Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Lateinamerika stellt Obama auf den Prüfstand

Der US-Präsident kommt nach Port of Spain, "um zuzuhören"

Von Harald Neuber *

Offiziell geht es beim Amerika-Gipfel vor allem um die Wirtschaftskrise und die Bekämpfung der Armut. Inoffiziell wird es auch um das einzige nicht teilnehmende amerikanische Land gehen: Kuba.

Wenn sich vom heutigen Freitag (17. April) bis Samstag 34 amerikanische Staats- und Regierungschefs in Trinidad und Tobago treffen, folgen sie zunächst einem sperrigen Motto: »Die Zukunft unserer Bürger sichern – Für die Förderung des menschlichen Wohlstands, der Energiesicherheit und der Nachhaltigkeit der Umwelt«. Die Realität wird viel spannender und konkreter sein, als der klotzige Titel vermuten lässt. Bei dem fünften Amerika-Gipfel werden die Beziehungen der USA mit den Staaten Lateinamerikas und der Karibik neu definiert werden. Mit einer Region also, die sich in den vergangenen Jahren massiv verändert hat.

Die brisanten Themen dieser ersten Zusammenkunft Barack Obamas mit 33 Amtskollegen vom amerikanischen Kontinent kommen weder im Titel noch in der Abschlusserklärung vor, die in den vergangenen Wochen ausgehandelt wurde: In Port of Spain wird es tatsächlich um die Erwartungen an einen politischen Neuanfang mit den USA gehen, um die weiter eskalierende Weltwirtschaftskrise – und um Kuba.

Spätestens seit der sozialistische Karibikstaat im vergangenen Dezember in die Rio-Gruppe aufgenommen wurde, fordern alle Staaten Lateinamerikas und der Karibik ein Ende der völkerrechtswidrigen Blockade Washingtons. Brasiliens Präsident Luiz Inácio »Lula« da Silva hat das Thema in zwei Beratungen mit Obama angesprochen, seit dieser am 20. Januar die Regierung übernommen hat. Und Venezuelas Staatschef Hugo Chávez stimmte in den beiden Tagen vor dem Amerika-Gipfel mit den Mitgliedern der alternativen Bolivarischen Alternative für Amerika (ALBA) ein gemeinsames Auftreten gegen die US-amerikanische Kuba-Politik ab. Die jüngsten Lockerungen von US-Sanktionsmaßnahmen ändern daran nichts.

Nicht nur die Kuba-Debatte belegt, dass sich der Wind in Lateinamerika gedreht hat. Die Geschichte der Amerika-Gipfel selbst dokumentiert den Wandel. Im Dezember 1994 wurde das erste Treffen dieser Art in Miami im US-Bundesstaat Florida unter der Ägide Washingtons organisiert. Nach dem Ende des Kalten Krieges sollte ein neuer Mechanismus etabliert werden. Die Amerika-Gipfel waren damit von Beginn an ein Hauptinstrument, um unilateral einen US-dominierten Freihandel auf dem Kontinent durchzusetzen. Anfang 1994 bereits hatte die US-Regierung Mexiko und Kanada in die Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA) eingebunden.

Schon die Gründung der Freihandelszone NAFTA war von einem Aufstand in Mexiko begleitet. Die damalige Rebellion der Zapatistischen Armee zur Nationalen Befreiung (EZLN) war nur ein Vorgeschmack auf die bevorstehenden Auseinandersetzungen.

Als der damalige US-Präsident George W. Bush sen. beim dritten Amerika-Gipfel 2001 in Quebec einen festen Zeitrahmen für die Gründung der ALCA-Freihandelszone verkündete – sie sollte 2005 in Kraft treten –, widersprach ihm nur Venezuelas Präsident Chávez. Bei dem folgenden Treffen 2005 im argentinischen Mar del Plata konnte Chávez bereits die »Beerdigung des ALCA« bekannt geben. Das Treffen war von massiven sozialen Protesten begleitet. Auf einem Gegengipfel versammelten sich linksgerichtete Politiker, soziale Aktivisten und Künstler. Nach Mar del Plata war klar, dass die US-Pläne für eine Freihandelszone unter dem neoliberalen Regime Washingtons gescheitert sind.

Nun steht der neue US-Präsident vor dem Scherbenhaufen der Lateinamerika-Politik seiner Vorgänger. Und er sieht sich einer geeinten und selbstbewussten lateinamerikanischen Staatengemeinschaft gegenüber. Sein Sonderberater für den Amerika-Gipfel, Jeffrey Davidow, äußerte sich entsprechend vorsichtig. Obama werde nach Trinidad und Tobago reisen, »um zuzuhören«. Er habe keine fertigen Pläne im Gepäck.

