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Dreckige Tricks

Geschichte. Vor fünfzig Jahren beschloß der US-Generalstab die "Operation Northwoods". US-Terrorprogramm gegen Kuba brachte die Welt an den Abgrund

Von Horst Schäfer *

Es war ein widersprüchlicher Jahresbeginn 1962. Einerseits gab es Zeichen der Entspannung und Vernunft: Am 10. Februar wurden auf der ­Glienicker Brücke bei Potsdam Gary Powers (1960 mit dem US-Spionageflugzeug Lockheed U-2 über der Sowjetunion abgeschossen) und der 1957 in den USA verhaftete sowjetische Kundschafter Rudolf Abel ausgetauscht. Die Großmächte einigten sich, am 14. März in Genf eine Abrüstungskonferenz zu beginnen. Der Außenminister der UdSSR, Andrej Gromyko, empfing seinen bundesdeutschen Kollegen Gerhard Schröder (»SA-Schröder«, CDU). Die dänische Regierung setzte sich am 15. März für die Schaffung von atomwaffenfreien Zonen überall in der Welt ein. In Paris forderte eine halbe Million Menschen ein Ende des seit acht Jahren dauernden Algerien-Krieges; dem Protest folgte dann am 18. März die Unterzeichnung eines entsprechenden Vertrages zwischen Frankreich und Algerien.

Dem entgegen standen die zunehmenden verdeckten Operationen der USA Anfang 1962 in Vietnam und Laos mit der Sanktionierung von »Entlaubungsprogrammen« durch die Kennedy-Administration, die Exkommunizierung des kubanischen Staatschefs und Katholiken Fidel Castro durch Papst Johannes XXIII. am 3. Januar, der auf US-Druck erfolgte Ausschluß Kubas aus der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) am 22. Januar, die Verkündung der US-Blockade gegen Kuba am 7. Februar durch Präsident John F. Kennedy, die nun schon seit mehr als 50 Jahren anhält, und die Rehabilitierung des wegen seiner Nazivergangenheit zurückgetretenen Ministers Theodor Oberländer Mitte Februar durch Bundeskanzler Adenauer.

Am 14. Februar erließ Kennedy neun Verordnungen, die im Falle eines »nationalen Notstands« die Einführung des Kriegs- und Standrechts ermöglichen sollten. Am 28. Februar stationierte die US-Regierung in der Türkei 15 auf die Sowjetunion gerichtete atomare Mittelstreckenraketen, die während der Raketenkrise im Oktober 1962 noch eine Rolle spielen sollten. Gleichzeitig wurde das Tempo der Kriegsprovokationen gegen Kuba verschärft. Dazu lieferte das angeblich linksliberale und natürlich ganz unabhängige Magazin Der Spiegel in Heft 15/1962 mit einer Personalie über den kubanischen Staatschef medialen Flankenschutz: »Fidel Castro, 34, Freund des Stalin-Mumienschänders Chruschtschow, ließ die Skelette der Toten, deren Hinterbliebene dem Castro-Regime entflohen sind, aus den Gräbern reißen und die Gebeine verstreuen. Kubas Diktator glaubt, durch diese Leichenschändungen die Republikflucht seiner dem Ahnenkult anhängenden Landsleute eindämmen zu können.« Brrrr … In welcher Geheimdienst-Desinformationskloake hatte Der Spiegel denn hier gefischt?

Der Fall John Glenn

Als am 20. Februar 1962 der US-Astronaut John Glenn mit einer »Mercury«-Rakete in den Weltraum geschossen wurde und knapp ein Jahr nach Juri Gagarin als erster US-Bürger die Erde umkreiste, ahnte er sicher nicht, daß die Führung des Pentagon schon seinen Tod einkalkulierte. Am 2. Februar 1962 hatte Brigadegeneral William H. Craig im Auftrag des Pentagon den Plan vorgelegt, für ein mögliches Scheitern des bevorstehenden Weltraumstarts von Glenn unbedingt Kuba und dessen Regierung verantwortlich zu machen. In dem Papier heißt es: »Das Ziel ist, einen unwiderlegbaren Beweis zu haben, daß die Kommunisten in Kuba schuld sind, wenn der bemannte Raumflug Mercury fehlschlägt (…) Das soll durch die Herstellung mehrerer Beweisstücke erreicht werden, die elektronische Störmaßnahmen der Kubaner belegen würden.« Der Brigadegeneral überschreibt seinen Vorschlag treffend mit »Dreckiger Trick«.

