Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Sonderfonds für Aufständische

Libyen-Kontaktgruppe beriet über Vorgehen gegen Gaddafi

Von Anna Maldini, Rom *

Finanzielle und politische Unterstützung sicherten die Mitglieder der Libyen-Kontaktgruppe den Aufständischen in Bengasi zu. Gleichzeitig haben sich mehrere Länder dazu entschlossen, die Übergangsregierung als einzigen legalen Vertreter des libyschen Volks anzuerkennen.

An den Beratungen in der italienischen Hauptstadt nahmen am Donnerstag (5. Mai) Vertreter von insgesamt 40 Staaten und internationalen Organisationen teil, darunter die Außenminister von USA, Frankreich, Großbritannien und Katar sowie die Generalsekretäre der Arabischen Liga und der NATO. Für Deutschland war Außenminister Guido Westerwelle anwesend. Auf einer Pressekonferenz wurde bekräftigt, dass die Gruppe »schnell und effizient« handeln wolle und dass im Mittelpunkt die Hilfe für die Zivilbevölkerung stehe. Dafür will man Gelder zur Verfügung stellen, die in erster Linie aus dem von der EU und den Vereinten Nationen »eingefrorenen« Vermögen des libyschen Staatschefs Gaddafi stammen.

Der Nationale Übergangsrat mit Sitz in Bengasi hatte zwei bis drei Milliarden Dollar für Lebensmittel, Medikamente und medizinische Einrichtungen gefordert. Der europäische Teil dieses Sonderfonds soll abwechselnd von Frankreich und Italien verwaltet werden. Auf libyscher Seite soll der Übergangsrat der Ansprechpartner sein. Dieser »zeitlich begrenzte Finanzmechanismus«, wie der Sonderfonds offiziell genannt wird, soll transparent sein und streng kontrolliert werden. In ihn soll auch Geld aus den Einnahmen der Ölförderung aus jenen Quellen fließen, die in den von den Rebellen kontrollierten Gebieten liegen. Nach Frankreich haben jetzt auch andere Staaten wie Spanien, Dänemark und die Niederlande den Nationalen Übergangsrat in Bengasi als einzigen legitimen Vertreter Libyens anerkannt.

Die Vertreter der Nationen, die direkt an den Luftangriffen auf das libysche Territorium beteiligt sind, hielten sich in Bezug auf die Militäraktionen relativ bedeckt – sowohl was die Art der Angriffe als auch was den zeitlichen Rahmen angeht. Man werde die Aktionen so lange fortsetzen, wie es die Situation erfordere, ließ insbesondere die NATO verlauten. Erst am Mittwoch hatte das italienische Parlament in Rom eine Resolution verabschiedet, in der ein Zeitlimit für den Einsatz italienischer Soldaten gefordert wird. Auf diese Formulierung hatten sich die Regierungsparteien geeinigt, nachdem es vorher fast zu einer Regierungskrise gekommen war, weil die eher europafeindliche und isolationistische Lega Nord jegliche Beteiligung Italiens an den Luftschlägen strikt abgelehnt hatte. Die Festlegung eines Zeitlimits war die einzige Möglichkeit, um die Krise zu verhindern.

Die Kontaktgruppe beriet auch über mögliche Schritte, die eine »politische und diplomatische Lösung« des Libyen-Konflikts begünstigen könnten. Die USA forderten alle Staaten der Welt auf, Gaddafi und sein Regime auf allen Ebenen zu isolieren, was konkret bedeutet, dass sich kein Land zu Verhandlungen mit Abgesandten Gaddafis bereit erklären soll. Ausnahme: Wenn es um seinen Rücktritt gehen sollte. Eine politische Lösung, so US-Außenministerin Hillary Clinton, sei eben nur denkbar, wenn sich Gaddafi endlich aus dem öffentlichen Leben zurückziehen und sein Land verlassen würde. Eine Kommandoaktion und die Ermordung des libyschen Machthabers schloss sie dabei aber ausdrücklich aus.

Italiens Außenminister Franco Frattini gab bekannt, dass der Nationale Übergangsrat in Bengasi demnächst mit Hilfe der UNO Verwaltungswahlen in zahlreichen Städten organisieren wolle. Die sei das erste Mal in der Geschichte des nordafrikanischen Staates.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Mai 2011


"Keine detaillierten Informationen"

Krieg gegen Gaddafi: Bundesregierung hält sich weitgehend raus und gibt Unwissen bekannt

Von René Heilig **


Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) fordert weiter einen »politischen Prozess« zur Lösung des Libyen-Streits. Zum Auftakt des Treffens der Libyen-Kontaktgruppe in Rom sagte er, die Grenzen der militärischen Möglichkeiten seien sichtbar.

