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Kuba plant die Zeit nach George Bush

Bereitschaft zum Dialog auf Augenhöhe / Fortsetzung der innenpolitischen Reformen

Von Leo Burghardt, Havanna *

Kuba stellt innen- und außenpolitisch die Weichen neu. Während Raúl Castro intern weiter auf Reformkurs ist, hat der Außenminister Felipe Pérez Roque die Bereitschaft bekräftigt, mit den USA einen politischen Dialog zu beginnen, der zur Verbesserung der Beziehungen führen »könnte«.

Das Verfallsdatum von George W. Bush als USA-Präsident nähert sich zusehends. Havanna denkt offensichtlich schon an die Zeit danach. Diesmal war es Außenminister Felipe Pérez Roque, der die beiden diplomatischen Vorstöße seines Präsidenten Raúl Castro in Richtung USA vom vergangenen Jahr unlängst während seines Afrika-Besuchs noch einmal aufgriff. Jedoch: Kuba werde nach wie vor keine Vorbedingungen akzeptieren und nicht als Bittsteller auftreten, sondern als ebenbürtiger souveräner Partner.

Washington tut sich schwer, das zu begreifen, obgleich es 50 Jahre Zeit hatte, aus der Erfolglosigkeit seiner Kuba-Politik Schlüsse zu ziehen. Doch Wandel durch Annäherung steht nicht in Aussicht. So werden auch alle Maßnahmen und Ideen, die im Schoße von Raúl Castros Regierung geboren werden, gebetsmühlenartig als Bagatellen und kosmetische Korrekturen abgetan.

Dan Erikson, Kuba-Experte des Interamerikanischen Dialogs in Washington, stellt mit seiner Analyse eine einsame, obgleich völlig zutreffende Ausnahme dar, wenn er sagt: »Raúl Castro hat in relativ kurzer Zeit wesentliche Ziele erreicht. Er hat seine Regierung konsolidiert, mit einer Reihe von kleinen Reformen Handlungsspielraum und Vertrauen gewonnen und die Beziehung Kubas zu Lateinamerika gestärkt.«

Aber auch Erikson kann sich nicht verkneifen, das Neue (»kleine« Reformen) in seinem Wert herunterzuspielen. 50 Prozent des kultivierbaren Bodens, die vor allem auf Grund der schweren Wirtschaftskrise nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus in Europa brach lagen, lassen sich auch unter günstigeren Verhältnissen nicht über Nacht in blühende Landschaften verwandeln. Aber es soll doch so schnell wie möglich gehen. Deswegen Raúl Castros Angebot vor dem Parlament am 11. Juli, an jeden die Äcker zu verteilen, der garantiert, dass sie bestellt werden.

Nach zehn Jahren Halbillegalität werden die Privattaxen wieder mit offiziellen Lizenzen zugelassen. Dass die Kubaner jetzt Zugang zu ihren Hotels und zu elektronischen Geräten haben, ist bereits zur Genüge kommentiert worden. Der öffentliche Personentransport, der kurz vor dem Kollaps stand, ist dank chinesischer Bus- und Eisenbahnimporte in der Hauptstadt fast wieder normal, im Landesinneren weitaus weniger anstrengend. Die von Fidel Castro angeschobene energetische Revolution, die im wesentlichen auf die Kontrolle des Stromverbrauchs und die Auswechslung von Millionen Glühlampen, stromfressenden alten Kühlschränken, Klimaanlagen und Ventilatoren hinausläuft, hat Kuba binnen zweier Jahre eine Einsparung von 500 Millionen Dollar gebracht. Insgesamt wurden 26,5 Millionen Stromverschlinger ausgemustert. Kuba gibt seine Erfahrungen plus Personal und Sparlampen gratis in der Karibik weiter.

Zwei tragische Probleme: Das Gesundheitswesen und die Volksbildung, einst die Glanzstücke der kubanischen Revolution, haben viel von ihrer Attraktivität eingebüßt. Nicht was die Fürsorge anbetrifft, wenn auch 30 000 Ärzte und Paramediziner im Ausland arbeiten und Devisen bringen (Kubaner haben eine Lebenserwartung von 78 Jahren und bei einem UNESCO-Test schnitten kubanische Schüler vorbildlich ab), aber die Immobilien sind sträflich vernachlässigt worden und die Wartezeiten entnervend. Dazu kommt, dass der Lehrermangel akut geworden ist. Tausende verließen ihren Job, weil sie in anderen Bereichen besser verdienen. Und die neuen Lehrer, 18 bis 22-Jährige, sind oftmals den Anforderungen nicht gewachsen. Raúl Castro schlug jetzt dem Parlament vor, erfahrene, pensionierte Lehrer zu bitten, wieder zu unterrichten, bis die höchsten Hürden genommen sind. Anreiz: Sie erhalten zur Rente ein volles Gehalt.

Während dieser letzten Parlamentssitzungen wurde die Gleichmacherei zu Grabe getragen. In Zukunft werden Löhne und Gehälter nach den Kriterien der Produktivität und Effizienz des Beschäftigten sowie der Wichtigkeit des industrie- bzw. landwirtschaftlichen Zweigs für das Land gezahlt. Bau- und Landarbeiter und Bauern stehen in der Liste ganz vorn. Sozialismus bürge für soziale Gerechtigkeit, Gleichheit vor dem Recht und bei den Chancen im Beruf und im Studium. Aber eben nicht für gleichen Lohn für alle.

Letzten Freitag berichtete die »Granma«, Raúl Castro habe ein Dekret über die bereits Anfang des Jahres angekündigte Verteilung staatlichen Landes an Bauern unterzeichnet. Damit soll die Produktion von Nahrungsmitteln angekurbelt werden. Der Boden geht nicht ins Eigentum der Bauern über, er kann also nicht an Dritte verkauft werden. Für Einzelpersonen ist die Zuteilung des Landes auf zehn Jahre begrenzt, bei Kooperativen sind es 25 Jahre. Die Dauer könne aber erweitert werden, hieß es.

Nun warten die Kubaner auf den 26. Juli, den 55. Jahrestag des Sturms auf die Moncada-Kaserne in Santiago, der als Beginn der Revolution gilt. Der Jahrestag wird seit jeher von einer Grundsatzrede begleitet. Mehr als 40 Jahre lang war das Fidel Castros Auftrag, der inzwischen auf Raúl übertragen wurde. Im Parlament gab es wenig Debatten zur Außenpolitik. Hat sich das der Präsident für den 26. vorbehalten? Aber viel mehr interessiert die Leute, wie es in ihrem Lande weitergehen soll. In Kuba werde es vorwärts gehen, hatte Raúl Castro am 11. Juli versprochen: »Unprätentiös und ohne Selbstbeweihräucherung«.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Juli 2008


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