Am Samstag (18. April) wird Obama, wie aus Washington verlautet, mit den Mitgliedern der Südamerikanischen Staatenunion (UNASUR) zusammenkommen. Dieses Bündnis hatte unlängst einen »Südamerikanischen Verteidigungsrat« gegründet. Die Teilnahme Russlands als Beobachter wurde zwar dementiert, ist aber im Gespräch. Die USA, so hieß es aus Brasilien, müssten vor einer Eingliederung in die neue Militärstruktur zunächst ihre Beziehungen zu Kuba normalisieren. Auch das ist ein Indiz für das neue Selbstbewusstsein in Lateinamerika.

Die bedeutenden Absprachen werden am Rande des Gipfels getroffen werden. Auch die Abschlusserklärung wird die wahre Dimension des Wandels nicht widerspiegeln. Ecuadors Präsident Rafael Correa kritisierte das Dokument bereits als »seicht«, Kubas Revolutionsführer Fidel Castro beanstandete aus Havanna »unangemessene Konzepte«. Der Amerika-Gipfel, so scheint es, hat sich schon vor seinem Beginn überholt.

Amerika-Gipfel

Die Geschichte der Amerika-Gipfel ist relativ jung und hat einen von den USA vorgegebenen Fokus: die Bildung einer gesamtamerikanischen Freihandelszone (FTAA oder ALCA).

Bereits im Juni 1990 kündigte der damalige US-Präsident George Bush sen. seine Initiative »Enterprise for the Americas« an. Das Ziel: eine Freihandelszone von Alaska bis Feuerland. Als ersten Schritt in diese Richtung leitete Bush mit Kanada und Mexiko Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen ein. Diese mündeten unter der Ägide von Bill Clinton in den NAFTA-Vertrag mit Kanada und Mexiko, der zum 1.1.1994 in Kraft trat.

Auch die kontinentale Freihandelszone verlor Clinton nicht aus den Augen. Auf dem ersten »Amerika-Gipfel« in Miami Ende 1994 bot er den anwesenden Staats- und Regierungschefs aus 33 Ländern des Kontinents – alle außer Fidel Castro – eine »Partnerschaft für den Wohlstand« an. Der Gipfel endete mit der Unterzeichnung einer Erklärung und eines Aktionsplans. Bis zum Jahr 2005 sollten die Verhandlungen über eine umfassende Freihandelszone, die FTAA, abgeschlossen werden.

Daraus wurde nichts. Beim zweiten Gipfel 1998 in Santiago de Chile war Clinton am Ende seiner Amtszeit schon eine »lame duck« (lahme Ente) und seinem Nachfolger George Walker Bush blies bei den folgenden Gipfeln im kanadischen Quebec 2001 und vor allem im argentinischen Mar del Plata 2005 der Wind des lateinamerikanischen Linksrucks ins Gesicht: Dort erteilten die von Venezuelas Präsident Hugo Chávez als fünf Musketiere bezeichneten Präsidenten Argentiniens, Brasiliens, Uruguays, Paraguays und Venezuelas ALCA eine offene Absage und forderten wie der damalige argentinische Gastgeber Néstor Kirchner eine »neue Entwicklungsstrategie für die Region«. Ob diese Forderung in Trinidad und Tobago mit Leben erfüllt wird, ist freilich fraglich. ML

Die Rolle der OAS

Der Amerika-Gipfel und die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) sind nicht deckungsgleich, auch wenn es die 34 Staaten der 1948 im kolumbianischen Bogotá gegründeten OAS sind, die zu den Amerika-Gipfeln eingeladen wurden. In der OAS (mit Sitz in Washington) sind alle 34 Staaten des (süd- und nord-)amerikanischen Kontinents Mitglied, nur nicht das 1962 ausgeschlossene Kuba. Die wichtigsten Ziele sind der inneramerikanische Beistand, die Beilegung von Streitigkeiten und die wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit. In diesem Bereich wurde eine Vielzahl von Ausschüssen, Räten und Kommissionen geschaffen. Erst seit dem zweiten Amerika-Gipfel spielt die OAS eine Rolle und wurde zum institutionellen Gedächtnis des Gipfel-Prozesses berufen. ML



* Aus: Neues Deutschland, 17. April 2009


Zurück zur Lateinamerika-Seite

Zur USA-Seite

Zur Kuba-Seite

Zurück zur Homepage