Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Lukrative Geschäfte

Hintergrund. Der "Lateinamerika Verein" lud für den 4. und 5. November zu seinem jährlichen Treffen nach Hamburg. Der einflußreiche Außenhandelsverband bildet eine Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik

Von Jörg Kronauer *

Luxuriös wird es gestern in Hamburg zugegangen sein und wird es heute zugehen beim diesjährigen »Lateinamerika-Tag«. Im noblen Hotel Atlantic Kempinski an der Außenalster wird er vom traditionsreichen »Lateinamerika Verein« veranstaltet. Dort können die Teilnehmer zu Sonderkonditionen nächtigen – zum Beispiel zahlen sie schlappe 329 Euro für ein Doppelzimmer deluxe, natürlich mit Alster­blick. Die Commerzbank hat es sich nicht nehmen lassen, für den Abendempfang am 4. November ihre Räumlichkeiten am Jungfernstieg zur Verfügung zu stellen; am Abend danach beschließt ein Galadiner im Kempinski die Konferenz. Dezent erinnerte der Lateinamerika Verein e.V. (LAV) daran, daß für die Damen Abendkleid und für die Herren Smoking oder Uniform erforderlich sind – schließlich werden als Redner nicht irgendwer, sondern der deutsche Wirtschaftsminister und sein mexikanischer Amtskollege erwartet. Wer am gesamten Programm teilnimmt, zahlt als LAV-Mitglied 450 Euro und als Nichtmitglied 600 Euro – ist das bei so viel Renommee nicht sehr kulant?

Der LAV, der seinen »Lateinamerika-Tag« seit 1923 einmal jährlich abhält – wie er mitteilt, unterbrochen »nur durch den Zweiten Weltkrieg und die Wirren der Nachkriegsjahre« –, ist der für Lateinamerika zuständige deutsche Außenwirtschaftsverband. Er ist mit einem Subkontinent befaßt, der für die deutsche Industrie eine weitaus größere Bedeutung besitzt, als es die dürren drei Prozent der Exporte vermuten lassen, die hiesige Firmen dort absetzen. Mit Direktinvestitionen von inzwischen mehr als 80 Milliarden US-Dollar ist Deutschland nach den USA und Spanien der drittgrößte Auslandsinvestor in Lateinamerika. Investiert wurde bislang vor allem in Brasilien und in Mexiko, den zwei Staaten mit dem größten Inlandsmarkt und der jeweils bedeutendsten regionalen Position. Ein gutes Beispiel bietet VW: Volkswagen do Brasil produziert für Brasilien und für Südamerika, Volkswagen de México für Zentralamerika und – besonders seit Inkrafttreten des Nord­amerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA, in das Mexiko integriert ist – für den riesigen US-Markt. Als lukrativer Produktionsstandort ist Lateinamerika ungebrochen beliebt. Die brasilianische Metropole São Paulo gilt bis heute als größte »deutsche« Industriestadt außerhalb der Bundesrepublik.

Gut vernetzte Lobby

Und nicht zu vergessen: Zahlreiche lateinamerikanische Länder verfügen über große Rohstofflagerstätten, an denen deutsche Unternehmen ein starkes Interesse haben. Die Aurubis AG aus Hamburg etwa, Europas größter Kupferproduzent, kauft rund ein Viertel ihres Kupferkonzentrats allein in Chile. Ausdrücklich weist das Auswärtige Amt auf die Bedeutung der Bodenschätze des Subkontinents für die deutsche Industrie hin. »In Lateinamerika finden sich große Vorkommen an mineralischen Rohstoffen wie Eisen, Kupfer, Zinn und Lithium«, teilt das Ministerium explizit auf seiner Website mit. »Knapp 60 Prozent der weltweiten Produktion von Lithium, das für die Herstellung von Lithium-Ionen-Akkus zum Beispiel für Elektroautos wichtig ist, kommen aus Lateinamerika.« Das belege, daß »die Zusammenarbeit mit Lateinamerika« nicht zuletzt »für Deutschland als Hightech-Standort« von »großer Bedeutung« sei.

