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Teures Billigobst

Plantagenarbeiter in Ecuador und Costa Rica zahlen die Zeche für "preiswerte" Bananen und Ananas in deutschen Supermärkten

Von Rainer Balcerowiak *

Zwar sind die Preise für Lebensmittel in Deutschland in den vergangenen zwölf Montaen deutlich gestiegen, das gilt aber nicht für alle Bereiche. Die Endverbraucherpreise für Südfrüchte sind kaufkraftbereinigt sogar gesunken.

Die Zeche für den besonders mit Bananen und Ananas reich gefüllten durchschnittlichen deutschen Obstkorb zahlen andere, wie eine am Montag in Berlin veröffentlichte Studie der Hilfs- und Entwicklungsorganisation Oxfam anschaulich darlegt. »Der Preiskampf auf dem deutschen Lebensmittelmarkt läuft fast ausschließlich über den Einkauf seitens der großen Handelskonzerne«, so die Autorin der Studie, Marita Wiggerthale. Fünf Konzerne beherrschen mittlerweile über 70 Prozent des deutschen Lebensmittelmarktes: Edeka, Rewe, Aldi, Lidl und Metro. Lieferanten, die sich den Preisforderungen der Händler nicht anpassen, werden ausgelistet und riskieren den Bankrott ihrer Unternehmen.

Die Folge sind menschenverachtende Arbeitsbedingungen in den Erzeugerländern. Alleine auf den Bananenplantagen Ecuadors sind nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) 30000 Kinder beschäftigt, die teilweise wie Sklaven gehalten werden. Wie in Costa Rica werden auf den Plantagen große Mengen des in Europa aufgrund nachgewiesener gesundheitsschädlicher Folgen verbotenen Pestizids Paraquat und ein bunter Cocktail weiterer Pflanzengifte eingesetzt. Viele Arbeiter leiden daher unter schweren Augenschäden, permanenter Übelkeit und Hautkrankheiten. Vielerorts gibt es im Umfeld der monokulturellen Bananen und Ananasplantagen kaum noch genießbares Trinkwasser. Auch die Bodenerosion nimmt mittlerweile dramatische Ausmaße an, da der wachsende Appetit auf Südfrüchte durch Neuanlagen gestillt werden muß, denen sowohl Waldgebiete als auch kleine Plantagen zum Opfer fallen. Die Bildung von Gewerkschaften wird rigoros unterbunden, gesetzliche Vorgaben für Höchstarbeitszeiten und Mindestlöhne werden ignoriert.

Zwar sind alle großen Lebensmittelketten mittlerweile auch bei Bananen auf den Biozug aufgesprungen, eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Produzenten bedeutet das aber nur bedingt. Die Pestizidbelastung entfällt bei ökologischem Anbau, doch die miese Entlohnung bleibt, denn die Handelsstrukturen unterscheidenen sich im Biosegment kaum noch von denen bei konventioneller Ware. Fruchtmultis wie »Dole« produzieren sowohl konventionelle als auch Bioware. Etwas besser sieht es dagegen bei Produkten mit dem »Fair Trade«- Label aus. Bei diesen wird garantiert, daß ein Mindestmaß an Sozial- und Umweltstandards eingehalten wird. Durch höhere Erzeugerpreise wird auch kleineren Betrieben und Kooperativen das ökonomische Überleben ermöglicht. Zudem fließt ein Teil der Erlöse in regionale Schul-, und Gesundheitsprojekte. Allerdings ist auch »Fair Trade« ins Gerede gekommen, seitdem der deutsche Lizenzgeber Transfair ausgerechnet mit Lidl vor zwei Jahren eine Kooperation vereinbarte. Ohnehin ist der Anteil fair gehandelter Südfrüchte marginal, weil auch diejenigen Kunden, die den entsprechenden Aufpreis locker verkraften könnten, überwiegend zu Billigimporten beim Discounter greifen.

