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Afrika will Ende des Bombenkriegs

Gipfeltreffen in Addis Abeba / Waffenstillstandsangebot aus Tripolis / Waffen aus den USA

Von Roland Etzel *

Frankreich, Großbritannien und die USA haben gerade eine uneingeschränkte Fortsetzung des Bombenkriegs gegen die von Staatschef Gaddafi beherrschten Teile Libyens angekündigt und damit ihr Desinteresse an einer friedlichen Konfliktlösung untermauert. Eine diplomatische Initiative kommt dafür aus Afrika.

Die Afrikanische Union (AU) hat die NATO von ihrer Tagung in Addis Abeba aus zu einem Ende der Luftangriffe auf Ziele in Libyen aufgefordert. Es ist bereits das zweite Mal, dass sich die Regionalorganisation einschaltet, um den bereits seit zwei Monaten andauernden Bombenkrieg zu stoppen. Die NATO-Staaten selbst machen keinerlei Anstalten dazu. Im Gegenteil. Da Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi wohl doch nicht so isoliert ist wie anfangs behauptet und die Rebellen sich nach wie vor schwer tun, die Bevölkerungsmehrheit für sich zu gewinnen, hat sich die Hoffnung der Herren des Luftkrieges auf einen schnellen Triumph nicht erfüllt.

Die Arabische Liga, die mit ihrem Ja einst Frankreich die Rechtfertigung lieferte, im UN-Sicherheitsrat eine Flugverbotszone über Libyen zu fordern, schweigt seitdem zu allem, was in Libyen passiert. Auch von Russland, das die verhängnisvolle Kriegsresolution in der UNO passieren ließ, kommen nicht mehr als hilflose Erklärungen, man habe diese kriegerische, gegen Libyen gerichtete Resolution nicht gewollt.

So blieb es jetzt Afrika vorbehalten, dem Diktat der Destruktivität der Großmächte etwas entgegenzusetzen. Dies sei nötig, um eine politische Lösung des Konflikts zu ermöglichen, sagte der Friedens- und Sicherheitskommissar der AU, der Algerier Ramtane Lamamra, am Donnerstag (26. Mai) nach einem Gipfeltreffen der Organisation zu Libyen in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Die AU sei der Ansicht, dass die Luftangriffe nicht von den Resolutionen des UN-Sicherheitsrates zu dem Konflikt in Libyen gedeckt seien. Die AU-Staats- und Regierungschefs würden daher in einer Abschlusserklärung zum Gipfeltreffen das Ende der Luftangriffe verlangen, sagte Lamamra. Noch liegt das Dokument nicht vor, und die NATO-Staaten werden die Afrikaner bestimmt nicht ermutigen, sich damit zu beeilen.

Gegenwind für eine Waffenstillstandsinitiative kommt nicht zuletzt aus der Ecke der Rebellen. Der Leiter der Delegation der libyschen Rebellen bei dem Gipfel verlangt eine Fortsetzung der NATO-Luftangriffe. Ohne sie hätte es in Libyen Massaker wie einst in Ruanda gegeben, sagte Abdalla el-Subedi. Ob er sich mit dieser Bemerkung Freunde gemacht hat, ist ungewiss. Gerade die Afrikaner jener Region wissen, dass dieser Vergleich maßlos übertrieben ist.

Den Rebellen wird auch nicht gefallen, dass aus Tripolis erneut Signale des Einlenkens kommen. Libyens Ministerpräsident al-Baghdadi Ali al-Mahmudi will nach einem Bericht des Londoner »Independent« einen von der UNO überwachten Waffenstillstand vorschlagen. Wie die Zeitung am Donnerstag (26. Mai) unter Berufung auf den Regierungschef berichtete, sei Gaddafi zu bedingungslosen Gesprächen mit den Rebellen bereit.

»Das Libyen der Zukunft wird bedeutend anders sein als noch vor drei Monaten«, heißt es darin. Um diesen Prozess nun zu beschleunigen, sei es wichtig, »die Kämpfe einzustellen, Gespräche zu beginnen und uns auf eine neue Verfassung zu einigen«. Der Kreislauf der Gewalt müsse durch einen Kreislauf der Versöhnung ersetzt werden.

* Aus: Neues Deutschland, 27. Mai 2011

Afrikanische Union verabschiedete eine Entschließung zu Libyen

"The Assembly reiterated the need for an immediate ceasefire" / "Die Versammlung bekräftigte die Nootwendigkeit eines sofortigen Waffenstillstands" DECISION ON THE PEACEFUL RESOLUTION OF THE LIBYAN CRISIS / Entschließung der Afrikanischen Union zur friedlichen Lösung des Libyen-Konflikts (pdf-Datei, englisch) (29. Mai 2011)



