Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Angeklagte gesucht

Libanon: Wahlkampferöffnung am Jahrestag des Attentats auf Rafik Hariri. UN-Sondertribunal ab dem 1. März in Den Haag

Von Jürgen Kain Külbel *

Zehntausende Libanesen gedachten am Samstag auf Beiruts Märtyrerplatz ihres ehemaligen Ministerpräsidenten: Rafik Hariri war am 14. Februar 2005 mit 22 weiteren Menschen bei einem Bombenattentat getötet worden. »Die Stunde der Wahrheit und der Gerechtigkeit hat geschlagen«, erklärte Saad Hariri, Sohn des ermordeten Multimilliardärs saudiarabischer Nationalität, vor den Versammelten mit Blick auf das UN-Sondertribunal. Dieses soll ab dem 1. März in Den Haag den Drahtziehern des Attentates den Prozeß machen.

Die Politik des prowestlichen Politikers, Großgrundbesitzers und Industriemagnaten Hariri, der den Libanon führte, als sei das Land sein Privateigentum, war unter anderem von Versuchen geprägt, den syrischen Einfluß zurückzudrängen. Dementsprechend unterstellte seinerzeit vor allem die abgedankte Bush-Administration, daß die Regierung in Damaskus in den Mordfall und die nachfolgende Attentatsserie, der zahlreiche syrienkritische Politiker und Persönlichkeiten zum Opfer fielen, verwickelt war. Syrien bestreitet das vehement, wurde aber mit massivem internationalen Druck nach dem Attentat dazu gezwungen, seine Truppen nach 29 Jahren aus dem Libanon abzuziehen.

UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon erklärte am Freitag (13. Feb.), das Internationale Tribunal werde die »Wahrheit aufdecken (und) die Verantwortlichen für die Verbrechen verklagen«. Dem Haager Tribunal werden die Ermittlungen der »International Independent Investigation Commission (IIIC)« zugrunde liegen, die seit Mai 2005 im Auftrag der UN ermittelt. Ihr erster Chef, Berlins Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis, hatte im Sommer 2005 vier prosyrische Generäle, sämtlich Chefs der Sicherheitsdienste, wegen möglicher Beteiligung in Haft gebracht. Harte Beweise fand er nicht. Vielmehr wurde sein Täterkonstrukt mit Aussagen »gekaufter« Zeugen stabilisiert. Seither sitzen die Generäle Jamil El Sayyed, Raymond Azar, Ali Al-Hajj und Mustafa Hamdan ohne Anklage im Gefängnis.

Der Kanadier Daniel Bellemare, dritter und letzter Chef der IIIC, wird ab 1. März Hauptankläger beim Tribunal sein. Er erklärte Mitte vergangener Woche in der libanesischen Tageszeitung Al Akhbar, er wolle die Tätigkeit der »vorhergehenden Untersuchungschefs nicht kommentieren«. Jedenfalls würden die gefangenen Generäle »zusammen mit den Akten nach Den Haag verlagert. Dort besteht die Aussicht, daß (die Militärs) beim Tribunal anfragen können, ihre Situation untersuchen zu lassen«. Auf die Frage, ob er überhaupt ermitteln könne, wer Hariri getötet habe, meinte er, er könne »nichts versprechen«, sei aber optimistisch. Das libanesische Blatt An Nahar zitierte indes eine UN-Quelle, nach der das Tribunal »keine Verdächtigen anklagen« werde.

Libanons Premier Fouad Saniora erklärte in der vergangenen Woche auf Mustaqbal News TV, daß bereits »sämtliche Dokumente der Untersuchungskommission nach Den Haag verbracht worden« seien. Am Donnerstag (12. Feb.) hatte US-Präsident Barack Obama dem Sondertribunal für den Libanon seine Unterstützung zugesichert, damit »die Verantwortlichen für dieses schreckliche Verbrechen« und eine Reihe späterer Anschläge gegen antisyrische Politiker vor Gericht gebracht würden.

Die Kundgebung zum Jahrestag der Ermordung Hariris war bereits von der in rund drei Monaten geplanten Parlamentswahl geprägt. Neben der Nationalflagge des Zedernstaats schwenkten die Teilnehmer auch Fahnen der westlich orientierten Parteien, die bei der Parlamentswahl kurz nach dem tödlichen Anschlag auf Hariri die Mehrheit gewonnen hatten. Die Abstimmung im Juni sei »unser Rendezvous mit der Entscheidungsfreiheit, der freien Meinungsäußerung, dem freien Vaterland«, rief Saad Hariri, der einer der Stützen der antisyrischen Mehrheit im Parlament ist. Schärfster Konkurrent der US-orientierten Kräfte ist die schiitische Hisbollah. Die Kundgebung am Samstag verlief friedlich. In einigen Stadtteilen von Beirut kam es jedoch anschließend zu Ausschreitungen zwischen Anhängern Hariris und der Hisbollah.

* Aus: junge Welt, 16. Februar 2009


Zurück zur Libanon-Seite

Zur Syrien-Seite

Zurück zur Homepage