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EU-Sternchen in Bengasi

Kaum fordert Washington stärkere Unterstützung der Rebellen in Libyen, da verschärft die Europäische Union ihr Vorgehen gegen Tripolis und die NATO ihre Bombenangriffe

Von Rüdiger Göbel *

Nach den USA zeigt die Europäische Union Flagge im ostlibyschen Bengasi. Die Fahne mit den gelben Sternen auf blauem Grund ist fortan offiziell in der Rebellenhochburg gehißt. Catherine Ashton, Außenbeauftragte der EU, war am Sonntag persönlich angereist, um diplomatische Kontakte zu den Aufständischen aufzunehmen und ein »Verbindungsbüro« der Europäer zu eröffnen. Sie freue sich auf ein besseres Libyen, in dem Revolutionsführer Muammar Al-Ghaddafi keine Rolle mehr spielen werde, zitierten die Nachrichtenagenturen Ashton. Im stark gesicherten Hotel Tibesti schwärmte die EU-Chefdiplomatin darüber hinaus: »Ich habe heute überall die Vision des libyschen Volks gesehen. Ich habe Transparente mit der Aufschrift ›Wir haben einen Traum‹ gesehen, als ich vom Flughafen kam.«

Die Parteinahme wider die libysche Regierung soll sich für den Westen auszahlen. Der Vorsitzende des selbsternannten Nationalen Übergangsrates in Bengasi, Mustafa Abdul Dschalil, stellte den »Unterstützernationen« wirtschaftliche Vorteile in Aussicht. »Unsere Freunde, die dieser Revolution Rückhalt geben, werden die besten Gelegenheiten für zukünftige Geschäfte in Libyen erhalten«, sagte der Rebellenchef laut dapd.

Die USA äußern sich derweil »besorgt« ob der finanziellen Probleme des sogenannten Übergangsrates. Die Rebellenvertretung in Bengasi habe gegenüber Washington auf »Defizite« hingewiesen. In einem junge Welt vorliegenden internen US-Diplomatenpapier an die EU ist von fehlenden 1,2 Milliarden US-Dollar die Rede. Wa­shingtons eindringliche Warnung: »Wir können einen finanziellen Kollaps des Übergangsrates nicht zulassen.« Dies würde das öffentliche Vertrauen in den Rat untergraben und »die Bemühungen der Opposition ernsthaft behindern, das Ghaddafi-Regime zu delegitimieren«. Die USA wollen dem Übergangsrat bei der Abwicklung von Ölverträgen helfen, heißt es in dem Schreiben weiter. Die EU wiederum wird aufgerufen, alle Möglichkeiten »kreativ« auszuschöpfen, die Rebellen zu unterstützen (»direkte, nichtletale Hilfe«). Außerdem drängt Washington die Europäer, den diplomatischen, politischen und finanziellen Druck gegen Tripolis zu verstärken. Am Montag verschärfte die EU wie geheißen die Sanktionen gegen Libyen.

Die NATO weitet derweil ihre Angriffe auf das nordafrikanische Land aus. Immer wieder wird die libysche Hauptstadt Tripolis bombardiert. Seit Beginn der »Mission« im März seien insgesamt bereits mehr als 7500 Einsätze geflogen worden. Bei fast 3000 davon habe es sich um Angriffsflüge gehandelt, hieß es in einer Mitteilung der NATO vom Wochenende. Angaben zu den zivilen Opfern seines Krieges macht der westliche Militärpakt nicht.

Frankreich will mit dem Einsatz von Kampfhubschraubern und Bodentrupen die Angriffe gegen die libyschen Regierungstruppen verstärken. Das berichtete die Zeitung Le Figaro am Montag. Demnach sollen schon in den kommenden Tagen ein Dutzend Helikopter eingesetzt werden. »Dies ist ein Mittel, um sich dem Boden zu nähern«, zitierte das Blatt aus Militärkreisen. Die Nachrichtenagentur Reuters meldete unter Berufung auf französische Diplomatenkreise, bei dem Kampfhubschraubereinsatz handle sich nicht um einen Alleingang der Regierung in Paris, sondern um eine koordinierte Aktion der NATO. Der Militärpakt selbst nahm zu dem Bericht zunächst nicht Stellung.

Die Staats- und Regierungschefs der Afrikanischen Union kommen an diesem Dienstag und Mittwoch in der äthiopischen Hauptsadt Addis Abeba zu einem Sondergipfel zusammen, auf dem sie über eine Lösung für den Libyen-Konflikt beraten wollen. Angesichts der westlichen Kriegseskalation wohl wieder einmal vergebens.

* Aus: junge Welt, 24. Mai 2011


Verrat als Vision

EU-Außenministerin Ashton in Bengasi

Von Werner Pirker **


Auf ein besseres Libyen, in dem Ghaddafi keine Rolle mehr spielen werde, freut sich EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton bei der Eröffnung eines Verbindungsbüros in Bengasi. Auf das gute Leben im künftigen, von den Westmächten verwalteten Protektorat darf man gespannt sein. Während in Tunesien, Ägypten, Jemen und Oman erste Schritte in Richtung Selbstbestimmung unternommen wurden oder in opferreichen Kämpfen noch darum gerungen wird, klammern sich die libyschen »Revolutionäre« so erbärmlich winselnd an die Kräfte der Fremdbestimmung, daß man vor Fremdscham in den Erdboden versinken möchte.

