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Eine halbe Million aus Libyen geflohen

US-Militär setzt jetzt auch Kampfdrohnen ein *

In Libyen haben nach UN-Schätzungen bereits mehr als eine halbe Million Menschen wegen der andauernden Kämpfe das Land verlassen. Diese Zahl nannte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bei einem Besuch in Moskau.

»Ich fordere die libyschen Behörden dringend auf, die Kämpfe einzustellen und das Töten der Menschen zu beenden«, sagte Ban bei einem Besuch in der russischen Hauptstadt. Im Moment habe die Schaffung einer überprüfbaren und effektiven Waffenruhe für die Vereinten Nationen Priorität, um die humanitäre Hilfe auszuweiten, sagte Ban. Nur so könne auch der Flüchtlingsstrom gestoppt werden. Ban und Russlands Präsident Dmitri Medwedjew betonten, die UN-Resolution zu Libyen müsse genau eingehalten werden. Moskau hat wiederholt die Luftangriffe der westlichen Allianz kritisiert.

Mit einer Trauerfeier in der libyschen Rebellenhochburg Bengasi ist der beiden in Misrata getöteten Kriegsfotografen Tim Hetherington (Großbritannien) und Chris Hondros (USA) gedacht worden. Die Särge der Journalisten kamen in der Nacht zum Freitag mit dem Schiff in Bengasi an.

Unterdessen geht das US-Militär jetzt auch mit ferngesteuerten Kampfdrohnen gegen die Bodentruppen des libyschen Präsidenten Muammar al-Gaddafi vor. Präsident Barack Obama habe den Einsatz der unbemannten Flugzeuge genehmigt, sagte Pentagonchef Robert Gates. Der republikanische US-Senator John McCain traf am Freitag (22. April) zu einem Besuch in Bengasi ein. Dort sprach er mit Mitgliedern des Nationalen Übergangsrates, der als provisorische Regierung der Gaddafi-Gegner gilt.

Der britische Premier David Cameron erklärte, dass sein Land sich auf keinen Fall an einer Besetzung Libyens beteiligen würde.

Im Westen Libyens nahmen Aufständische den Übergang Wassin an der Grenze zu Tunesien ein. Dabei zwangen sie 13 Soldaten des Gaddafi-Regimes, darunter zwei Generale, zur Flucht nach Tunesien, so die tunesische Nachrichtenagentur TAP.

* Aus: Neues Deutschland, 23. April 2011


Das libysche Sarajevo

Von Detlef D. Pries ** Täglich berichten Frontkorrespondenten von toten und verwundeten Zivilisten in Misrata. Der Name der Stadt wird zum Inbegriff für das Leiden und Sterben im libyschen Bürgerkrieg. Schon wird Misrata mit Sarajevo verglichen. Nicht ganz zu Unrecht. Auch in der bosnischen Hauptstadt waren Zivilisten ins Kreuzfeuer der Bürgerkriegsparteien geraten – und wurden faktisch zu deren Geiseln. Auch in Sarajevo wurden die Opfer ausschließlich der einen Seite zugeschrieben. In Misrata kommen sie angeblich alle aufs Konto der Gaddafi-Krieger. Als kosteten NATO-Bombardements und das Feuer der Aufständischen, die als Bewaffnete nicht mehr Zivilisten sind, keine Menschenleben.

Wollte die »Koalition der Willigen« das Elend Misratas wirklich beenden, müsste sie sich zuerst und vor allem energisch um einen Waffenstillstand und um einen Friedensdialog bemühen. Stattdessen schicken die USA Kampfdrohnen. Großbritannien, Frankreich und Italien entsenden »Berater«, und Waffennachschub ist nach Aussagen der Rebellenführung in Bengasi auch vereinbart. So wird der Krieg angeheizt und das Leiden Misratas wird verlängert. Den Rebellen wird das Anlass sein, weiter jeden Dialog abzulehnen und noch mehr NATO-Unterstützung zu fordern. US-Senator John McCain nennt sie übrigens »Helden«. Ob er sich noch daran erinnert, dass der Vietnamkrieg, der für ihn als Gefangener in »Hilton Hanoi« endete, mit der Entsendung von USA-»Beratern« begann?

** Aus: Neues Deutschland, 23. April 2011 (Kommentar)

Bodensoldat des Tages: John McCain ***

Spiegel online analysierte am Freitag: »Die NATO kommt in Libyen nicht voran – jetzt drängen die USA wieder in die Führungsrolle. Präsident Obama läßt Ghaddafis Truppen mit Kampfdrohnen beschießen, der republikanische Senator John McCain besucht Bengasi. Bei seinem umjubelten Auftritt preist er die Rebellen als ›meine Helden‹.«

Der Gegenkandidat Obamas bei den Präsidentschaftswahlen 2008 und US-Held des als Vietnamkrieg bezeichneten Völkermordes tat sich in der Vergangenheit des öfteren als Befürworter des »Klotzens« hervor: Wenn Krieg, dann richtig. So unterstützte er 2003 den Irak-Krieg der USA, kritisierte aber den damaligen Präsidenten George W. Bush heftig für zu geringen Truppeneinsatz. Zu seinen Lieblingsideen zählen ein Angriff auf den Iran, der Ausschluß des »revanchistischen« Rußland aus den G 8 und die Verfolgung des Al-Qaida-Gespenstes bis in jede Gefängnisritze von Guantánamo. Im März legte er einen Gesetzentwurf vor, um die dortigen Gefangenen für immer zu inhaftieren.

Zeitgleich zu McCains Truppenbetreuung in Bengasi gab der Bundesnachrichtendienst (BND) am Freitag aber Störfeuer ab und ließ verlauten, er befürchte wegen der Entwicklung in Libyen eine Stärkung von »Al Qaida im islamischen Maghreb«. BND-Chef Ernst Uhrlau sagte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, schon jetzt zeichne sich ab, daß die Gruppe »durch die Erlangung von Waffen – darunter auch sehr modernen – aus Depots der Armee« eine Stärkung erfahren werde. Dem BND liegen demnach auch Informationen vor, wonach Al-Qaida-Angehörige versuchen, aus Afghanistan und Pakistan nach Libyen zu gelangen, angeblich, um gegen Ghaddafi zu kämpfen.

Am einfachsten wäre, der Superstratege McCain nähme das in die Hand und verteilte Reisepässe am Hindukusch oder in den Käfigen von Guantánamo. (asc)

*** Aus: junge Welt, 23. April 2011




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