreitung zur Verfügung gestellt. Hier geht es zum IFSH: www.ifsh.de.


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