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Folter made by NATO

Vom Westen an die Macht gebombte Milizen in Libyen »außer Kontrolle«. Amnesty wirft Banden schwere Menschenrechtsverletzungen vor

Von Rüdiger Göbel *

Vor einem Jahr begann der Aufstand gegen den libyschen Staatschef Muammar Al-Ghaddafi. Am heutigen Freitag wird in Tripolis und in anderen Städten des nordafrikanischen Landes »an den Beginn der Revolution erinnert«, wie die Agentur dapd gestern vorsichtig formulierte. »Gefeiert« wird nicht. Die Stromversorgung fällt regelmäßig aus, das Gesundheitssystem liegt am Boden, von Sicherheit im Land kann keine Rede sein. Die von der NATO im vergangenen Jahr mit Luftangriffen unterstützten Milizen verlangen nach mehr Posten und Macht in dem ölreichen Libyen, wollen sich dem Nationalen Übergangsrat nicht unterordnen. In von den Banden betriebenen Internierungslagern werden Gefangene gefoltert und getötet. Erst am Donnerstag legte Amnesty International (ai) diesbezüglich einen Bericht über »weitreichende Menschenrechtsverletzungen« vor, der sich auf Vorort­recherchen einer Delegation in den vergangenen Wochen stützt. Schon im vergangenen September hatte die US-Organisation Human Rights Watch (HRW) die libysche Übergangsregierung aufgefordert, die »schlechte Behandlung von Gefangenen zu stoppen und ein leistungsfähiges Justizsystem aufzubauen«, wie AFP am Donnerstag (16. Feb.) in Erinnerung rief. Der Nationale Übergangsrat kündigte im November die Annahme eines entsprechenden Gesetzes zum Justizwesen an, »bis heute blieb er jedoch jede Angabe zum Inhalt des Gesetzes schuldig«, so die Agentur weiter.

Nach Angaben von ai haben bewaffnete Milizen seit vergangenem September in mindestens zwölf Fällen ihre Gefangenen zu Tode gefoltert. Mitarbeiter von Amnesty besichtigten unter anderem elf Haftlager in Zentral- und Westlibyen. In zehn von ihnen berichteten die Inhaftierten, sie seien gefoltert worden und zeigten ihre Verletzungen. Delegationsmitglied Carsten Jürgensen konstatierte, die Milizen seien »außer Kontrolle«. Vor einem Jahr hätten die Libyer »ihr Leben riskiert, um Gerechtigkeit zu fordern«. Heute sei diese »in großer Gefahr: durch gesetzlose bewaffnete Milizen, die auf den Menschenrechten herumtrampeln, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden«.

Eigentlich hat der Nationale Übergangsrat verfügt, es solle in diesen Tagen keine Militärparaden geben, es ist auch keine zentrale Feier zum Jahrestag des Umsturzes geplant. Offizielle Begründung: »Aus Achtung vor den Märtyrerfamilien, den Verletzten und Vermißten«. Tatsächlich aber findet das von der NATO ins Amt gebrachte Gremium auch kein Gehör. Die bewaffneten Banden lassen es sich nicht nehmen, ihre Waffen in Bengasi wie in Tripolis zur Schau zu tragen. In Konvois fahren sie durch die Stadt und ballern in die Luft. Die schwer bewaffneten Kohorten sorgten »neuerdings für Recht und Ordnung – beziehungsweise für das, was sie dafür halten«, schreibt AFP-Korrespondent Imed Lamloum in Tripolis: »Die Thowars (Revolutionäre) genannten Kämpfer setzen sich bunt zusammen: Studenten, Exfunktionäre des alten Machtapparates, Arbeitslose und auch viele Hitzköpfe, die in der Vergangenheit nicht zögerten, schon bei kleineren Konflikten gleich die Artillerie aufzufahren. Jedesmal gab es dabei Opfer. Die Thowars eint vor allem eins: Ihr fester Wille, nicht von ihren Waffen zu lassen.«

Deutschland unterstütze das »neue Libyen«, wie Bundesaußenminister Guido Westerwelle am Rande einer Lateinamerikareise bekundete. Der FDP-Politiker will, »daß aus diesem Neuanfang ein Aufbruch in Richtung einer demokratischen und pluralen Gesellschaft wird«.

* Aus: junge Welt, 17. Februar 2012

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