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Bienvenido in Südamerika

Edward Snowden beantragt Asyl in 21 Ländern. Offen zeigen sich Bolivien und Venezuela. Empörung über NSA-Bespitzelung von Hugo Chávez 2006

Von André Scheer *

Nachdem die Enthüllungsplattform Wikileaks in der Nacht zum Dienstag eine Liste von 21 Ländern veröffentlicht hat, in denen der US-amerikanische Whistleblower Edward Snowden Asyl beantragt habe, bemühen sich vor allem die europäi­schen Regierungen um Schadensbegrenzung. So wies Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) im ZDF eine Asylgewährung in Deutschland als »unwahrscheinlich« zurück. Madrid lehnte das Ansinnen mit Verweis auf einen »Formfehler« ab, weil Snowden seinen Antrag per Fax an die spanische Botschaft in Moskau und damit an die falsche Stelle geschickt habe. Aber auch Indiens Regierung erklärte, sie sehe keinen Grund, Snowden Zuflucht zu gewähren.

Demgegenüber antwortete Boliviens Staatschef Evo Morales bei einem Besuch des auch in spanischer Sprache sendenden Fernsehsenders Russia Today in Moskau auf die Frage, ob er Snowden Asyl gewähren würde, mit den Worten »Ja, warum nicht«. Sein venezolanischer Amtskollege Nicolás Maduro, der mit einer Maschine der kubanischen Airline Cubana zum Gipfeltreffen der erdgasexportierenden Länder in die russische Hauptstadt gekommen war, wurde am Dienstag morgen bei einer Pressekonferenz gefragt, ob er vorhabe, Snowden gleich mitzunehmen. Lächelnd entgegnete er, vor allem wolle er viele Handelsabkommen mitnehmen. Den Whistleblower würdigte er als »mutig«, er habe internationalen Schutz verdient. Ein energisches »Nein« hört sich anders an.

Asyl für Snowden in Venezuela wäre eine schöne Retourkutsche für die Überwachung des damaligen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez während eines Staatsbesuchs in Italien im Jahr 2006 durch den US-Geheimdienst NSA. Zahlreiche lateinamerikanische Medien griffen in dieser Woche einen entsprechenden Bericht des italienischen Internetportals Globalist.it auf. Dort stand, Washingtons Agenten hätten im Mai 2006 Chávez während dessen einwöchigen Besuchs in Rom nahezu lückenlos ausspioniert. Das sei auch ein Testlauf für das von Snowden enthüllte Bespitzeln der Teilnehmer des G-20-Gipfeltreffens 2009 in London gewesen, vermutet man bei Globalist.it.

Im Mai 2006 hatte sich das Verhältnis zwischen Caracas und Washington weiter verschlechtert. Im Jahr zuvor hatte Hugo Chávez den Aufbau des Sozialismus als Ziel des revolutionären Prozesses ausgegeben und als Hauptredner des »Antiimperialistischen Tribunals« im Rahmen der in Caracas veranstalteten Weltjugendfestspiele die Politik von »Mister Danger«, dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush, scharf attackiert. Mit Rückendeckung Washingtons setzte die rechte Opposition in Venezuela auf Destabilisierung und hatte zum Beispiel die Parlamentswahlen Ende 2005 boykottiert. Für Dezember 2006 standen Präsidentschaftswahlen an.

Wie bei Globalist.it nun unter Berufung auf Informationen eines namentlich nicht genannten Insiders berichtet wurde, hielt sich ab dem 7. Mai 2006, drei Tage vor der Landung des venezolanischen Präsidenten, eine Eliteeinheit der NSA in Rom auf. Deren Mitglieder seien in einem Seitenflügel der US-Botschaft untergebracht worden, ohne in direkten Kontakt mit Diplomaten zu treten. Zwei Tage später begannen dem Bericht zufolge zwei Spionageflugzeuge über der italienischen Hauptstadt zu kreisen, die von der NSA-Einheit gesteuert wurden. Damit war das Feld bestellt, als Chávez am 10. Mai 2006 in Rom landete. Die Agenten kontrollierten unter anderem alle Funkfrequenzen, auch die der italienischen Sicherheitsbehörden, und überwachten im Rahmen der damaligen Möglichkeiten den Internetverkehr, schon damals vor allem über Hintertüren in sozialen Netzwerken und bei Mailanbietern. Im Report von Globalist.it wird davon ausgegangen, daß die NSA zudem in der Lage war, praktisch alle Gespräche des venezolanischen Präsidenten mitzuhören. »Die Operation Chávez kostete ein Vermögen, erfolgte aber auf ausdrücklichen Befehl von George Bush selbst, der in dem Präsidenten Venezuelas einen seiner größten Feinde sah und dessen Strategien, Kontakte und internationalen Bezugspersonen er bis ins Detail kennen wollte«, heißt es beim italienischen Internetportal.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 3. Juli 2013


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