Entsprechend prominent sind Vorstand und Präsidium des LAV besetzt. In seinen Gremien finden sich Vorstandsmitglieder der Deutschen Bank und von Munich Re (Münchener Rück) sowie weitere hochrangige Vertreter von BASF, Ferrostaal und Siemens. Im Präsidium sind unter anderem die Commerzbank, Kühne + Nagel, Lufthansa, Pricewaterhouse Coopers und Volkswagen vertreten, außerdem natürlich die an Rohstoffen interessierte Aurubis AG. Weitere deutsche Konzerne wie die Allianz, BMW, Bosch, EADS, Schenker oder ThyssenKrupp zählen immerhin zu den Mitgliedern des Verbands. Weil sich unter den Staaten Lateinamerikas bekanntermaßen diverse Empfänger deutscher »Entwicklungshilfe«-Gelder befinden, sind auch entsprechende Vorfeldorganisationen im LAV-Präsidium vertreten – die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit und die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG). Sogar die Medien sind präsent: LAV-Präsidiumsmitglied ist Hildegard Stausberg, die »diplomatische Korrespondentin« der Zeitung Welt.

Um seine unternehmerische Klientel bei der Expansion nach und in Lateinamerika zu unterstützen, bietet der LAV das übliche Programm der deutschen Außenwirtschaftsverbände an. Er stellt Informationen bereit – von Markt- und Länderberichten über Firmennachrichten bis hin zu juristischen Spezialuntersuchungen –, fertigt auf Anfrage von Mitgliedern spezielle Analysen an und führt allgemeine Informationsveranstaltungen durch. Auch praktisch ist er behilflich: Er organisiert Konferenzen und Delegationsreisen, um vor allem expansionsinteressierten Mittelständlern, die noch keine oder nur kleine Präsenzen in Lateinamerika unterhalten, den nötigen Zugang zu den entscheidenden Stellen im Zielland zu verschaffen. Er vernetzt, eröffnet Kontakte in die Politik und ist bei Geschäften mit Rat und Tat zur Stelle. Darüber hinaus betreibt er Lobbyarbeit bei der Bundesregierung. Zur weiteren Vernetzung hat er 1994 gemeinsam mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) die »Lateinamerika-Initiative der Deutschen Wirtschaft« gegründet, der sich inzwischen auch der Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels (BGA) und der Bankenverband angeschlossen haben – die geballte Macht der Wirtschaft. Zur Koordinierung der Aktivitäten mit der Bundesregierung trifft sich darüber hinaus regelmäßig ein »Gesprächskreis Lateinamerika«. In ihm sind neben den Mitgliedern der Lateinamerika-Initiative das Auswärtige Amt sowie die Bundesministerien für Wirtschaft und für Entwicklung vertreten – die maßgeblichen Kräfte der deutschen Lateinamerika-Politik.

Ausbau der Machtposition

Natürlich ist es kein Zufall, daß der LAV – wie auch der Afrika-Verein und der Ostasiatische Verein – in Hamburg angesiedelt ist. Vom Hamburger Hafen aus wurden im 19. Jahrhundert per Schiff ferne Kontinente für die deutsche Wirtschaft erschlossen – auch die Länder Lateinamerikas. Heute leben, glaubt man dem Hamburger Abendblatt, immerhin 1500 Hamburger Firmen vom Geschäft mit dem Subkontinent. Um den Hafen herum haben sich Konsulate angesiedelt. Noch heute unterhalten mehr als 20 lateinamerikanische Staaten diplomatische Vertretungen in der Hansestadt. Wissenschaftliche Einrichtungen, die sich mit der Region beschäftigen, sind in diesem Umfeld ebenfalls gediehen, nicht nur das Lateinamerika-Zentrum an der Universität Hamburg, sondern auch das dem GIGA (German Institute for Global and Area Studies) zugehörige Institut für Lateinamerika-Studien, dessen Direktor Detlef Nolte ebenfalls dem LAV-Präsidium angehört. Noltes Institut publiziert – neben vielem anderem – zu Jahresbeginn regelmäßig eine Kurzanalyse der wirtschaftlichen Entwicklung Lateinamerikas. Im November 2011 ist die EU-Lateinamerika-Karibik-Stiftung eröffnet worden – das Auswärtige Amt hatte massiv Druck gemacht, um sie in die Hansestadtzu holen. Im August 2012 kam mit tatkräftiger Unterstützung der Hamburgischen Gesellschaft für Wirtschaftsförderung noch ein Europäisches Zentrum für Lateinamerika hinzu, das dortige Unternehmen mit Geschäftswünschen in Europa in die norddeutsche Metropole locken soll. Wer auf dem Subkontinent Geld machen will, findet in Hamburg wirklich alles, was er braucht.

