Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Bomben auf Tripolis und Misurata

NATO weitet über Ostern Angriffe gegen Libyen aus. Moskau will vermitteln

Von Karin Leukefeld *

Während der Osterfeiertage haben NATO-Kampfflugzeuge Ziele in Tripolis und Misurata bombardiert. In der Nacht zu Ostermontag habe man »Präzisionsangriffe« im Zentrum der libyschen Hauptstadt ausgeführt, hieß es in einer Erklärung der Militärallianz. Ziel sei eine »Kommunikationszentrale« gewesen, die »Angriffe auf die Zivilbevölkerung koordiniert« habe. Seit Beginn des Einsatzes am 31. März sind NATO-Kampfjets nach diesen Angaben 3700 mal gestartet, 1500 mal flogen sie Bombenangriffe. Über Ostern wurden demnach Raketenabschußrampen, gepanzerte Fahrzeuge, Bunker und Lager in Misurata, Tripolis und Sirt zerstört. 45 Menschen sollen bei den Angriffen verletzt worden sein, berichtete der Fernsehsender Al-Dschasira, 15 Personen seien schwer verletzt, einige Menschen würden vermißt.

Eine libysche Regierungssprecherin bestätigte am Montag (25. April) die schweren Bombardements von Tripolis, während denen zeitweise der Strom und die Fernsehübertragungen ausgefallen waren. Bei dem Angriff auf den Regierungssitz Bab Al-Aziziyah sei ein Bürogebäude zerstört worden. Die Sprecherin wertete die NATO-­Attacken als Mordanschlag gegen Staatschef Muammar Al-Ghaddafi. Bereits vor zwei Tagen war ein nahegelegener Parkplatz bombardiert worden, angeblich soll sich darunter ein Bunker befunden haben.

Libysche Truppen feuerten am Sonntag (24. April) erneut auf Stadtviertel in Misruata. Zuvor hatte die Regierung angekündigt, die Soldaten aus der Hafenstadt abzuziehen, damit der Rat der dort lebenden Stämme die Kontrolle der Stadt übernehmen könne. Regierungssprecher Mussa Ibrahim bekräftigte die Entscheidung zum Rückzug aus Misurata, allerdings hätten sich die Truppen gegen Angriffe zur Wehr gesetzt.

Unterdessen hat sich Moskau bereiterklärt, zwischen den beiden Lagern in Libyen zu vermitteln. Voraussetzung sei allerdings ein sofortiger Waffenstillstand, berichtete der russische Nachrichtensender Russia Today (RT). Regierungschef Dmitri Medwedew wird dazu am kommenden Freitag (29. April) mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in New York zusammentreffen.

Die militärische und finanzielle Unterstützung der Oppositionsbewegung aus dem Ausland geht derweil weiter. US-Präsident Barack Obama genehmigte am Wochenende den Einsatz von Drohnen gegen die libyschen Truppen. Der republikanische Senator John MacCain traf in Bengasi mit Vertretern des Libyschen Nationalen Übergangsrates zusammen. Anschließend rief er den Westen auf, Waffen an die Aufständischen zu liefern. Ein RT-Reporter berichtete von schlecht ausgebildeten und undisziplinierten Kämpfern in Bengasi, die ständig in die Luft schießen würden. Es sei fraglich, wie lange die aus Großbritannien, Italien und Frankreich angekündigten militärischen Ausbilder bräuchten, um aus diesen Kämpfern eine Armee zu formen.

* Aus: junge Welt, 26. April 2011

Terrorkarriere des Tages: Abu bin Qumu

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 war Abu Sufian Ibrahim Ahmed Hamuda bin Qumu als Mitglied der militanten Libysch-Islamischen Kampfgruppe in Pakistan festgenommen worden, auch dank Hinweisen aus der Regierung des Obersts Ghaddafi. Den libyschen Informationen zufolge war bin Qumu »einer der extremistischen Kommandeure der ›afghanischen Araber‹«. Laut New York Times vom Wochenende wurde er wegen seiner »wahrscheinlichen Mitgliedschaft in Al-Qaida« fünf Jahre im US-Foltergefängnis in Guantánamo Bay eingekerkert. Noch 2005 waren seine dortigen Aufseher der Auffassung, eine eventuelle Freilassung bin Qumus stelle »für die Interessen der USA ein mittleres bis hohes Risiko« dar. Das galt zwei Jahre später nicht mehr, jedenfalls wurde er 2007 nach Libyen abgeschoben, wo er nach einem Jahr im Rahmen einer Amnestie für politische Gefangene von Ghaddafi freigelassen wurde.

Heute ist der 51 Jahre alte Qumu laut dem New Yorker Blatt »eine namhafte Persönlichkeit in der libyschen Rebellenbewegung und Anführer eines wild zusammengewürfelten Haufens von Kämpfern, die unter dem Namen ›Darnah Brigade‹ bekannt sind«. Darnah ist eine ostlibysche Hafenstadt mit etwa hunderttausend Einwohnern, die einen Weltrekord in islamischem Radikalismus hält. Laut dem Combating Terrorism Center in West Point kamen 52 von insgesamt 600 Selbstmordattentätern in Irak aus Darnah. Dennoch war bin Qumus Karriere vom terroristischen Staatsfeind der USA und Guantánamo-Häftling zum libyschen Kämpfer für Demokratie und Menschenrechte und somit zum Verbündeten der USA absolut geradlinig. Selbst die New York Times kommt – wenn auch etwas verwundert – zu dem Schluß, daß die erstaunliche Wandlung bin Qumus vom Terroristen zum Repräsentanten westlicher Werte ausschließlich ein Resultat der »Kehrtwende der amerikanischen Politik« ist. (rwr)

(jW, 26. April 2011)




Zurück zur Libyen-Seite

Zur Terrorismus-Seite

Zurück zur Homepage