Für Oxfam ist die Sensibilisierung der Verbraucher für den wahren Preis der billigen Südfrüchte nicht der entscheidende Hebel. Die Organisation fordert von der Bundesregierung, deutsche Einzelhändler und Importeure zu veranlassen, ihre Lieferanten zur Einhaltung von international vereinbarten Sozialstandards und zum Verzicht auf verbotene Pflanzengifte zu zwingen. Dies sei in Form einer »extraterritorialen Verpflichtung« möglich. Auch müsse sich das Bundeskartellamt mit den Auswirkungen der zunehmenden Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel beschäftigen. Die vorläufige Untersagung der Übernahme der Discountkette »Plus« durch den Branchenführer Edeka sei bestenfalls ein erster Schritt in die richtige Richtung, so Wiggerthale.

* Aus: junge Welt, 15. April 2008

Neuer Oxfam-Bericht "Endstation Ladentheke"

Die krumme Tour der Supermärkte – Marktkonzentration führt zu Arbeitsrechtsverletzungen in Entwicklungsländern

Oxfam: Arbeits- und Menschenrechte müssen eingehalten werden / Bundeskartellamt soll Einkaufsmacht der Supermarktketten prüfen / Bio- und Fair Trade-Produkte kaufen

Berlin, 14.4.2008.
Edeka, Rewe, Aldi, Lidl und Metro sind mit verantwortlich dafür, dass Tausende von Arbeiter/innen in Entwicklungsländern zu Hungerlöhnen und unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten müssen. Die genannten fünf größten deutschen Supermarktketten bedienen 70 Prozent des Marktes und nutzen diese Macht schamlos aus. Am Beispiel des Bananen- und Ananasmarktes belegt die neue Oxfam-Studie „Endstation Ladentheke“ die katastrophalen Arbeitsbedingungen der Arbeiter/innen in Costa Rica und Ecuador. Oxfam Deutschland fordert die Supermarktkonzerne auf, ihre Einkaufspolitik drastisch zu ändern. Ferner ruft Oxfam das Bundeskartellamt zur umfassenden Prüfung der Einkaufsmacht der Supermarktketten auf.

„Die Supermärkte setzen ihre Einkaufsmacht massiv dazu ein, die Lieferanten im Preis zu drücken. Bereits jetzt führt der Preisdruck dazu, dass die Lieferanten Arbeits- und Menschenrechte verletzen, um in dem harten Wettbewerb gut abzuschneiden“, berichtet Marita Wiggerthale, Handelsexpertin bei Oxfam Deutschland. Dies bedeute, dass die Arbeiter/innen der Lieferanten sehr lange für sehr wenig Geld arbeiten müssten. „Auf den Ananas-Feldern in Costa Rica sind Arbeitszeiten von zwölf Stunden und mehr die Regel. Der Lohn liegt im Durchschnitt bei neun Euro am Tag – das sind 75 Cent in der Stunde!“, berichtet Wiggerthale. Mitunter gäbe es sogar – noch schlechter bezahlte – Kinderarbeit: Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) arbeiten 30.000 Kinder auf den Bananenplantagen Ecuadors.

In Costa Rica und Ecuador verhinderten die Lieferanten zudem systematisch die Bildung von Gewerkschaften, kritisiert Wiggerthale. Dies treffe zum Beispiel für die Lieferanten von Dole, Chiquita, Del Monte, Fyffes, Cobana-Fruchtring, Edeka Fruchtkontor und Dürbeck zu – alles führende Südfrucht-Importeure. „Noboa ist einer der beiden bedeutendsten Bananen-Lieferanten für den deutschen Markt. Alvaro Noboa ist der reichste Mann Ecuadors, aber seine Arbeiter/innen leben in größter Armut und die Noboa-Plantagen sind bekannt für die Verletzung von Arbeitsrechten, insbesondere Gewerkschaftsrechten“ kritisiert Francisco Hildalgo, Direktor vom unabhängigen Agrar-Forschungszentrum SIPAE in Ecuador, in einem Interview für die Oxfam-Studie.