Um ein Haar hätte John Glenn diese besonders perfide Kriegsbegründung gegen Kuba auch unfreiwillig geliefert, denn es gab bei der Landung große Schwierigkeiten, weil das Hitzeschild der Raumkapsel beschädigt wurde und für einige Zeit die Gefahr bestand, daß er in der Atmosphäre verglühen würde. Hätten die USA unter diesem Vorwand dann Kuba überfallen und damit einen dritten Weltkrieg riskiert? Zumindest hatte man das so vorgesehen. Doch der Fall John Glenn war nur einer der zahlreichen Pläne der US-Generalität, Vorwände für einen Krieg gegen das verhaßte Kuba zu fabrizieren.

»Dirty-Trick-General« Craig gehörte zum US-Generalstab und war die rechte Hand von dessen Chef, Lyman Lemnitzer, dem höchsten Militär der USA. Gibt man den Namen Lemnitzer oder das Datum 13. März 1962 in die Suchmaschine Ixquick ein (Eigenwerbung: »die diskreteste Suchmaschine der Welt«), erscheint als erstes Ergebnis »Operation Northwoods«. Man erfährt, daß es sich dabei um offizielle Dokumente mit der höchsten Geheimhaltungsstufe über zahlreiche geplante Terroranschläge der US-Regierung auch gegen die eigene Bevölkerung handelte, die am 13. März 1962 von Lemnitzer unterzeichnet worden waren. Jahrzehnte später entdeckte der US-Militärhistoriker James Bamford sie bei Recherchen im Archiv der weltgrößten Spionagebehörde, der Nationalen Sicherheitsagentur (NSA) der USA.

Kuba in die Schuhe schieben

Die brisanten Papiere waren mehr als 35 Jahre im Tresor versteckt und wurden von Bamford, nachdem sie offiziell von den Regierungsbehörden freigegeben worden waren, im Frühjahr 2001, kurz vor dem Terroranschlag auf die Zwillingstürme in New York, veröffentlicht. »North­woods« gehörte zur »Operation Mongoose«, einem bereits unmittelbar nach der Niederlage in der Schweinebucht im April 1961 (siehe jW-Thema vom 15.4. und 30.11.2011) geplanten Militäreinsatz, der seinen Höhepunkt im Oktober 1962 – kurz vor wichtigen Wahlen zum US-Kongreß – in der Eroberung und »Befreiung« Kubas finden sollte.

Das besonders Perfide an »Northwoods« war: Ihre eigenen terroristischen Attentate wollten die USA Fidel Castro in die Schuhe schieben – etwa nach dem Muster des Reichstagsbrandes 1933, der Hitler als Begründung diente für die Verhaftung von Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern und für die Außerkraftsetzung aller Grundrechte. Oder wie beim angeblich polnischen Überfall auf den Sender Gleiwitz 1939 durch die SS, der Vorwand war für den Krieg des faschistischen Deutschlands gegen Polen. Auf ähnliche Weise sollte auch die Militäroperation unter dem Codenamen »Mongoose« und die Besetzung Kubas vor der eigenen Bevölkerung und vor der UNO als gerechtfertigt und notwendig hingestellt werden.

