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Flüchtlinge in Libyen leben unter katastrophalen Bedingungen

Menschenrechtsorganisation kritisiert neue Machthaber für Zustand in Internierungslagern

Von Katja Herzberg *

Nach Aussagen des Menschenrechtlers Messaoud Romdhani hat sich die Lage für Flüchtlinge und Migranten in Libyen nach dem Sturz von Muammar al-Gaddafi nicht verbessert. Der Sprecher der tunesischen Sektion der Internationalen Föderation für Menschenrechte besuchte im Juni fünf Internierungslager und stellte dabei fest, dass dort weiterhin „katastrophale Bedingungen“ herrschten. Die Rebellen, die Gaddafi nach 32-jähriger Herrschaft mit Hilfe eines internationalen Kriegseinsatzes stürzten, haben inzwischen die Kontrolle über diese Lager übernommen. „Die Kommandeure sagten uns rundheraus, dass sie das Land von den »Illegalen« säubern wollen, weil die eine Gefahr für das Land darstellen“, sagte Romdhani im „nd“-Interview.

Die Lager seien überfüllt, das Essen sei schlecht und die hygienischen Bedingungen völlig unzureichend. Schlimmer noch: „Aus Berichten wissen wir von Folter und Misshandlungen“, so Romdhani. Konkrete Belege konnte er dafür zwar nicht sammeln, von der Brutalität der Paramilitärs ist er angesichts von Verletzungen, die er an Flüchtlingen gesehen hat, jedoch überzeugt. Romdhani kritisierte die Rebellen aber auch dafür, dass sie die Flüchtlinge und Migranten wie einst Gaddafi für die Durchsetzung politischer Ziele gegenüber der Europäischen Union benutzten.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 25. Juli 2012


Rebellen wollen Libyen "säubern"

Für Migranten und Flüchtlinge hat sich die Lage seit dem Sturz Gaddafis nicht gebessert **

Messaoud Romdhani ist Sprecher der tunesischen Sektion der Internationalen Föderation für Menschenrechte (FIDH). Mit einer internationalen Delegation der FIDH besuchte er im Juni eine Woche lang fünf Internierungslager für Migranten in Libyen. Mit Romdhani sprach für "neues deutschland" (nd) Matthias Heintze.


Herr Romdhani, der Umgang mit afrikanischen Flüchtlingen in Libyen unter Muammar al-Gaddafi galt als besonders brutal. Hat sich die Situation seit Gaddafis Sturz im August vergangenen Jahres verbessert?

Nein. In Libyen werden nach wie vor subsaharische Afrikaner in großer Zahl unter katastrophalen Bedingungen in Lager gesperrt. Es wird dabei nicht zwischen Migranten und Kriegsflüchtlingen oder Asylsuchenden unterschieden.

Wir haben fünf dieser Lager besucht. Im größten, südöstlich von Tripolis, werden 1000 Menschen gefangen gehalten. Sie wurden an Kontrollposten, bei Razzien, von Patrouillen oder an der Grenze aufgegriffen.

Unter wessen Kommando stehen diese Lager?

Die paramilitärischen Rebellen, die gegen Gaddafi kämpften, haben später die Kontrolle über die Internierungslager übernommen. Einige der Camps wurden auch neu errichtet. Die Kommandeure sagten uns rundheraus, dass sie das Land von den »Illegalen« säubern wollen, weil die eine Gefahr für das Land darstellen.

Welche Gefahr soll das sein?

Zum einen gelten subsaharische Männer seit der Zeit des Aufstands als Alliierte oder Kämpfer Gaddafis. Zum anderen glauben die Lagerkommandeure, die wir gesprochen haben, dass subsaharische Migranten Krankheiten – vor allem Aids – sowie Drogen und Prostitution ins Land bringen.

Wie sind die Zustände in den Lagern?

Die hygienischen Bedingungen sind katastrophal, die Lager sind überfüllt. Wir haben Zellen gesehen, in die 60 Menschen gesperrt waren. Der Boden ist restlos bedeckt mit Matratzen, man kann sich darin nicht bewegen. Es herrscht fürchterliche Hitze, die Gefangenen werden krank. Bisweilen müssen sie sich in den Zellen wegen des schlechten Essens übergeben. In manchen Fällen werden Kranke, Kinder, Frauen – darunter Schwangere – mit in diese Zellen gesperrt. Aus Berichten wissen wir von Folter und Misshandlungen.

Haben Sie Belege dafür gefunden?

Wir haben bei unseren Besuchen bei einem Teil der Gefangenen Striemen und Wunden an Rücken, Armen und Beinen gesehen. Aber wir können nicht sagen, woher diese Verletzungen stammen.

Wie geht es den Frauen in den Lagern? Gibt es Anhaltspunkte für Missbrauch?

Es gibt Berichte über sexuelle Gewalt. Wir konnten aber auch dafür keine konkreten Belege sammeln. Doch das Verhältnis zwischen den Wärtern und den gefangenen Frauen ist in einigen der Lager augenscheinlich sehr zweifelhaft, um es vorsichtig auszudrücken.

Was geschieht mit den Internierten?

Manchmal kommen die Botschafter und nehmen sie mit. Andere werden in Charterflügen abgeschoben. Wenn die Herkunftsländer nicht mit Libyen kooperieren wie etwa Somalia dann werden die Leute an der südlichen Grenze Libyens in der Sahara ausgesetzt.

Dürfen einige auch als Arbeitskräfte im Land bleiben?

In der Praxis geschieht dies, die politische Linie ist aber eine andere. Die Kommandeure sagten uns: »Wir schicken die Afrikaner zurück und holen dafür Inder, Bengalen und Pakistaner zum Arbeiten. «

Die EU hat – teils vermittelt durch Italien, teils direkt – in Sachen Migrationskontrolle eng mit Gaddafi kooperiert. Wie verhalten sich die neuen Machthaber in dieser Frage?

Die Rebellen wollen außenpolitisch dieselbe Rolle spielen wie seinerzeit Gaddafi. Sie wollen mit der EU kooperieren, um die Migranten aufzuhalten – und sich dafür ebenso bezahlen lassen wie Gaddafi. Umgekehrt wollen sie aber auch aus Eigennutz Hilfe für die Grenzkontrollen. Die Paramilitärs sagten uns ganz offen, dass sie die Italiener mit den Insassen der Lager erpressen werden: Wenn sie ihnen nicht helfen, den Zustrom an Migranten zu stoppen, schicken sie sie alle nach Europa – genau so, wie es Gaddafi am Ende seine Herrschaft getan hat.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 25. Juli 2012


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