In diesem Netzwerk ist der LAV nicht nur fest verankert; er hat es auch mit aufgebaut, seit er 1916 gegründet wurde. Die in Lateinamerika tätigen deutschen Unternehmen befanden sich damals in einer äußerst schwierigen Situation. Sie hatten sich dort im Laufe des 19. Jahrhunderts eine bemerkenswerte Stellung erkämpft, nicht zuletzt übrigens dank zahlreicher Rüstungsexporte: Bei der Lieferung von Artillerie- und Infanteriewaffen hätten Krupp und die Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken AG (DWMF) bis zum Ersten Weltkrieg in einigen Ländern »fast ein Monopol« innegehabt, berichtet der US-amerikanische Historiker Stanley Hilton.[1] Die Wirtschaft investierte kräftig; kurz vor dem Ersten Weltkrieg befanden sich rund 16 Prozent der deutschen Auslandsanlagen in Lateinamerika. Mit seiner Wirtschaftsexpansion geriet das Deutsche Reich immer stärker in Konkurrenz nicht nur zu Großbritannien, sondern auch zu den USA, deren Lateinamerikageschäfte damals ebenfalls kräftig boomten. Zeitweise gab es in Berlin deshalb sogar Überlegungen, mit Hilfe der zahlreichen aus Deutschland emigrierten Menschen, die zum Beispiel in Südbrasilien lebten, zur Festigung der eigenen Position gegen die Vereinigten Staaten ganz offiziell eine Kolonie zu formen.

1914 brach das Reich dann den Ersten Weltkrieg vom Zaun – mit fatalen Folgen für das Lateinamerikageschäft. Die deutsche Rüstungsindustrie konzentrierte sich auf die eigenen Streitkräfte, Ausfuhren scheiterten ohnehin an der britischen Seeblockade. Gewinner waren eindeutig die Vereinigten Staaten, die ihre ökonomische Stellung auf dem Subkontinent umfassend stärken konnten. Hamburgische Kaufleute gründeten deshalb am 13. Januar 1916 den »Ibero-amerikanischen Verein« – offiziell, um kulturelle Beziehungen zu Lateinamerika, Spanien und Portugal zu entwickeln. Über den tatsächlichen Zweck hieß es in einer nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Denkschrift, eine »kulturelle und intellektuelle Fundierung der auswärtigen Wirtschaftspolitik« sei »erforderlich«, um die »Erhaltung und Festigung von Deutschlands Machtstellung« zu sichern. Der neue Verein solle »an der Wiederherstellung und Neubelebung der wirtschaftlichen Beziehungen der Hansestädte zu den ibero-amerikanischen Ländern einen hervorragenden Anteil nehmen«. Es gehe darum, die in Not geratenen »deutschen Interessen in Südamerika und Spanien-Portugal« in Zukunft »sachgemäß zu vertreten und zu fördern«.[2]

