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Libyen-Krieg spaltet Lateinamerika

Reise von US-Präsident Barack Obama nach Brasilien und Chile wird von Protesten überschattet

Von André Scheer *

Die Hoffnungen, die Lateinamerika vor zwei Jahren in Barack Obama gesetzt hatte, sind verflogen. Wie schon am Wochenende in Brasilien wurde der US-Präsident auch am Montag in Chile von wütenden Protesten begrüßt. Bereits am Sonntag hatten Tausende Menschen im Zentrum der Hauptstadt Santiago nicht nur gegen die anhaltende Einmischung Washingtons in die inneren Angelegenheiten ihres Landes demonstriert, sondern auch gegen ein am Freitag von beiden Regierungen unterzeichnetes Atomabkommen. Während Chiles Staatschef Sebastián Piñera, dessen Land bisher keine Atomkraftwerke betreibt, in diesem Vertrag lediglich die Grundlage für »Forschungen« sieht, werfen ihm Umweltschutzgruppen vor, Reaktoren bauen zu wollen. »Kernenergie ist Todesenergie« hieß deshalb eine der Losungen. Eine andere war »Weder Atomkraft noch Invasion in Libyen«.

Der Krieg, den die USA gemeinsam mit Frankreich, Großbritannien und anderen Verbündeten gegen das nordafrikanische Land entfesselt haben, überschattet Obamas Lateinamerika-Reise. Diese sei »auf die zweite Seite gerutscht, niemand kümmert sich darum«, kommentierte dies der frühere kubanische Präsident Fidel Castro in seiner jüngsten »Reflexion«, die am Montag verbreitet wurde. »In Brasilien sind die Interessenwidersprüche zwischen den Vereinigten Staaten und diesem Bruderland offensichtlich geworden.«

Tatsächlich nahmen viele Brasilianer empört wahr, daß der US-Präsident am Sonnabend die gemeinsame Pressekonferenz mit Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff dazu nutzte, den Beginn der Angriffe auf das nordafrikanische Land anzukündigen. Damit düpierte er die seit Jahresbeginn amtierende Staatschefin, deren Land sich im UN-Sicherheitsrat bei der Abstimmung über die Aggression enthalten hatte. Eine öffentliche Kundgebung Obamas in Rio de Janeiro wurde ohne Angaben von Gründen abgesagt. Offenbar waren lautstarke Proteste von Kriegsgegnern befürchtet worden, die jedoch auch so in mehreren Städten des Landes auf die Straße gingen. Die mit der Regierung verbündete Kommunistische Partei (PCdoB) unterstrich: »In Libyen findet ein Bürgerkrieg statt. Für eine politische und friedliche Lösung ist es notwendig, die Unabhängigkeit und territoriale Integrität dieser nordafrikanischen Nation zu respektieren.«

Der Krieg gegen Libyen spaltet Lateinamerika. Kolumbiens Staatschef Juan Manuel Santos hatte im UN-Sicherheitsrat für die Aggression stimmen lassen, und auch Alan García aus Peru und Panamas Präsident Ricardo Martinelli erklärten ihre ausdrückliche Unterstützung für den Angriff. Demgegenüber verurteilten Venezuela, Bolivien, Paraguay, Ecuador, Argentinien, Uruguay und Nicaragua den Kriegsbeginn in mehr oder weniger klaren Worten.

»Nichts, absolut nichts, rechtfertigt diese Invasion«, unterstrich der venezolanische Präsident Hugo Chávez am Sonntag in seiner wöchentlichen Fernsehsender »Aló, Presidente«. »Das Yankee-Imperium hat die Entscheidung getroffen, den Augenblick des Volksaufstandes nicht nur dazu zu nutzen, Ghaddafi zu beseitigen oder ihn, wenn es ihnen möglich ist, umzubringen – noch wichtiger ist ihnen das Erdöl.«

Auch Boliviens Präsident Evo Morales verurteilte die Militärintervention in Libyen als Verletzung der Menschenrechte, die nur neue Gewalt provozieren werde. Der »ideologische, programmatische, politische und gesellschaftliche Konflikt« in Libyen müsse friedlich gelöst werden, forderte Morales. Das Problem in Libyen sei ebensowenig Ghaddafi, wie es Saddam Hussein im Irak gewesen sei. »Ihr Interesse ist, sich das Erdöl anzueignen«, warnte auch der bolivianische Präsident.

Uruguays Staatschef José Mujica bedauerte die Angriffe als Rückschlag für die geltende internationale Ordnung. »Die Medizin ist viel schlimmer als die Krankheit. Leben mit Bomben retten zu wollen ist ein unauflösbarer Widerspruch.« Für Nicaraguas Präsident Daniel Ortega sind die Vereinten Nationen durch den Sicherheitsratsbeschluß zu einem von den Großmächten kontrollierten »Instrument des Krieges und des Todes« geworden.

* Aus: junge Welt, 22. März 2011


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