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Als "Illegale" in Libanon

Traumatisiert von Tod, Gewalt und Drohungen in der Heimat

Von Karin Leukefeld

Ungeachtet der nach wie vor problematischen Lage in Irak kamen die EU-Innenminister am Donnerstag (24. Juli) überein, vorerst keine zusätzlichen Flüchtlinge aus Irak aufzunehmen. Grund sei eine Initiative der irakischen Regierung zum Schutz von Christen und anderen verfolgten Gruppen, hieß es. Vom Los irakischer Flüchtlinge in Libanon erfuhr unsere Korrespondentin kürzlich in Beirut.

„Wir haben praktisch mit Nichts angefangen, die Kinder konnten keine Minute still sitzen“, erzählt Sahra Shouman während sie ihren kleinen Wagen durch das Verkehrschaos der libanesischen Hauptstadt Beirut manövriert. „Norwegian Refugee Council“ (NRC, Norwegischer Flüchtlingsrat) steht an der Seitentür. Der Schriftzug ist eingerahmt vom Banner der Europäischen Union und dem NRC-Emblem, der Silhouette einer Menschengruppe. Sahra leitet seit einem halben Jahr ein Schulprojekt des NRC für irakische Flüchtlingskinder. Zielstrebig steuert sie durch das Straßengewirr der südlichen Vororte von Beirut, bis sie auf einem staubigen Parkplatz in einer engen Seitengasse anhält. Von hier sind es nur wenige Schritte zu dem Gebäudekomplex, in dem die Schule für die irakischen Flüchtlingskinder untergebracht ist.

Wir sind in Dakhiye, der Hochburg der libanesischen Hisbollah. „International wird die Hisbollah ja geschmäht, aber unsere Erfahrungen sind nur, nur positiv“, sagt Sahra mit Nachdruck und geht voraus auf einen kleinen Innenhof, um den sich insgesamt 5 Klassenräume gruppieren. An einer Wand prangt ein farbenfrohes Wandbild, gemalt von den Kindern mit ihrer Kunstlehrerin, erzählt Sahra stolz. „Anfangs waren die Kids gewalttätig, widerspenstig, sie konnten nicht lesen oder schreiben und schlugen uns und die anderen Kinder“, erinnert Sahra sich an die ersten Wochen des Projekts. Systematisch und mit viel Geduld nahmen sich Lehrer und Betreuer der Rabauken an, wobei die Tatsache, dass das meiste Personal selber aus dem Irak stammt, eine große Hilfe gewesen sei.

Nicht nur die Kinder, auch die Eltern seien von der Gewalt in ihrer Heimat gezeichnet und wären oft nicht in der Lage gewesen, den Kindern Geborgenheit und die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken, erläutert Sahra, die unter anderem eine sozialpädagogische Ausbildung hat. „Die Flüchtlinge sind traumatisiert, sie erlebten Mord und Totschlag, manche haben ein Elternteil verloren, andere wurden entführt“, sagt Sahra. Einzel- und Gruppentherapien gehörten zum Lehrplan, wobei ausdrücklich auch die Eltern einbezogen werden. Kunst und Musik, Sport und Computerlehrgänge, Mathematik, Geschichte, Erdkunde, der Lehrplan ist so angelegt, dass die Kinder eines Tages wieder den Anschluss in einer öffentlichen Schule finden. Unterrichtssprachen sind Arabisch und Englisch. Heute seien die Kinder nicht wieder zu erkennen, sagt Sahra und strahlt. „Langsam gewinnen sie ihr Vertrauen in die Zukunft, in die Menschen zurück, die Schule hier ist wie eine Familie für sie.“ (Foto anbei wenn gewünscht)

In Libanon leben rund 50.000 irakische Flüchtlinge, erklärt Laure Chedrawi, Sprecherin des UN-Hilfswerks für Flüchtlinge, UNHCR. Die Hälfte von ihnen seien Kinder, von denen nur knapp 40 Prozent eine Schule besuchen. Viele Eltern schickten ihre Kinder lieber zur Arbeit als in die Schule, für die meisten Flüchtlingsfamilien sind die Kosten im Libanon kaum zu schultern. Libanon ist kein Unterzeichnerstaat der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und erkennt nicht einmal den Flüchtlingsstatus der knapp 10.000 irakischen Flüchtlinge an, die offiziell beim UNHCR registriert sind, erklärt Laure Chedrawi. Die Flüchtlinge gelten als „illegale Einwanderer“ und landen – ohne Aufenthalts- und oder Arbeitsgenehmigung - im Gefängnis, sollten sie aufgegriffen werden. Im Oktober 2007 waren knapp 600 irakische Flüchtlinge in libanesischen Gefängnissen inhaftiert.

Im Februar 2008 allerdings, nicht zuletzt aufgrund von internationalem Druck, wurde den Illegalen eine dreimonatige Frist eingeräumt, um ihren Status im Libanon zu legalisieren. „Sie müssen einen Sponsoren finden, der für sie eine vierstellige Summe US-Dollar hinterlegt, sie müssen eine Wohnung und eine Arbeitsstelle finden“, erklärt die UNHCR-Sprecherin.

