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Libyen: Stellvertreterkrieg zwischen USA und China?

In der russischen Wirtschaftszeitung "Wedomosti" werden interessante Vermutungen aufgestellt *

Im US-Kongress mehren sich die Zweifel an dem offiziellen Grund für den Libyen-Einsatz, schreibt die Zeitung "Wedomosti" am Mittwoch, den 8. Juni 2011.

Ein Sprecher des Weißen Hauses warf den Gegnern der Operation „Odyssey Dawn“ eine „unkonstruktive Haltung“ vor. Fragen nach dem Sinn dieser Operation sind offenbar unerwünscht, obwohl alle wissen, worum es sich dabei eigentlich handelt.

Der Krieg in Nordafrika sei nicht gegen Libyen, sondern gegen China gerichtet, stellte der Republikaner Craig Roberts fest, der Vizefinanzminister unter dem früheren Präsidenten Ronald Reagan gewesen war. In der Zeitschrift „Foreign Policy Journal“ vermutete er, dass „die Anti-Gaddafi-Proteste anscheinend von der CIA im Osten Libyens organisiert wurden, wo etwa 80 Prozent aller Ölvorräte konzentriert sind und China mit seinen Investitionen im Energiesektor tätig ist.“

Der Gedanke ist nicht abwegig: Nach Angaben des Handelsministeriums in Peking waren im März (Beginn des Libyen-Einsatzes) 75 chinesische Großunternehmen in Libyen mit Verträgen im Gesamtwert von 18 Milliarden Dollar engagiert. Wegen der Kämpfe müssen die Chinesen jetzt mit riesigen Verlusten rechnen.

Gaddafi scheint ein guter Anlass für Washington zu sein, sich mit Peking auseinanderzusetzen, das in den letzten Jahren halb Afrika aufgekauft hat. 1995 hatte sich Chinas Handelsumsatz mit den afrikanischen Ländern auf lediglich sechs Milliarden Dollar belaufen. 2010 übertraf er bereits die Marke von 130 Milliarden Dollar. Nach Einschätzung der südafrikanischen Standard Bank könnten Chinas Direktinvestitionen in Afrika bis 2015 etwa 50 Milliarden Dollar erreichen. Dank Afrika decken die Chinesen bis zu 28 Prozent ihres Ölbedarfs. Das Ende der Fahnenstange ist dabei noch lange nicht erreicht. Chinesische Unternehmen erwerben ständig neue Vorkommen auf dem Schwarzen Kontinent.

Eine Besonderheit der chinesischen Expansion nach Afrika besteht darin, dass Peking im Unterschied zu den Europäern und Amerikanern keine unangenehmen Fragen nach den Menschenrechten stellt. Sudan, das aus politischen Gründen für westliche Ölkonzerne seit vielen Jahren versperrt bleibt, stieg in den vergangenen Jahren zu einem der wichtigsten Öllieferanten Chinas auf. Um das autoritäre Regime Robert Mugabes in Simbabwe zu unterstützen, machten die Chinesen von ihrem Vetorecht im UN-Sicherheitsrat Gebrauch. Im Gegenzug erhalten sie den Zugang zu Diamanten und Platin.

Als die gesamte Welt im September 2009 die blutige Niederschlagung der Massenproteste in Guinea verurteilte, zeigte sich die Volksrepublik zu neuen Investitionen in diesem Land bereit. Für den Ausbau der dortigen Infrastruktur werden die Chinesen bis zu sieben Milliarden Dollar ausgeben. Dafür wurde ihnen der Zugang zu aussichtsreichen Ölvorkommen in Guinea versprochen.

Neben den wirtschaftlichen Aktivitäten weitet China auch seinen politischen Einfluss in Afrika aus. Neue Straßen und Schulen werden gebaut; die afrikanischen Regierungen erhalten Kredite, müssen aber Pekings „Spielregeln“ akzeptieren. Washington sind dabei die Hände gebunden. Kennzeichnend dafür war Angolas Verzicht auf einen IWF-Kredit im Jahr 2008, weil es bereits einen günstigeren Kredit von China erhalten hatte. Diesem Beispiel folgten später auch Tschad, Nigeria, Sudan, Äthiopien und Uganda.

Deshalb will Washington die Entstehung eines „Chinafrikas“ um jeden Preis verhindern, selbst unter dem Vorwand, Gaddafi zu entmachten.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 8. Juni 2011; http://de.rian.ru


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