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"Ich bin unbedingt dafür, dass es in Kuba mehr Freiheiten geben sollte"

Noam Chomsky in einem Interview über das US-Wirtschaftsembargo gegen Kuba und die "Cuban Five"

Die "Cuban Five" (weitere Informationen dazu im Kasten), die geplante Terroarakte gegen Kuba aufdeckten, sind noch immer in den USA inhaftiert. Der weltbekannte Wissenschaftler Noam Chomsky sieht trotzdem die Chance für einen fairen Prozess – wenn die Öffentlichkeit darauf drängt. Mit ihm sprach für die Tageszeitung "Neues Deutschland" Max Böhnel. Das Interview wurde unter dem Titel "Der Terrorkrieg gegen Kuba ist höchst aktuell" am 13. März 2006 veröffentlicht.



ND: Sehen Sie angesichts der rapiden Rechtsentwicklung der USA überhaupt noch eine Chance für ein gerechtes Verfahren für die »Cuban Five«?

Chomsky: Ich kann Ihrer Prämisse, wonach sich das ganze Land nach ganz rechts bewegt hat, nicht zustimmen. Es stimmt zwar, dass sich die amerikanischen Medien beharrlich weigern, über die »Cuban Five« zu berichten. Ebenso ist richtig, dass neben den Medien auch die Regierung und die beiden Großparteien nach rechtsaußen driften. Aber das heißt nicht, dass deswegen ein faires Verfahren auszuschließen wäre. Denn da ist ein Faktor, der gerne ausgeblendet wird: die öffentliche Meinung, der Mensch auf der Straße. Zwischen der öffentlichen Meinung einerseits und Regierung, Medien und Parteien andererseits geht die Kluft seit vielen Jahren auseinander. Letztere befinden sich, egal um welches politisches Thema es geht, weit rechts von der Öffentlichkeit. Ein faires Verfahren in Miami – wahrscheinlich nein, im Rest der USA aber durchaus möglich. Es liegt an Leuten wie uns, die Mainstream-Medien zur Berichterstattung zu zwingen. Wenn sich ein Teil der Öffentichkeit aktiv einmischt, dann ändern sich die Dinge. Wir haben das Privileg, im freiesten Land der Welt zu leben, das heißt, wir haben mehr Informationen über die Taten und Planungen unserer Regierung als irgendein anderes Land dieser Erde. Leider bewegen wir uns aber in einer schwer indoktrinierten Gesellschaft.

Wie ist die Extremhaltung der USA-Regierungen, egal ob von Demokraten oder Republikanern, gegen Kuba zu erklären? Liegt es daran, dass sie in Florida auf Stimmenfang gehen müssen?

Die Exil-Kubaner halte ich für einen untergeordneten Faktor. Man darf nicht aus den Augen verlieren, dass es sich nicht nur um einen terroristischen Krieg, sondern auch um das extremste Wirtschaftsembargo handelt, das je verhängt wurde. Schon wenige Monate nach der Selbstbefreiung Kubas im Januar 1959 beschloß die Eisenhower-Regierung, die Regierung in Havanna zu stürzen, mit Sabotageakten, aber auch mit mit einem Embargo. Der offen erklärte Grund ist die Bestrafung der Kubanerinnen und Kubaner. »Sie sind für die Regierung verantwortlich, deswegen mussten sie leiden, um sie zum Sturz der Regierung zu veranlassen«, lautete die Begründung aus dem USA-Außenministerium. Die fehlgeschlagene Invasion in der Schweinebucht und der sich anschließende Terrorkrieg unter den liberalen Kennedys, dieser extreme Fanatismus gegen Kuba, hatte laut Dokumenten aus dieser Zeit nichts mit der Sowjetunion und Antikommunismus, sondern mit Kubas »erfolgreichem Widerstreben gegen amerikanische Politik, die 150 Jahre zurückreicht«, zu tun, hieß es ganz offiziell.
Kuba stellte laut internen Berichten darüber hinaus das Problem eines »Virus« dar, um Henry Kissinger zu zitieren. Gemeint ist eine erfolgreiche unabhängige Entwicklung, die sich in der Region ausbreiten könnte. Dieser Terrorkrieg der USA gegen Kuba ist auch heute höchst aktuell.