Deutsche Interessenspolitik

Die Frontstellung gegen die Vereinigten Staaten blieb dem »Ibero-amerikanischen Verein« erhalten. Besonders in den 1930er Jahren habe die Rivalität noch zugenommen, berichtet US-Historiker Hilton. Berlins damaliger »Handelskrieg« gegen Washington, in den sich der »Ibero-amerikanische Verein« selbstverständlich einbrachte, sei »von beachtlichem Erfolg gekrönt« gewesen. In Brasilien konnte das Deutsche Reich 1938 die USA als Hauptlieferant ablösen. 1938/39 war es Hauptkäufer mexikanischen Öls. Zur Förderung der Wirtschaftsbeziehungen hatte die Deutsche Lufthansa, die heute im LAV-Präsidium vertreten ist, 1927 übrigens in Brasilien die Fluggesellschaft Syndicato Condor Ltda. gegründet, deren Name in der heutigen deutschen Airline Condor aufscheint. Erneut setzte jedoch eine Seeblockade – diesmal im Zweiten Weltkrieg – den deutschen Geschäftserfolgen gegen den Rivalen und baldigen Kriegsgegner USA ein Ende.

Nach 1945 waren die Bundesdeutschen und ihr »Ibero-amerikanischer Verein« rasch wieder in Lateinamerika präsent. Die Konkurrenz gegen die USA konnte zwar nicht mehr so offen ausgelebt werden – sie war aber keineswegs verschwunden. Es gebe »Kooperation und Konkurrenz zwischen den USA und Westeuropa in Lateinamerika«, räumte Wolf Grabendorff von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) im Jahr 1985 ein. Kooperation war unter den damaligen Umständen unumgänglich: Im globalen Systemkampf stand der Westen gegen sozialistische Kräfte, wie es sie auch in Lateinamerika gab, selbstverständlich fest zusammen. Ihm war zudem jeder Diktator recht, wenn er nur die Linke niederhielt. Beim »Lateinamerika-Tag« von 1966 etwa sah sich der damalige Vorsitzende des »Ibero-amerikanischen Vereins«, Hans Heinrich Waitz, veranlaßt, das einmal ausdrücklich klarzustellen. »In Brasilien und Argentinien haben 1964 bzw. 1966 unblutige Revolutionen stattgefunden«, behauptete er. »In beiden Ländern haben Militärs den gewählten Präsidenten bzw. Vizepräsidenten gestürzt, weil sie ihr Land (…) in Kommunismus oder Peronismus gleiten sahen. Beide Militärs regieren seitdem autoritär. Aber beide (…) sind im Grunde Demokraten.« Es gehe ihnen »nicht um Installierung einer Diktatur, sondern um eine neue demokratische Verfassung, die imstande ist, die kommunistische Gefahr zu bannen.« Es stand außer Frage, daß Waitz und sein »Ibero-amerikanischer Verein« mit den »Im-Grunde-Demokraten« aus dem Militär weiter kooperieren würden.

Seit einigen Jahren muß der LAV sich nun wieder auf eine veränderte Konkurrenzsituation einstellen: Mit der Volksrepublik China ist ein neuer Rivale der deutschen Wirtschaft auch in Lateinamerika präsent. Der LAV hat seit je einen kritischen Blick darauf. Im Sommer 2011 nahm sich das dem Hamburger GIGA angegliederte Institut für Lateinamerika-Studien, das über seinen Direktor mit dem Verein verbunden ist, der Thematik an: Es veröffentlichte unter dem Titel »China in Lateinamerika. Chancen und Grenzen seines zunehmenden Einflusses« eine knappe, gut verständliche Analyse. Es treffe zu, daß Peking seine Lateinamerika-Geschäfte rapide ausbaue, räumte das Institut ein. Die Volksrepublik sei mittlerweile sogar dabei, die USA als Handelspartner auch einflußreicher lateinamerikanischer Staaten zu überholen. Doch bleibe ihr Einfluß trotz aller Erfolge »begrenzt«. »Als Waffenlieferanten« etwa ließen die USA und Deutschland »die Volksrepublik deutlich hinter sich«, und »auch in der technologischen Zusammenarbeit« seien »Chinas Erfolge bis dato bescheiden«. Anlaß zur Panik etwa für die deutsche Wirtschaft bestehe also nicht. Dennoch beobachtet der LAV die chinesische Konkurrenz weiterhin scharf.