ABC, eine der größten US-Fernsehgesellschaften, charakterisierte am 1. Mai 2001 die »Northwoods«-Dokumente als »Pläne der führenden Militärs der USA, unschuldige Menschen zu töten und Akte des Terrorismus in US-Städten zu verüben, um öffentliche Unterstützung für einen Krieg gegen Kuba zu schaffen«. Das habe eingeschlossen: »Die mögliche Ermordung kubanischer Emigranten, die Versenkung von Schiffen mit kubanischen Flüchtlingen auf hoher See, die Entführung von Flugzeugen, die Sprengung eines US-Schiffes und sogar die Inszenierung von gewalttätigem Terrorismus in US-Städten. Die Pläne wurden entwickelt als Möglichkeit, die amerikanische Öffentlichkeit und die internationale Gemeinschaft durch Vorspiegelung falscher Tatsachen dazu zu bringen, einen Krieg zur Absetzung von Kubas damaligem neuen Führer, des Kommunisten Fidel Castro, zu unterstützen.« Soweit ABC.

Die »Northwoods«-Provokationen

Am 13. März 1962 billigten die Generale und Admirale des Vereinigten Generalstabs (JCS) den Plan und nannten ihn »Operation Northwoods – Vorwände zur Rechtfertigung einer US-Militärintervention in Kuba«. Generalstabschef Lemnitzer setzte schwungvoll seinen Namen unter das Dokument, und es wurde über Verteidigungsminister McNamara an Präsident John F. Kennedy geleitet. Der Generalstab drängte auf baldige Umsetzung der Invasionspläne, denn bisher, so das Hauptargument, gebe es noch kein bilaterales Verteidigungsabkommen zwischen Sowjetunion und Kuba. Daher sei der Zeitfaktor »für die Lösung des Kuba-Problems wichtig«. Wenige Wochen zuvor, nach dem »Mongoose«-Beschluß der Regierung zur Vorbereitung einer zweiten Kuba-Invasion, waren CIA, Pentagon und Außenministerium aufgefordert worden, die Planung mit eigenen Ideen zu unterstützen. Lemnitzer verwies darauf, daß außer dem Generalstab auch das Außenministerium an einem eigenen Papier zur »Rechtfertigung einer militärischen Intervention der USA in Kuba« arbeite.

Wichtigster Grund für »Operation North­woods« war die psychologische Vorbereitung des Überfalls auf Kuba, der »Operation ­Mongoose«, mit allen Mitteln des schmutzigen Krieges. Und so formulierten die höchsten US-Militärs: »Die vorgeschlagenen Aktionen basieren auf der Voraussetzung, daß die militärische Intervention der USA Ergebnis einer Periode verstärkter US-kubanischer Spannungen ist, in der die USA berechtigten Grund zur Klage haben. Die Weltmeinung und das Forum der Vereinten Nationen sollten dahingehend beeinflußt werden, daß das internationale Bild einer unbesonnenen, unverantwortlichen kubanischen Regierung entsteht, einer alarmierenden und unkalkulierbaren Bedrohung für den Frieden in der westlichen Hemisphäre«.

Und um solche Spannungen zu schüren und Kuba als terroristisch verleumden zu können, schreckte der Generalstab auch nicht vor sogenannten Kollateralschäden im eigenen Land zurück – einschließlich Toter und Verwundeter. Wie anders soll man Punkt vier des »Northwoods«-Plans verstehen, der lautet: »Wir könnten eine kubanisch-kommunistische Terrorkampagne in der Gegend von Miami und anderen Städten Floridas und sogar in Washington entwickeln. Die Terrorkampagne könnte gegen kubanische Flüchtlinge gerichtet sein, die in den USA Asyl suchen. Wir könnten – in Wirklichkeit oder nur simuliert — eine Schiffsladung Kubaner versenken, die auf dem Weg nach Florida ist. Wir könnten Anschläge auf das Leben kubanischer Flüchtlinge in den USA in dem Maße fördern, daß es Verwundete gibt und es dann breit publiziert wird. Die Explosion von einigen Plastikbomben an sorgsam ausgewählten Plätzen, der Arrest kubanischer Agenten und die Veröffentlichung von vorbereiteten Dokumenten, die eine kubanische Beteiligung beweisen, wären bei der Vermittlung des Bildes einer verantwortungslosen Regierung hilfreich.«