Die Studie zeigt zudem, dass die Arbeiter/innen in den Ananas- und Bananenplantagen auch in hohem Maße gesundheitsschädlichen Pestiziden ausgesetzt sind. So werden in Ecuador und Costa Rica giftige Pflanzenschutzmittel eingesetzt, die in Europa bereits verboten sind, zum Beispiel das Pestizid „Paraquat“, das in Europa seit dem 11. Juli 2007 nicht mehr benutzt werden darf. Arbeiter/innen, die mit „Paraquat“ in Kontakt kommen, leiden an Augenschäden, Nasenbluten, Reizung oder Verbrennung der Haut, Übelkeit und Erbrechen. „Wegen der hohen Gefährdung von Mensch und Umwelt muss die Anwendung von solch giftigen Substanzen sofort gestoppt werden“, so Wiggerthale.

Omar Salazar Alvarado ist Direktor der Organisation ASEPROLA in Costa Rica, die sich für Arbeitsrechte in Zentralamerika einsetzt. Im Interview für die Oxfam-Studie fordert er: „Wenn es um Ananas geht, ist Zweierlei wichtig: Die Ananas-Arbeiter in Costa Rica sollten ein menschenwürdiges Leben führen können und die Konsumenten in Europa sollten die Gewissheit haben, dass die Ananas unter menschenwürdigen Arbeitsbedingungen und ohne Schaden für die Bevölkerung und die Natur produziert wurde.“

Oxfam Deutschland empfiehlt allen Verbrauchern, die beim Genuss von Südfrüchten ein gutes Gewissen haben wollen, Bio- bzw. Fair Trade-Produkte zu kaufen. Die Gütesiegel garantieren, dass die Früchte umweltverträglich produziert bzw. zu fairen Handelskonditionen abgenommen werden. „Jeder kann dazu beitragen, die Situation zu verbessern, indem er Politik mit dem Einkaufskorb betreibt. Je mehr Menschen bewusst einkaufen, desto größer wird der Druck auf die Supermärkte, ihre Praktiken zu ändern. Außerdem hilft es der Umwelt und fördert ganz direkt bessere Lebensbedingungen in den Produktionsländern.“ sagt Wiggerthale.

Die Oxfam-Studie „Endstation Ladentheke“ zeigt, dass die Marktkonzentration besorgniserregende Ausmaße annimmt: Je größer der Marktanteil der wenigen verbleibenden Supermärkte, desto mehr können sie ihre Einkaufsmacht gegenüber den Zulieferern ausspielen. “Schon heute verlagern die Supermarktkonzerne viele Kosten und Risiken auf die Zulieferer. Zum Beispiel verlangen sie, dass Zulieferer sich mit Zuschüssen an der Neueröffnung von Geschäften beteiligen oder Jubiläums- und Hochzeitbonusse geben“, so Wiggerthale. Auch Listungsgebühren und rückwirkend geltende Konditionsänderungen seien übliche Praktiken. Der daraus resultierende Preis- und Kostendruck bewirke, dass sich die Arbeits- und Produktionsbedingungen in den Entwicklungsländern verschlechtern. Deswegen fordert Oxfam das Bundeskartellamt dazu auf, bei der laufenden Untersuchung im Fusionsverfahren Edeka mit dem Discounter Plus sorgfältig die Einkaufsmacht der Supermarktkonzerne unter die Lupe zu nehmen.

Die neue Oxfam-Studie „Endstation Ladentheke. Einzelhandel - Macht - Einkauf: Unter welchen Bedingungen Ananas und Bananen produziert werden, die in Deutschland über die Ladentheke gehen“ kann heruntergeladen werden unter: www.oxfam.de (pdf-Datei, externer Link)

Pressemitteilung von Oxfam Deutschland, 14. April 2008




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