Selbstverständlich reagiert die Lobbyorganisation auch weiterhin höchst empfindlich auf alles, was nach Sozialismus klingt. In Lateinamerika betrifft das vor allem die Staaten der Alianza Bolivariana para los Pueblos de Nuestra América (ALBA), also das Bündnis um Venezuela und Kuba, das nach Alternativen zur westlich-kapitalistischen Wirtschaftsweise sucht. Vollständig übergehen kann der LAV die ALBA-Staaten und ihre Wirtschaft natürlich nicht, zumal einige von ihnen – vor allem Venezuela (Öl) und Bolivien (Lithium) – bedeutende Rohstoffe in großen Mengen besitzen. So kann sich die einheimische Opposition stets der Aufmerksamkeit des Vereins und dessen Kritik an den ALBA-Staatsführungen sicher sein. »Boliviens Regierung hat Ende Dezember vier Tochterunternehmen des spanischen Konzerns Iberdrola verstaatlicht«, warnte der LAV Anfang 2013 in einer offiziellen Stellungnahme. Kurz darauf informierte er seine Mitglieder über Hugo Chávez’ Tod – nicht ohne mit Sympathie über Oppositionsführer Henrique Capriles zu berichten. Die Verwicklung von Capriles in den Putsch gegen Chávez spielt für den LAV heute genausowenig eine Rolle wie die Staatsstreiche in Argentinien und Brasilien in den 1960er Jahren für seine Kooperation mit den damaligen Militärregimes.

Durchaus eng ist die Kooperation des LAV mit Brasilien. Das Land hat in Südamerika eine Sonderstellung: Als stärkster Staat des Subkontinents ist es bemüht, dort eine Art Hegemonie zu erringen. Brasília setzt sich dabei mittlerweile auch von den USA ab, das kommt der Bundesrepublik, die sich – China hin, China her – auch als Konkurrentin der Vereinigten Staaten begreift, durchaus entgegen. Berlin fördere »die Bemühungen Brasiliens, im südamerikanischen Raum eine Führungsrolle aufzubauen«, stellte 2009 die SWP fest. Die brasilianische Regierung als »Juniorpartner« in Südamerika – das käme der Bundesregierung sehr gelegen. Die ökonomischen Voraussetzungen wären da. Brasilien ist bis heute der mit Abstand wichtigste Wirtschaftspartner Deutschlands in Lateinamerika. Und um sich von den Vereinigten Staaten zumindest ein Stück zu lösen, sind in Brasília, São Paulo und Rio de Janeiro deutsche Unternehmen stets willkommen. Bei der Vermittlung ist der LAV gerne behilflich. Für den 20. November kündigt er ein »Seminar« in Hamburg an, bei dem Vertreter des brasilianischen Mineralölkonzerns Petrobras zugegen sein werden. Dieser Gigant wolle bis 2017 über 230 Milliarden US-Dollar investieren, berichtet der LAV – und das Unternehmen setze dabei nicht auf die US-Industrie, sondern »auf Technologie ›Made in Germany‹«. Es gebe »hervorragende Geschäftschancen für deutsche Technologieunternehmen«.

Bündnis gegen ALBA

Letztes Jahr hat sich in Lateinamerika ein neuer Zusammenschluß gebildet, dem seither ebenfalls die volle Aufmerksamkeit des LAV gilt. Am 6. Juni 2012 ist in Chile die Alianza del Pacífico gegründet worden. Ihr gehören Mexiko, Kolumbien, Peru und Chile an. »Mit 125 Millionen Menschen« könnten die vier Länder an der Pazifikküste »künftig den größten Markt Lateinamerikas darstellen«, schrieb der LAV kurz darauf voller Begeisterung. Auch wenn das bis zu einer möglichen Erweiterung des Bündnisses übertrieben ist – in Brasilien leben inzwischen 200 Millionen Menschen –, so ist doch klar, daß die deutsche Wirtschaft sich in den Ländern der Pazifikallianz gute Geschäfte erhofft. Alle vier Mitgliedsstaaten sind neoliberal orientiert, alle vier haben ein Freihandelsabkommen mit der EU abgeschlossen – zuletzt, begleitet von massiver Lobbyarbeit des LAV, Kolumbien und Peru. Zwei von ihnen, Chile und Peru, sind bedeutende Rohstofflieferanten der deutschen Industrie, Kolumbien führt große Mengen an Kohle in die Bundesrepublik aus. Auch allgemein sind die vier Länder ökonomisch relativ stark: Sie repräsentieren, wie der LAV schreibt, »rund 33 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts Lateinamerikas«.