»Erinnert euch an die ›Maine‹«

Daher war es naheliegend, eine erfolgreiche Operation unter falscher Flagge neu aufzulegen. US-Präsident William McKinley hatte 1898 einen Vorwand gesucht, sich in den Aufstand der Kubaner gegen die Kolonialmacht Spanien einzumischen und das Schlachtschiff »Maine« nach Havanna geschickt. Es flog in die Luft, 266 US-Seeleute starben. Und sofort wurde behauptet, Spanien habe das Schiff gesprengt – die USA hatten ihren Kriegsgrund. Das wollte General Lemnitzer auch und schlug vor: »Ein Zwischenfall ›Erinnert euch an die Maine‹ könnte auf verschiedene Art arrangiert werden (…) Wir könnten ein US-Schiff in der Bucht von Guantánamo in die Luft jagen und Kuba dafür verantwortlich machen. Wir könnten auch ein unbemanntes Schiff irgendwo in kubanischen Hoheitsgewässern sprengen (…) Die Nähe zu Havanna (…) würde es glaubwürdiger machen, insbesondere, wenn die Leute den Krach gehört oder das Feuer gesehen haben (…) Die Verlust­listen in den US-Zeitungen würden eine hilfreiche Welle der nationalen Empörung auslösen.«

Die US-Militärbasis Guantánamo, 1903 nach dem durch die Explosion der »Maine« ermöglichten Einmarsch der USA in Kuba ergaunert, spielte bei den geplanten Provokationen eine wichtige Rolle. »Eine Serie gut koordinierter Zwischenfälle wird in und um Guantánamo vorgesehen, um wirklich den Eindruck zu vermitteln, daß sie von feindlichen kubanischen Streitkräften verübt werden«, planten die Militärs. »Befreundete Kubaner« in kubanischen Uniformen sollten die Basis angreifen und als Saboteure verhaftet werden, sie sollten Unruhen am Haupteingang starten, Munition sprengen, Feuer legen, ein Flugzeug in Brand setzen. Sogar Scheinbegräbnisse sollten stattfinden, um alles möglichst echt aussehen zu lassen. Die angeblichen Übergriffe Kubas auf die Basis Guantánamo wollten die USA dann mit »Militäroperationen in großem Umfang« beantworteten.

Auch bei den Nachbarn sollte Kuba verunglimpft werden. Es war vorgesehen, US-Flugzeuge mit Kubas Hoheitszeichen in der Dominikanischen Republik Zuckerrohrfelder in Brand setzen zu lassen. »Brandsätze aus dem Sowjetblock sollten gefunden werden, gekoppelt mit ›kubanischen‹ Botschaften an den kommunistischen Untergrund in der Dominikanischen Republik sowie ›kubanischen‹ Lieferungen von Waffen, die an der Küste gefunden werden«, schlug der US-Generalstab vor. »Der Gebrauch von Flugzeugen des (sowjetischen) Typs MIG durch US-Piloten könnte eine zusätzliche Provokation liefern«, heißt es in den Dokumenten weiter. »Brauchbare Kopien der MIG könnten in etwa drei Monaten in den USA hergestellt werden.«

Dann wollten die Väter von »Northwoods« beweisen, »daß kommunistische kubanische MIGs eine Maschine der USAF in einem nicht provozierten Angriff über internationalen Gewässern zerstört haben«. Und das sollte so ablaufen: Eine Gruppe von F-101-Kampfjets fliegt in mindestens zwölf Meilen Entfernung an der kubanischen Küste entlang. Ein etwas abseits fliegender Pilot teilt über Funk mit, daß er von einer kubanischen MIG angegriffen wird, bringt jedoch in Wirklichkeit seine Maschine unterhalb des Radarschirms nach Florida zurück. Ein U-Boot »findet« in der Nähe der »Absturzstelle« Teile einer F-101, einen Fallschirm und anderes. Die übrigen Piloten haben von der Inszenierung keine Ahnung und können bei ihrer Rückkehr »eine wahre Geschichte« erzählen.