In bester Wertegemeinschaft-Semantik bekannte sich der Vorsitzende des aufständischen »Übergangsrates«, Abdul Dschalil, zur Respektierung von internationalem Recht und Menschenrechten – Rachefeldzüge gegen Befürworter der gegenwärtigen Staatsmacht mit eingeschlossen. Nach Erledigung seines der political correctness geschuldeten Programmteils kam der frühere Justizminister der Libyschen Volksjamahiriya auf die profanen, aber um so wesentlicheren Dinge des Lebens zu sprechen. Den USA und der EU versicherte er, es künftig nicht bereuen zu müssen, »uns geholfen zu haben.« Um noch den letzten Zweifel an der bürgerlichen Rechtschaffenheit der libyschen »Revolutionäre« zu zerstreuen, fügte Dschalil hinzu: »Unsere Freunde, die diese Revolution unterstützen, werden die besten Gelegenheiten für zukünftige Geschäfte in Libyen erhalten.« Das ist fürwahr eine seltsame Metamorphose der revolutionären Idee. Eine arabische »Revolution«, deren Markenkern bisher immer die unbedingte Gegnerschaft zur westlichen Vorherrschaft bildete, erkauft sich ausländische Unterstützung über den Ausverkauf der nationalen Reichtümer und der staatlichen Souveränität.

Mrs. Ashton wußte in Bengasi den von den libyschen Ghaddafi-Gegnern mit heroischer Geste begangenen gemeinen Verrat als »Vision des libyschen Volkes« zu würdigen. Davor hatten sie die Machthaber von Bengasi mit dem Transparent »Wir haben einen Traum« rührselig gestimmt.

Trotz dieses offenkundigen Zusammenspiels zwischen westlicher Hegemonialpolitik und libyschem Aufstand werden die Ghaddafi-Gegner von den meisten Revolutionsaktivisten in den anderen arabischen Ländern als Kampfgennossen betrachtet. Von nicht wenigen wird die NATO-Aggression als das geringere Übel im Vergleich zu einem Verbleib des eigenwilligen Oberst an der Macht betrachtet. Das ist ein gefährlicher Trugschluß. Denn der libysche Aufstand, der von den Aufständischen aus eigener Kraft nicht zu gewinnen ist, weshalb sie imperialistische Interventen ins Land gebeten haben, ist nicht Teil der arabischen Revolution, sondern der Beginn einer konterrevolutionären Gegenoffensive, die in Syrien ihre Fortsetzung finden könnte. In ihrem eigenen revolitionären Interesse müßte die arabische Straße aufstehen, um Libyen und seine legitime Führung zu verteidigen.

** Aus: junge Welt, 24. Mai 2011 (Kommentar)


Brüssel verschärft Sanktionen gegen Syrien

Zudem weitere Strafmaßnahmen für Libyen, Iran und Belarus bei Außenministertreffen der EU beschlossen ***

Mit weiteren Sanktionen will die Europäische Union den Druck auf die syrische Regierung erhöhen. Die Außenminister der Mitglieder beschlossen am Montag in Brüssel, auch die Konten in EU-Ländern von Staatschef Baschar Al-Assad zu sperren und ihn nicht mehr in die Union einreisen zu lassen. Zudem wurden neun weitere Vertreter der Regierung in Damaskus auf die Strafliste gesetzt. Assad war von einer vor zwei Wochen beschlossenen ersten Sanktionsrunde für 13 Personen zunächst ausgenommen worden. Die EU wolle Assad so zu einem Ende der Gewalt gegen die Protestbewegung in seinem Land bringen, hieß es in Brüssel. Die BRD gehörte zunächst zu den Ländern, die Assad verschonen wollten. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) rechtfertigte dies am Montag mit dem Versuch, Assad so eine Brücke zu bauen, um die Repressionen zu beenden. Weil der Präsident jedoch mit der »gewalttätigen Unterdrückung friedliebender Demonstranten« weitergemacht habe, werde er nun auch mit Strafmaßnahmen belegt, so der FDP-Politiker beim Außenministertreffen in Brüssel.

Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen sollen bei den seit Mitte März laufenden Protesten in Syrien mehr als 800 Zivilpersonen ums Leben gekommen sein.

Verschärft wurden am Montag auch die Sanktionen gegen Libyen, den Iran und Belarus. Gegen einen weiteren Regierungsangehörigen in Tripolis verhängten die Außenminister ein Einreiseverbot sowie eine Kontensperrung. Zudem wurde eine libysche Fluglinie, die mit Machthaber Muammar Al Ghaddafi in Verbindung gebracht wird, auf die Liste gesetzt. Gegen Ghaddafi selbst hatte die EU bereits Vermögenssperren ausgesprochen.

Die Strafmaßnahmen gegen Tehe­ran richten sich gegen fünf Personen sowie 100 Firmen und Banken, denen die EU die Beteiligung an einem Atomprogramm vorwirft. In Belarus wurden nach harten Urteilen gegen Oppositionelle 13 dem Präsidenten Alexander Lukaschenko nahestehende Personen sanktioniert. (dapd/jW)

*** Aus: junge Welt, 24. Mai 2011


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