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Zäsur an der Levante

Diplomatische Beziehungen zwischen Syrien und Libanon werden von allen politischen Seiten begrüßt. Auftrieb für Hisbollah und die mit ihr verbündete Opposition

Von Karin Leukefeld *

Die am Mittwoch (15. Okt.) aufgenommenen diplomatischen Beziehungen zwischen Damaskus und Beirut bieten politischen Akteuren im Libanon neue Chancen. 60 Jahre nach der Unabhängigkeit beider Staaten weht an der Levante ein neuer Wind.

In Absprache mit den Briten hatten die Franzosen nach dem 1. Weltkrieg die einstige osmanische Provinz Libanon als Mandatsmacht besetzt, in zwei Staaten geteilt und in den 1940er Jahren in die Unabhängigkeit entlassen. Seitdem hatte sich Syrien geweigert, den Anspruch auf den Zedernstaat aufzugeben, zumal beide Völker familiär und wirtschaftlich eng verbunden waren. Nach dem 15jährigen Bürgerkrieg wurde 1991 zwar ein Freundschafts- und Kooperationsvertrag zwischen beiden Staaten abgeschlossen, doch erst nach dem bis heute nicht aufgeklärten Mord an dem steinreichen Geschäftsmann und früheren Ministerpräsidenten Rafik Hariri 2005 zog Damaskus unter dem wütenden Jubel der Libanesen auch seine Truppen aus dem Libanon zurück. Nach 30 Jahren waren sie von den Libanesen weniger als Schutz- denn als Besatzungsmacht wahrgenommen worden.

Die Stimmung änderte sich schlagartig, als der syrische Präsident Bashir Al-Assad im Juli auf dem EU-Mittelmeergipfel in Paris als strahlender Star auf die internationale Bühne zurückkehrte und vor laufenden Kameras erklärte, Syrien und Libanon würden diplomatische Beziehungen aufnehmen und eine gemeinsame Grenze festlegen. Es folgten Absprachen auf Ministerebene, und am 14. Oktober unterzeichnete Assad das Gesetz, in dem die »Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Syrischen Arabischen Republik und der Libanesischen Republik sowie die Bildung einer diplomatischen Mission auf Botschafterebene in der libanesischen Hauptstadt Beirut« festgelegt ist. Der libanesische Außenminister Fawzi Salloukh fuhr tags darauf nach Damaskus, unterzeichnete die gemeinsame Vereinbarung und tauschte sie sichtlich entspannt mit seinem Amtskollegen Walid Mou'allem aus.

Die Anerkennung eines souveränen Libanon nutzt vor den nächsten Parlamentswahlen im Zedernstaat der mit der Hisbollah verbündeten Opposi­tion, die Syrien gegenüber freundlich eingestellt ist. Dem westlich orientierten Mehrheitslager um die reaktionären Phalangisten und die Sunniten um Saad Hariri nimmt die Vereinbarung die Argumente, mit der sie seit Jahren vor dem Einfluß Syriens und einer möglichen neuen Militärinvasion gewarnt hatten.

Politiker aller Seiten begrüßten den Schritt, Lob kam auch von der Arabischen Liga, Ägypten, Iran und den Vereinten Nationen. In der libanesischen Tageszeitung The Daily Star waren aber auch Skeptiker zu hören. Es wäre naiv zu meinen, »ein Gebäude mit syrischer Flagge wird alles lösen«, meinte Osama Safa, Leiter des Libanesischen Zentrums für Politische Studien. Eine Botschaft sei zwar eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme, aber auch der »Politikstil und die Haltung« Syriens gegenüber dem Libanon müsse sich verändern. Hilal Khashan von der Fakultät für Politikwissenschaften an der Amerikanischen Universität in Beirut (AUB) erklärte, Syrien habe nur die Taktik geändert, um seine Isolation zu durchbrechen. Die syrische Strategie sei unverändert: »Für sie ist der Libanon noch immer ein Teil Syriens«. Die Politikwissenschaftlerin Fadia Kiwan von der St. Joseph Universität in Beirut hingegen meinte, Syrien habe verstanden, daß es den Libanon nicht schlucken könne: »Sie könnten ihn nicht verdauen und würden sich eine Menge Kopfschmerzen einhandeln«, so die Politikwissenschaftlerin.

Als »positiven Schritt« bezeichnete Massoud Al-Ashkar von der Nichtregierungsorganisation Union für den Libanon die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Allerdings reiche das nicht aus, »solange die Frage der libanesischen Gefangenen und Verschwundenen in Syrien nicht ein für allemal geklärt ist«. Er bezog sich damit auf die Tatsache, daß während des Bürgerkrieges etwa 17000 Personen im Libanon verschwunden sind. Anfang 2008 nannten libanesische NGOs eine Zahl von 600 libanesischen Gefangenen in Syrien. Im August 2008 übergab Syrien der libanesischen Regierung eine Liste von 100 Libanesen in syrischen Gefängnissen. Den Verbleib der Verschwundenen soll eine gemeinsame syrisch-libanesische Arbeitsgruppe aufklären.

* Aus: junge Welt, 18. Oktober 2008


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