Dabei ist die Alianza del Pacífico keineswegs ein ausschließlich wirtschaftliches Projekt. Hinter vorgehaltener Hand räumten ihre Mitglieder durchaus ein, mit dem »auf Freihandel ausgerichteten« Bündnis ein »Gegengewicht« zu »links­populistischen Strömungen in Lateinamerika« schaffen zu wollen, hieß es letztes Jahr bei der Außenstelle der Konrad-Adenauer-Stiftung in Santiago de Chile. Die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung hofft sogar, der neoliberale Zusammenschluß könne »großen Einfluß« auf »die geopolitische und geoökonomische Dynamik Lateinamerikas« gewinnen. Geopolitisch? Geoökonomisch? Nun – was die Naumann-Stiftung mit diesen hochtrabenden Worten meint, ist recht simpel. Die Länder der Pazifikallianz seien heute nach Asien orientiert, wohin »mehr als 50 Prozent« ihrer Exporte gingen, berichtet der LAV. Dabei strebt die Allianz für die Zukunft vor allem die Kooperation mit Ländern wie Japan, Australien und Südkorea an – mit den prowestlichen asiatisch-pazifischen Rivalen Chinas also. Mit dem Zusammenschluß entsteht ein Wirtschaftsbündnis, das auf neoliberaler Basis nach einer prowestlichen Ordnung auf beiden Seiten des Pazifik strebt. Im globalen Machtkampf des Westens gegen China könnte die Pazifikallianz also ein wichtiges regionales Einflußinstrument werden.

Und der LAV? Er hatte geplant, sich im Rahmen seines diesjährigen »Lateinamerika-Tags« am 4. November ganz prosaisch den Geschäftschancen in der lateinamerikanischen Logistik und Infrastruktur zu widmen, bevor am heutigen 5. November dann die Pazifikallianz auf dem Programm steht. Das Motto lautet, die »westliche Gemeinschaft« beschwörend: »Gemeinsame Werte«. Der Regionalbeauftragte des Auswärtigen Amts für Lateinamerika wird zugegen sein, auch der Außenminister Chiles und die Außenministerin Kolumbiens sind angekündigt; abends folgt das Galadiner mit dem Bundeswirtschaftsminister und seinem mexikanischen Amtskollegen Ildefonso Guajardo Villarreal, der die Festrede halten wird. Ein Bündnis, das neoliberal orientiert ist, die marktkritische ALBA ausbooten will, sich als Verbündeter gegen die Volksrepublik China in Stellung bringen läßt und zu alledem auch noch lukrative Geschäfte verheißt – das kann nun wirklich ganz sicher sein, beim LAV auf vollste Sympathie zu stoßen.

Anmerkungen
  1. Stanley Hilton: »Lateinamerika und Westeuropa: die politischen Beziehungen bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges«, in: Wolf Grabendorff, Riordan Roett (Hg.): Lateinamerika – Westeuropa – Vereinigte Staaten: Ein atlantisches Dreieck? Internationale Politik und Sicherheit, Band 17, herausgegeben von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Baden-Baden 1985, S. 21–59
  2. Ibero-Amerikanischer Verein (Hg.): Ibero-amerikanisches Leitbuch. Hamburg 1916, zitiert nach: Erich Kalwa: Die portugiesischen und brasilianischen Studien in Deutschland (1900–1945): Ein institutionsgeschichtlicher Beitrag, Frankfurt/Main 2004
* Jörg Kronauer ist Referent der XIX. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz.

Aus: junge Welt, Dienstag, 5. November 2013



Zurück zur Lateinamerika-Seite

Zur Seite "Deutsche Außenpolitik"

Zurück zur Homepage