»Northwoods« und der 11.9.

Wer das »Northwoods«-Dokument bereits kurz nach der Veröffentlichung im Mai 2001 gelesen hatte, den mußte nur wenige Monate später zumindest ein Detail beim Terroranschlag vom 11.9. auf die Twin-Towers in New York aufmerken lassen. General Lemnitzer ließ bereits 1962 deutlich erkennen, daß es den USA schon knapp 40 Jahre vor dem 11. September technisch möglich war, große Passagiermaschinen vom Boden aus präzise fernzusteuern, sie den Kurs mit identischen Flugzeugen tauschen zu lassen und sie dann im passenden Moment von einer Bodenstation aus zu zerstören (oder eben in das passende Ziel zu fliegen). Ob wir in 40 oder 50 Jahren wohl erfahren werden, daß es auch im Jahre 2001 ein Geheimpapier der Regierung Bush gab mit dem möglichen Titel »Vorwände zur Rechtfertigung einer militärischen Intervention der USA in Afghanistan« und dem Plan eines niemals endenden »Krieges gegen den Terror« sowie einer ständigen Präsenz der Vereinigten Staaten im Nahen und Mittleren Osten?

In Punkt 8 der »Vorwände zur Rechtfertigung einer militärischen Intervention der USA in Kuba« vom Februar 1962 wollte der US-Generalstab jedenfalls eine präparierte US-Passagiermaschine über Kuba nach einem angeblichen »Angriff« durch kubanische Jäger zur Explosion bringen, den »Abschuß« als schlimmen Terrorakt brandmarken und als Grund für einen sofortigen Krieg gegen Kuba und für die militärische Invasion der Insel nutzen. Die Maschine, so der Plan, würde kurz nach dem Start mit einem identischen, aber ferngesteuerten leeren Flugzeug mit den gleichen Kennzeichen den Kurs tauschen. Wörtlich heißt es im »Northwoods«-Dokument: »8. Es ist möglich, einen Zwischenfall zu inszenieren, der überzeugend demonstrieren wird, daß ein kubanisches Flugzeug eine gecharterte Zivilmaschine auf dem Weg von den Vereinigten Staaten nach Jamaika, Guatemala, Panama oder Venezuela angegriffen und abgeschossen hat. Das Ziel wird nur deshalb so gewählt, damit die Flugroute über Kuba führt. Die Passagiere könnten eine Gruppe von Collegestudenten in den Ferien oder jede andere Gruppe mit dem gemeinsamen Interesse an einem zeitlich nicht festgelegten Charterflug sein.«

Über Kuba werde das ferngelenkte Flugzeug dann »auf der internationalen Notruffrequenz eine ›Mayday‹-Botschaft senden und erklären, daß es von einer kubanischen MIG angegriffen wird. Die Übertragung wird durch die von einem Radiosignal ausgelöste Zerstörung des Flugzeugs unterbrochen«. Dieser Ablauf, so der US-Generalstab, werde es Radarstationen für Zivilluftfahrt in den karibischen und südamerik­anischen Anrainerstaaten ermöglichen, »den USA mitzuteilen, was passiert ist, anstatt daß die USA den Zwischenfall ›verkaufen‹ müssen«. Insbesondere der letzte Punkt zeigt, daß die Generäle auch das kleinste Detail ihres geplanten unglaublichen Verbrechens genau durchdacht hatten.

Eines mußte den führenden US-Militärs jedenfalls klar gewesen sein: Ihre geplanten Kriegsprovokationen hätten sehr schnell zu einem atomaren Weltbrand führen können. Der Gesamtplan des US-Generalstabs wurde vom Präsidenten offenbar abgelehnt – weil ihn die Sorge umtrieb, daß dessen Bekanntwerden seiner Regierung erheblich schaden würde. Einige der Ideen sind dann aber tatsächlich für provozierende Aktionen gegen Kuba genutzt worden – bis weit über die durch die Raketenkrise im Oktober 1962 beendete »Operation Mongoose« und den Mord an John F. Kennedy hinaus.

