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Politisch falsch

Gastkommentar. Hisbollah auf der EU-Terrorliste

Von Clemens Ronnefeld *

Erst vor wenigen Tagen haben die EU-Kommission und die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton verkündet, ab 2014 keine israelischen Projekte mehr im besetzten palästinensischen Westjordanland zu fördern. Nun haben die EU-Außenminister entschieden, Hisbollah – zumindest deren militärischer Arm – werde als Terrororganisation eingestuft. Sollte es zwischen beiden Entscheidungen einen Zusammenhang geben, hat die EU die israelische Regierung bezüglich der Hisbollah-Entscheidung wieder etwas versöhnlicher gestimmt, allerdings gleichzeitig die Eskalation im Nahen und Mittleren Osten verschärft.

Der Aussage von Bundesaußenminister Guido Westerwelle, daß bezüglich des Attentates auf einen mit israelischen Touristen besetzten Bus im Juli 2012 im bulgarischen Burgas die Faktenlage hinreichend klar sei, um eine wasserdichte Entscheidung über die Listung der Hisbollah zu treffen, ist entschieden zu widersprechen. In einem am 3. Januar 2013 veröffentlichten Interview mit der Staatsanwältin Stanella Karadzhova, die mit den Ermittlungen des Attentats in Burgas betraut war, sagte diese, daß gegen zwei oder drei Verdächtige zu wenig Beweismaterial vorliegen würde. Am Tatort war eine den Attentätern zuzuordnende SIM-Karte gefunden worden, die von »Maroc Telecom« ausgestellt worden war, einer Gesellschaft, die in Marokko und Teilen Nordafrikas tätig ist. Nach diesen Aussagen wurde der Staatsanwältin der Fall entzogen – offenbar waren ihre Aussagen nicht das, was ihre Vorgesetzten von ihr erwartet hatten.

Als am 5. Februar 2013 der bulgarische Zwischenbericht über das Attentat vorgelegt wurde, entkräftete dieser eher die Hisbollah, da von Beweisen für eine Täterschaft in Burgas keine Rede sein konnte. Die Identität des beim Anschlag ums Leben gekommenen mutmaßlichen Attentäters ist nach wie vor nicht eindeutig geklärt. Die bulgarische Opposition warf Anfang des Jahres 2013 in der Nationalversammlung Innenminister Tsvestan Tsvetanov vor, dessen »begründete Annahme« zur Urheberschaft der Hisbollah basiere weniger auf zweifelsfrei ermittelten Fakten als auf außenpolitischem Druck vor allem von Israel und den USA.

Bei aller Kritik an Hisbollah: Das Unterschieben der Verantwortung für das Attentat in Burgas bei der derzeitigen Beweislage ist ein grober politischer Fehler. Es verhärtet die Fronten bei Hisbollah wie deren finanzierender Macht Iran – die nun beide gute Argumente haben, der EU Voreingenommenheit, Unfairneß und Intrigen nachzusagen.

Die Entscheidung der EU ist geeignet, die Gefahr eines offenen Bürgerkrieges im Libanon zu steigern – und gleichzeitig die Chancen für eine diplomatische Lösung des Syrien-Krieges bei einer demnächst geplanten Konferenz in Genf zu verringern, wo die Rolle der Hisbollah ein wichtiger Punkt der Verhandlungen sein dürfte. Es ist zu hoffen, daß die EU ihre Hisbollah-Entscheidung so schnell wie möglich wieder zurück nimmt.

* Clemens Ronnefeldt ist Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes

Aus: junge Welt, Samstag, 27. Juli 2013



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