Zustimmung für Westerwelle? Gerade jetzt, wo seine FDP die letzten Sargnägel schmiedet, um ihn politisch bestatten zu können? Doch er hat recht. Nicht einmal als Sicht jener, die den Krieg gegen das Gaddafi-Regime losgebrochen und dafür eigens die UN-Resolution 1973 initiiert haben, führt der Krieg bislang zu einer akzeptablen Lösung. Gleiches ahnen wohl auch die sogenannten Rebellen, die Gaddafi politisch beerben wollen aber militärisch trotz NATO-Unterstützung nicht vorankommen.

Wenn Westerwelle also Wahres sagt, wird ihm sein Ministerium nicht nachstehen wollen. Dennoch zeigt sich das Amt bei der Beantwortung einer Kleinen Anfrage der Bundestags-Linksfraktion nur bedingt auskunftsfähig. Schon zur 1. Frage, wie viele systematische Angriffe der libyschen Luftwaffe auf Zivilisten der Bundesregierung bekannt sind, heißt es nur: »Der Bundesregierung liegen keine detaillierten Informationen über Angriffe der libyschen Luftwaffe auf Zivilisten vor.« Seltsam: Immerhin waren solche (angeblichen) Attacken für den UN-Sicherheitsrat der wesentliche Grund, um über Libyen eine Flugverbotszone zu errichten. Deutschland hat sich der Stimme enthalten, was Westerwelle viel Ärger aus den Reihen der Union, der SPD und der Grünen einbrachte.

Aber sicher hetzte Gaddafi nach dem Sicherheitsratsbeschluss vom 18. März seine Piloten auf Zivilisten? »Auf die Antwort zu Frage 1. wird verwiesen.« Bislang wurde das Flugverbot – laut Bundesregierung – nur von einem Kampfjet verletzt. Der gehörte den Rebellen.

Die parlamentarischen Frager um die Abgeordnete Sevim Dagdelen zitierten sodann Pressemeldungen, laut denen Gaddafis Krieger Zivilpersonen als Schutzschilde benutzen. Antwort der Regierung: »Hierüber liegen keine eigenen Erkenntnisse vor.«

Damit der Sicherheitsrat solche brachialen Machtmittel beschließen kann, die die NATO zur »Operation Unified Protector« nutzt, muss man eine »Gefährdung des internationalen Friedens«, also eine grenzüberschreitende Bedrohung, konstatieren können. Die Bundesregierung kann das offenkundig nicht und verweist daher hilfsweise auf »die große Zahl Flüchtlinge mit ihrer potenziell destabilisierenden Wirkung auf die Nachbarländer, den Einsatz ausländischer Söldner durch das Gaddafi-Regime sowie die Bedrohung der zahlreichen ausländischen Staatsbürger in Libyen«. In der UN-Resolution spielt das seltsamerweise keine Rolle.

Das ist dürftig und kein Grund für militärische Zwangsoperationen. Zumal die Regierung kund tut, dass ihr über »die Herkunft, Motivation, Entlohnung und die Anzahl von nicht aus Libyen stammenden Kämpfern – man ahnt es – »keine Einzelheiten« bekannt sind.

Erfährt unsere Regierung gar nichts von der NATO? Oder haben Brüssels Bombenwerfer etwa auch keine Erkenntnisse über »das Böse«? Und der BND? Der hatte doch immer gute Drähte in den potenten Wüstenstaat, mit dem man noch unlängst Gemeinsamkeiten lebte. Vor allem Geschäftliches. Und so weiß die Bundesregierung immerhin, dass »der weitaus größte Teil« der in Deutschland nun eingefrorenen Vermögen »Gelder von staatlichen Einrichtungen Libyens« sind – 57 Konten mit rund 6,1 Milliarden Euro Einlagen.

Seit dem 31. März flog die NATO 5047 Luftwaffeneinsätze, 2042 davon waren Angriffsflüge. Aus der Statistik vom 3. Mai: Bei 161 Luftwaffeneinsätzen wurden zerstört: sieben Munitionslager, sechs Panzer, ein gepanzertes Fahrzeug, zwei Raketenwerfer. Dazu wurden zahlreiche Schiffe überwacht und kontrolliert.

** Aus: Neues Deutschland, 6. Mai 2011


Zurück zur Libyen-Seite

Zur Seite "Deutsche Außenpolitik"

Zurück zur Homepage