Friedenssignal aus Afrika

Von André Scheer **

Während sich am Donnerstag (26. Mai) im französischen Deauville die Staatschefs der »G8« im Scheinwerferlicht sonnten und Durchhalteparolen für den Krieg gegen Libyen ausgaben, tagte im äthiopischen Addis Abeba die Afrikanische Union (AU). Weitgehend ignoriert von den europäischen und nordamerikanischen Massenmedien forderten die dort versammelten Staats- und Regierungschefs eine sofortige Einstellung der NATO-Luftangriffe. »Das ist ein Teil der Voraussetzungen, um eine politische Lösung möglich werden zu lassen«, unterstrich AU-Sicherheitskommissar Ramtane Lamamra. Sein Chef, Kommissionspräsident Jean Ping, machte sich jedoch keine Illusionen über den Friedenswillen der westlichen Mächte. »Einige internationale Kräfte scheinen Afrika jede bedeutende Rolle bei der Suche nach einer Lösung für den libyschen Konflikt verweigern zu wollen«, sagte er und warnte: »Afrika wird sich nicht auf die Rolle eines Beobachters seiner eigenen Angelegenheiten reduzieren lassen!«

Zuvor hatte sich einem Bericht der britischen Tageszeitung The Independent vom Donnerstag (26. Mai) zufolge der libysche Premierminister Baghdadi Al-Mahmudi mit einem erneuten Friedensangebot an die Aggressoren gewandt. Neben einer Waffenruhe beinhaltet der Vorschlag demnach eine Amnestie, Verhandlungen ohne Vorbedingungen mit den Aufständischen, nationale Aussöhnung und eine verfassungsmäßige Regierung. »Ein künftiges Libyen soll sich von dem von vor drei Monaten grundlegend unterscheiden. Das hat schon immer zu unseren Plänen gehört. Jetzt müssen wir diesen Prozeß aber beschleunigen«, heißt es in dem Brief. Erstmals wird dem britischen Blatt zufolge darin nicht auf die Rolle des gegenwärtigen Staatschefs Muammar Al-Ghaddafi eingegangen, während frühere Erklärungen aus Tripolis darauf beharrt hatten, daß dieser das Land auch in einer Übergangsphase nach einem möglichen Abkommen führen solle.

Ein Sprecher der spanischen Regierung bestätigte am Donnerstag, daß ein solches Angebot in mehreren europäi­schen Hauptstädten eingegangen sei. Das Büro des Ministerpräsidenten habe geantwortet, Madrid unterstütze die Haltung der EU, wonach eine Waffenruhe nur unter bestimmten Bedingungen gewollt sei. So müsse sie überprüfbar sein. Eine solche Kontrolle ist in dem libyschen Angebot dem Independent zufolge jedoch enthalten, allerdings nicht durch die Aggressoren, sondern durch die UNO und die Afrikanische Union. Die NATO, Berlin und Paris stellten sich unterdessen ahnungslos und erklärten, ihnen sei von einem derartigen Angebot nichts bekannt.

Demgegenüber wollen die Afrikaner die Chance für Frieden ergreifen. In der kommenden Woche plant Südafrikas Präsident Jacob Zuma, erneut zu Verhandlungen nach Tripolis zu reisen. Auch die türkische Regierung ist offenbar in die Vermittlungsmission einbezogen. Ein ähnlicher Versuch des derzeitigen UN-Sicherheitsratsmitglieds Südafrika und der Afrikanischen Union war im April gescheitert, weil die Rebellen auf einem sofortigen Machtverzicht Ghaddafis beharrten. Südafrika hatte die UN-Resolution 1973, mit der die NATO ihren Krieg gegen Libyen begründet, ursprünglich unterstützt. Mittlerweile kritisiert Pretoria jedoch ebenso wie Moskau und Peking, daß die anhaltenden Luftangriffe auf zivile Einrichtungen in dem nordafrikanischen Land nichts mehr mit der Durchsetzung einer Flugverbotszone oder dem Schutz der Bevölkerung zu tun haben.

** Aus: junge Welt, 27. Mai 2011


Afrikanische Vorbilder

Von Roland Etzel ***

Es ist erst zwei Tage her, dass sich Großbritanniens Premierminister Cameron und USA-Präsident Obama in London darauf verständigten, »den Druck auf das Gaddafi-Regime in Libyen zu erhöhen«. Immer unverhohlener wird ausgesprochen, dass der Krieg – im Widerspruch zum erteilten UN-Mandat – bis zum Sturz von Revolutionsführer Gaddafi durchgezogen werden soll. Schutz von Zivilisten vor Gaddafis Truppen – das ist die moralische Monstranz der Kriegsarmada. Dem Organisator des Krieges, Frankreichs Präsident Sarkozy, war es darum wohl am wenigsten gegangen.

Ideen für eine friedliche Lösung des Konflikts kommen den NATO-Strategen da ungelegen. Dennoch gibt es wieder eine Initiative. Hatten sich die Emissäre der ersten AU-Vermittlungsmission vor Wochen noch von der Dialogverweigerung seitens der NATO wie der Rebellen düpieren lassen, sind sie diesmal vielleicht besser auf die Konstellationen eingestellt.

Auch Südafrikas Präsident Zuma hat sich in Tripolis angesagt. Ganz gleich, ob er und andere AU-Abgesandte nun Gaddafi den Rücken stärken oder sich als Brückenbauer für einen für Gaddafi ehrenhaften und das Land friedvollen Abgang betätigen – die ansonsten unablässig von Europa in Demokratie geschulmeisterten Afrikaner haben dem Alten Kontinent bereits jetzt eine Lehre in Friedenspolitik erteilt, die ihm peinlich sein müsste.

*** Aus: Neues Deutschland, 27. Mai 2011 (Kommentar)


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