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UNO-Funktionär lobt Sozialpolitik der ALBA-Staaten

Jean Ziegler hebt Kampf der linksgerichteten Staaten gegen Hunger und Unterernährung hervor. Kritik an Haltung westlicher Medien

Von Harald Neuber *

Der Schweizer Soziologe und Mitarbeiter des Menschenrechtsausschusses der UNO, Jean Ziegler, hat im Gespräch mit amerika21.de die sozialpolitischen Erfolge der linksgerichteten Regierungen in Lateinamerika hervorgehoben. Die alternativen Ansätze in der Süd-Süd-Kooperation Lateinamerikas seien "exzellente Beispiele für die Risse in der Mauer der weltweiten Unterdrückung, von der Che Guevara einmal gesprochen hat", sagte Ziegler in dem Interview. Ein Beispiel dafür sei das Wahlprogramm des bolivianischen Präsidenten Evo Morales mit der Initiative "Null Unterernährung" (Desnutrición Cero).

"Bevor Evo Morales 2006 das Präsidentenamt übernommen hat, war die Kindersterblichkeit in Bolivien die zweitgrößte in der Region nach Haiti", sagte Ziegler. Zusammen mit der UNICEF und dem Welternährungsprogramm habe die Initiative Null Unterernährung es vermocht, diese Kindersterblichkeit in den vergangenen sechs Jahren um mehr als die Hälfte zu senken. Sie gehe heute rasant zurück.

Die Äußerungen Ziegler decken sich mit der jüngsten Entwicklung in Lateinamerika. Nach dem Gipfeltreffen der Gemeinschaft Lateinamerikanischer und Karibischer Staaten (CELAC) am vergangenen Wochenende in Santiago de Chile hat Venezuela Außenminister Elías Jaua eine Folgekonferenz des Staatenbündnisses über den Kampf gegen Hunger und Armut angekündigt. Dieses Treffen der 33 Mitgliedstaaten werde von Venezuela ausgerichtet, sagte Jaua im Gespräch mit dem lateinamerikanischen Fernsehsender Telesur. Das Mandat sei Ausdruck der "Anerkennung der Anstrengungen und Errungenschaften, die wir Venezolaner unter Präsident Hugo Chávez auf dem Gebiet vorzuweisen haben", so Jaua.

Nach Ansicht Jean Zieglers hat der Reformprozess in Venezuela mit den als "Misiones" bekannten Sozialprogrammen tatsächlich messbare Erfolge vorzuweisen. "Dazu gehört dort auch der Zugang zu Grundnahrungsmitteln", so Ziegler, der zugleich auf die "Misión Milagro" gegen Erblindung verwies. Diesem Programm liege die Erkenntnis zugrunde, dass Erblinden meist durch den Mangel an Vitamin A verursacht wird. Allein aus diesem Grund verliere weltweit alle drei Minuten ein Mensch sein Augenlicht, so Ziegler. "Die Misión Milagro hat in Venezuela zu einem erheblichen Rückgang der ernährungsbedingten Erblindung geführt", urteilte er.

Die Sicherung der Grundnahrungsmittelversorgung in Kuba bezeichnete der ehemalige Sonderbeauftragte der UNO für das Recht auf Nahrung als eine "international anerkannte menschenrechtliche Institution".

In Ecuador habe Präsident Rafael Correa indes ein Programm für Schulspeisung zur Bekämpfung des Hungers unter Schulkindern eingeführt. In jeder ecuadorianischen Schule gebe es nun eine Mittagsmahlzeit, auch in den Ferien. "Die Kinder der ärmsten Familien können also auch in der schulfreien Zeit diese Mahlzeit zu sich nehmen", hob Ziegler hervor. Dazu gehöre auch mit Vitaminen angereicherte Biskuits und andere angereicherte Nahrungsmittel.

"Ich kann Ihnen also eine ganze Reihe von ganz konkreten Initiativen und Unternehmungen nennen, die überall in Venezuela, Kuba, Ecuador und Bolivien den Hunger zwar nicht eliminiert haben, aber die im Begriff sind, ihn zu eliminieren", fügte Ziegler im Gespräch mit amerika21.de an. "Das habe ich in meiner Funktion als Sonderberichterstatter der UNO bezeugen können."

Zugleich wandte er sich gegen die weitgehend negative Berichterstattung über die linksgerichteten Regierungen in Lateinamerika. "Medien sind weitgehend und gerade auch in Westeuropa Herrschaftsinstrumente", so sein Urteil: "13,5 Prozent der Weltbevölkerung sind Weiße und die beherrschen den Planeten jetzt seit 500 Jahren. Die Weltsicht, die von ihnen vermittelt wird, ist in erster Linie auch ein Herrschaftsinstrument."

Die "Diffamation etwa gegen Hugo Chávez und die Bolivarische Revolution" sei permanent. Ziegler erinnerte daran, dass Hugo Chávez seit 1999 an der Regierung ist. Er habe in dieser Zeit acht Mal demokratische Wahlen gewonnen, das letzte Mal im vergangenen Oktober. Die Wahlprozesse seien von keinem seriösen Beobachter bestritten worden, nicht einmal von der Opposition, "die ja äußerst aggressiv und ferngesteuert ist".

Ziegler führte aus: "Wenn man als Ausländer in Caracas zu Gast ist und morgens die Tagespresse unter der Hoteltür durchgeschoben bekommt, kann man sich ein Bild davon machen. Dort wird Chávez regelmäßig als Krimineller tituliert."

Die Pressefreiheit sei in Venezuela stärker ausgeprägt als in der Schweiz. "Wenn hier gegen den Bundespräsidenten solche Vorwürfe erhoben würden, wie dies in Venezuela gegen Chávez geschieht, würde es sofort einen Prozess gegen das Medium geben", zeigte er sich überzeugt.

"Die permanente Diffamation der demokratischen und sozialen Revolutionen in Lateinamerika ist nicht einfach nur objektiv eine Lüge, sondern sie ist eine Herrschaftsstrategie", so Ziegler weiter. Denn wenn diese Beispiele auf andere, vor allem rohstoffreiche Regionen der Dritten Welt ausstrahlten, stelle das für die "weltweiten Finanzoligarchien" eine sehr große Gefahr dar. Die Diffammierung von Hugo Chávez, der kubanischen Revolution oder der revolutionären Prozesse in Ecuador und Bolivien sei eine "Notwendigkeit für das weltweite imperialistische Herrschaftssystem", so Ziegler.

Von Jean Ziegler ist zum Thema zuletzt erschienen: "Wir lassen sie verhungern: Die Massenvernichtung in der Dritten Welt", C. Bertelsmann, 320 Seiten 19,99 Euro.

Aus: Internet-Portal amerika21, 31. Januar 2013; http://amerika21.de


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