Strategischer Vorteil des Erstschlags

Schon am 24. Juli 1962 drängte das Pentagon erneut, so bald wie möglich einen Krieg mit Kuba zu provozieren und begründete das mit dem strategischen Vorteil, daß dann nämlich die USA Zeitpunkt und Ort einer Invasion selbst bestimmen könnten. Unter »Nachteile« wird immerhin angemerkt: »Diese Aktion widerspricht der UN-Charta und der Doktrin der Nichtintervention, wie sie auf der Konferenz von Bogota verkündet wurde.« Die Kriegsbrandstifter wußten natürlich, daß sie gegen das Völkerrecht verstoßen. Die Beispiele zeigen, daß es die US-Seite war, die Provokationen plante. Außerdem wird deutlich, welche Geduld, Selbstbeherrschung, Vorsicht und Klugheit Havanna aufbringen mußte, um auf keine dieser Provokationen hereinzufallen.

Vier-Sterne-General Lyman Lemnitzer wurde von Präsident Kennedy nach Ende der »Operation Mongoose« nicht noch einmal als Generalstabschef berufen. Nach der Raketenkrise war er von November 1962 bis 1969 NATO-Oberbefehlshaber in Westeuropa. Am 6. Juni 1975 tauchte auch seine vom Plan »Operation Northwoods« bekannte Unterschrift erneut auf: Er hatte im Auftrag von Präsident Gerald Ford in der achtköpfigen Rockefeller-Kommission die gesetzlich verbotenen »CIA-Aktivitäten in den Vereinigten Staaten« untersucht ...

Das Bekanntwerden der 15 Seiten umfassenden menschenverachtenden »Northwoods«-Planung war auch insofern bedeutend, als damit – nach der Entlarvung der Vietnamkriegslügen durch die Veröffentlichung der »Pentagon-Papiere« 1971 und den Ermittlungen eines Senats-Untersuchungsausschusses 1975 über die Mord- und Terrorpolitik der CIA insbesondere gegen Kuba – erneut ein tiefer Einblick in die US-Werkstatt für die Erfindung von Kriegsgründen möglich wurde.

Spätestens seit diese Dokumente zugänglich sind, hat auch der insbesondere im Zusammenhang mit dem 11.9. oft gehörte Einwand an Überzeugungskraft verloren, Militär, CIA und Politik der USA würden doch nicht für die Schaffung eines Kriegsvorwands Gesundheit und Leben ihrer eigenen Bürger gefährden. In Kenntnis von »Operation Northwoods« ist auf alle Fälle größtes Mißtrauen gegenüber jeder offiziellen Begründung für eine militärische Intervention – ob in Irak, Afghanistan, Libyen, Syrien oder Iran – und gegenüber jedem angeblichen Terroranschlag angebracht. Es ist möglich, daß es sich dabei um eine Fälschung oder um eine Fabrikation aus den Geheimdienstwerkstätten der USA oder anderer Staaten handelt. Denn der Erfindungsreichtum der Fälscher scheint keine Grenzen zu kennen.

James Bamford, der Entdecker der Dokumente »Operation Northwoods«, erklärte gegenüber ABC zu den Gefahren, daß sich Ähnliches wiederholen könnte: »Das Beängstigende ist, daß nichts von alledem herauskommen würde – es sei denn, 40 Jahre später.« Vielleicht …

* Der Journalist Horst Schäfer hat elf Jahre als Korrespondent der DDR-Nachrichtenagentur ADN in den USA gearbeitet. Er ist Autor des Buches »Im Fadenkreuz: Kuba« (Berlin 2007) über mehr als 50 Jahre Staatsterrorismus gegen die sozialistische Inselrepublik, das sich – wie auch dieser Artikel – im wesentlichen auf inzwischen zugängliche offizielle US-Dokumente von CIA, Pentagon, Außenministerium, Weißem Haus und den Gedenkbibliotheken der jeweiligen Präsidenten stützt.

Aus: junge Welt, 8. März 2012



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