Einfach sei das nicht, erzählt Kerim Al Kiss Hanna, der mit seiner Familie in einem Hinterhaus in Sad al Bosheriya wohnt, einem vorwiegend christlichen Stadtviertel im Nordosten von Beirut. Die Wohnung besteht aus zwei Zimmern. An den weiß getünchten Wänden hängen Bilder von Jesus Christus, der Jungfrau Maria und ein Kabel, das zu der nackten Glühbirne an der Decke führt. Im hinteren Zimmer ist ein großer Schrank zu sehen, auf dem sich Decken und Matratzen stapeln. Hinter der Tür befinden sich die Küche und ein Bad mit Toilette, Waschbecken und einem Schlauch an der Wand, der als Dusche dient.

Die Illegalität zehre an den Nerven, sagt der Iraker. Manche Flüchtlinge würden sogar Geld bieten, damit jemand zu ihren Gunsten gegenüber den Behörden eine Garantieerklärung abgebe. „Wer in der drei Monatsfrist keinen Sponsoren findet steht wieder ganz am Anfang“, erklärt Lala Arabian von Amnesty International im Libanon. „Dann ist er wieder illegal.“

* Aus: Neues Deutschland, 25. Juli 2008

Keine Hilfe von Bagdads Botschaft

Gespräch mit einem christlichen Flüchtlingspaar in Beirut *

Wahida und Kerim Al Kiss Hanna sind chaldäische Christen aus Bagdad. Seit 25 Jahren ist das Paar verheiratet und hat fünf Kinder. Im Jahr 2005 verließ die Familie wegen massiver Drohungen den Irak. Ein Sohn lebt als illegaler Flüchtling in Griechenland, der Rest der Familie lebt im Libanon, ebenfalls illegal.

Warum haben Sie Ihre Heimat verlassen?

Wahida Al Kiss Hanna: Wir wurden mehrmals bedroht. Mein Mann sollte 20.000 USD zahlen, sonst wollte man eines unserer Kinder entführen. Ich wurde eines Tages in unserem Haus von zwei unbekannten Männern angegriffen, sie waren maskiert und schlugen mich. Damals war ich schwanger und verlor mein Kind. Danach beschlossen wir, zu fliehen.

Wurden Sie nur deshalb bedroht, weil Sie Christen sind?

Kerim Al Kiss Hanna: Die Drohungen waren keine Frage der Religionszugehörigkeit. Mein Geschäft lag im Zentrum von Bagdad, in der Sadoon Straße. Meine Nachbarn dort waren Sunniten, Schiiten, sie haben mich immer respektiert. Ihre Geschäfte wurden ebenso zerstört wie meines, durch die Autobomben, die dort immer wieder explodierten. So viele meiner Landsleute sind geflohen, weil sie bedroht wurden, Leute von allen Religionen. Nein, die Bedrohung war keine Frage der Religion, alle Iraker leben in Unsicherheit.

Wie leben Sie seit Ihrer Flucht hier in Beirut?

Kerim Al Kiss Hanna: Es ist wirklich sehr schwierig, vor allem weil wir keine Papiere haben. Unser Sohn ernährt uns alle, er ist der einzige, der als Illegaler Arbeit gefunden hat. Es ist schwer, unter solchen Umständen ein Leben in Würde zu leben.

Können Sie sich vorstellen, in den Irak zurückzukehren?

Wahida Al Kiss Hanna: Nein, überhaupt nicht. Wir haben dort nichts mehr, unser Haus ist leer, das Geschäft meines Mannes abgebrannt. Es gibt keinen Strom, kein Wasser, keine Sicherheit, nichts. Selbst wenn das Leben hier im Libanon schwierig ist, wir leben.

Die irakische Regierung hat Geld zur Verfügung gestellt, um den irakischen Flüchtlingen in Syrien, Jordanien und im Libanon zu helfen. Haben Sie etwas von dieser Hilfe erhalten?

Wahida Al Kiss Hanna: Wir sind zur irakischen Botschaft hier in Beirut gegangen und haben um Hilfe gebeten, aber man hat gesagt, dass es für uns keine Hilfe gibt. Wir seien Christen, hieß es, wir sollten beim Chaldäischen Bischof oder bei der Caritas um Hilfe bitten.

Man hat Ihnen Hilfe verweigert, weil Sie Christen sind?

Kerim Al Kiss Hanna: So müssen wir die Ablehnung verstehen. Es war sehr entwürdigend, immerhin sind wir Iraker. Wir gehen sicher nie wieder zu einer irakischen Botschaft. Wir haben einen Antrag bei der australischen Botschaft gestellt, weil wir Verwandte in Australien haben. Wir hoffen, dorthin auswandern zu können.

Fragen: Karin Leukefeld

* Aus: Neues Deutschland, 25. Juli 2008




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