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Durchhaltespritze

Kriegsfonds für libysche Aufständische

Von Knut Mellenthin *

Seit über sechs Wochen bombardiert die NATO Libyen. Trotzdem kommen die Rebellen nicht voran, sondern haben sogar mit der Verteidigung des von ihnen besetzten Territoriums Probleme. Jetzt sagen sie, daß sie ganz schnell zwei oder besser gleich drei Milliarden Dollar brauchen, um vielleicht doch noch die Kurve zu kriegen. Die westlichen Regierungen, die alles auf Ghaddafis totale Niederlage gesetzt haben, werden der Forderung wahrscheinlich nachkommen. Es bleibt ihnen, da sie auf keinen Fall eine Lösung durch Waffenstillstand und Verhandlungen wollen, auch gar nichts anderes übrig.

US-Außenministerin Hillary Clinton gibt sich als naive Frohnatur und scheint gar nicht wahrzunehmen, daß es überhaupt rechtliche und politische Probleme geben könnte. Das Geld ist doch schon da, verkündete sie auf einem Treffen der Rebellenunterstützer in Rom. Schließlich wurden aufgrund der Resolution 1970 des UN-Sicherheitsrats vom 26. Februar riesige Auslandsguthaben der libyschen Regierung eingefroren. Allein in den USA liegen über 30 Milliarden Dollar fest. Ein paar Milliarden davon könne man doch den Rebellen zuschieben, meint Clinton, und glaubt anscheinend allen Ernstes, daß sie dafür lediglich noch die Zustimmung ihres Kongresses braucht.

Die Außenministerin irrt. Ihr französischer Kollege Alain Juppé merkte dazu ganz richtig an, daß die Gelder lediglich »eingefroren«, aber eben nicht beschlagnahmt sind. Niemand, nicht einmal die US-Regierung, darf darüber einfach nach Belieben verfügen. Trotzdem scheint man sich in Rom, ersten unbestätigten Berichten zufolge, auf eine scheinbar elegante Lösung geeinigt zu haben: Die beschlagnahmten libyschen Gelder sollen als Sicherheit eingesetzt werden, um damit die Rebellen beim Einwerben von Anleihen zu unterstützen. Legal ist das auch nicht. Aber werden Rußland und China, die der Resolution 1970 zugestimmt haben, jetzt ernsthaft gegen deren Mißbrauch protestieren? Ernsthaft, nämlich mit der Einberufung einer Sondersitzung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen?

Die Rebellen werden mit dem Geldsegen selbstverständlich nicht nur, wie jetzt hervorgehoben wird, Lebensmittel und Medikamente einkaufen, sondern auch allerlei Kriegsgerät. Zwar gilt für ganz Libyen ein vom UN-Sicherheitsrat beschlossenes Waffenembargo. Aber die Flotten der NATO überwachen dieses ausschließlich gegenüber den nicht von den Rebellen beherrschten Landesteilen. Die US-Regierung durchbricht das Embargo sogar offen, indem sie für zunächst 25 Millionen Dollar sogenannte »nichtlethale Ausrüstung« liefert: Soldatenstiefel, Zelte, Schutzbekleidung. Indessen, auch solche Gegenstände fallen eindeutig unter das Verbot, Waffen nach Libyen zu liefern. Hillary Clinton hielt das nicht davon ab, in Rom alle Verbündeten der USA aufzurufen, diesem Beispiel zu folgen. Wer macht den Anfang?

* Aus: junge Welt, 6. Mai 2011


Stoppt das Töten

Von Rüdiger Göbel **

Krieg und Frieden in Rom: Der Vatikan fordert ein Ende der NATO-Luftangriffe gegen Libyen. Der Westen müsse statt dessen mit Staatschef Muammar Al-Ghaddafi verhandeln, erklärte Monsignor Giovanni Innocenzo Martinelli. Der Apostolische Vikar lebt seit 40 Jahren in Libyen und hat in den vergangenen Wochen wiederholt auf die zivilen Opfer des NATO-Bombardements aufmerksam gemacht. Der Bischof hat die Unterstützung des Papstes. Vatikansprecher Federico Lombardi sagte laut dapd, der Heilige Stuhl unterstütze seinen langjährigen Gesandten in Tripolis. Martinelli sei »eine Autorität, die die Situation kennt«.

In einem Interview mit AP ging Bischof Martinelli mit den NATO-Staaten ins Gericht. Der Westen habe keinerlei Recht, »ein Land zu betreten und den Führer zu eliminieren, weil er Verbrechen verdächtigt wird«. Der Militärpakt hatte am Wochenende versucht, Ghaddafi zu töten. Bei den Luftangriffen auf ein Wohnhaus in Tripolis wurden ein Sohn und drei Enkelkinder des Revolutionsführers getötet. Eine einwöchige Waffenruhe sei ein Zeichen der Menschlichkeit, für das die Libyer trotz der Wut, die der Krieg verursache, sehr empfänglich seien, so der Vikar. Die Bevölkerung sei von den andauernden Detonationen erschöpft und fordere großteils ein Ende der Feindseligkeiten.

Die NATO denkt derweil gar nicht daran, den Krieg in dem nordafrikanischen Land zu beenden. Ebenfalls in Rom kam am Donnerstag (5. Mai) die selbsternannte Libyen-Kontaktgruppe zusammen, der im wesentlichen NATO-Mitgliedsstaaten angehören. Die Außenminister aus gut 20 Ländern einigten sich darauf, für die Aufständischen einen Kriegsfonds aufzulegen und so für die Fortführung der Kämpfe zu sorgen. Die Ghaddafi-Gegner sollen Finanzspritzen aus eingefrorenem Staatsvermögen Libyens erhalten. In Deutschland etwa sind Konten im Wert von etwa sechs Milliarden Euro gesperrt, die USA halten 30 Milliarden Dollar zurück.

Die Aufständischen wird der Geldsegen freuen, eine Feuerpause oder Friedensverhandlungen mit Tripolis lehnen sie ab. Der sogenannte Übergangsrat, der vorgibt, einen Teil des nordafrikanischen Landes zu kontrollieren, präsentierte gestern Pläne für die Einberufung einer »Versammlung des gesamten libyschen Volkes«, der Ausarbeitung einer neuen Verfassung und für die Durchführung von Neuwahlen.

Bischof Martinelli wertet die Entschließung zur Finanzierung der Rebellenbewegung kritisch. Ein solcher Fonds könne »ein Klima von Anarchie und Haß« schaffen, sagte der Bischof gestern im Gespräch mit Asianews. In den Gebieten, die unter der Kontrolle der Rebellen stünden, herrsche bereits jetzt »vollkommene Anarchie«.

Die Kriegsallianz kann in Libyen nicht gewinnen, urteilt China Daily, die größte englischsprachige Tageszeitung der Volksrepublik. Statt dessen verliert der Westen in Afrika an Boden. Die NATO-Bombardierungen schürten die antikoloniale Stimmungen auf dem ganzen Kontinent, heißt es in einer Analyse des Blattes. Die libysche Regierung werde »zunehmend als Bannerträger im Kampf gegen die westliche kolo­niale Intervention angesehen«. Libyen erscheine hier weit mehr als vorderste Front der afrikanischen Länder im Widerstand gegen westliche Einmischung, als ein Ort, wo die UNO zum Schutz libyscher Zivilisten eine friedenssichernde Flugverbotszone mandatiert habe. Je länger sich der westliche Militärpakt in den innerlibyschen Konflikt einmische, desto stärker würden die antiinterventionistischen Gefühle in Afrika werden.

** Aus: junge Welt, 6. Mai 2011


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