Können Sie ein aktuelles Beispiel nennen?

Mitte Februar berichtete die Nachrichtenagentur AP, dass Mexiko gegen eine amerikanische Hotelkette in Mexiko klagen würde. Denn die USA-Regierung hatte die Hotelkette veranlasst, eine kubanische Delegation aus dem Hotel zu werfen – was wiederum gegen mexikanisches Recht verstößt. Die Kubaner hatten sich mit texanischen Ölbossen treffen wollen, die sich für die Ausbeutung von Ölquellen vor der kubanischen Küste interessierten. Washington preschte also vor und sagte: Nein, wir müssen Kuba erwürgen.

Wer ordnete dies an?

In diesem Fall war es eine Abteilung des USA-Finanzministeriums namens Office of Foreign Assets Control, OFAC. Ihm obliegt es, verdächtige Geldtransfers weltweit zu untersuchen. Was das OFAC so treibt, wurde in den USA-Massenmedien nicht genau aufgeführt. Aber es gibt von ihm interessante Aussagen vor dem USA-Kongress. Im jüngsten Bericht heißt es beispielsweise, dass das OFAC 128 Angestellte hat, die dubiose Finanztransfers untersuchen. Vier sind mit Osama bin Laden, Al-Qaida und Saddam Hussein betraut. Und geschlagene 24 befassen sich damit, ob irgendjemand das Embargo gegen Kuba verletzt. Das sagt einiges über die »Antiterror«-Prioritäten der Bush-Regierung.

Was hält die USA-Bevölkerung vom Embargo gegen Kuba?

Die Mehrzahl weiß nicht einmal, dass es existiert. Das heißt, dass das Embargo fortexistieren wird.

Was sagen Sie zu den Vorwürfen, Kuba verletze die Menschenrechte?

Ich bin unbedingt dafür, dass es in Kuba mehr Freiheiten geben sollte. Diese Forderung konnte ich auf Radio Havanna unzensiert stellen. Die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen auf kubanischem Territorium erfolgen in der Tat in Guantanamo. Im lateinamerikanischen Vergleich steht Kuba laut Amnesty International und Human Rights Watch, den beiden weltweit größten Menschenrechtsorganisationen, auf der Liste der Verletzer von Menschenrechten ganz weit unten. Was die Rechte von Frauen, das Recht auf Nahrung, auf Meinungsfreiheit, Organisationsfreiheit von Gewerkschaften und so weiter angeht, steht Kuba ziemlich weit oben.

* Aus: Neues Deutschland, 13. März 2006


Chronologie der Ereignisse im Fall der "Cuban Five"

Die Fünf (Antonio Guerrero Rodríguez, Fernando González Llort, Gerardo Hernández Nordelo, Ramón Labañino Salazar und René González) unterwanderten seit Anfang der 90er Jahre exilkubanische terroristische Gruppen in Südflorida und informierten die kubanischen Behörden über deren geplante Terroranschläge auf Kuba. (1999 beklagte Kuba vor der UNO 3.478 Tote und 2.099 Invalide aufgrund von Miami aus geplanten und ausgeführten Terroranschlägen.)

16. und 17. Juni 1998: Die kubanische Regierung übergibt dem FBI umfangreiches Aktenmaterial über die terroristischen Aktivitäten in Südflorida

12. September 1998: Das FBI verhaftet 10 Mitglieder der "Red Wasp", des kubanischen Agentennetzwerks. Der Staatsanwaltschaft gelingt es, fünf von ihnen zur "Kooperation zu bewegen" (Sie erhalten die üblichen Strafen für illegale Agententätigkeit.) Die anderen Fünf verschwinden für 17 Monate in Isolationshaft und werden in 26 Anklagepunkten der Verschwörung zur Spionage und im Fall von Gerardo Hernández auch zu Verschwörung zum Mord angeklagt.

Juni 2001: Nach einem beispiellosen 6-monatigen Prozess werden die Fünf von einer Jury in Miami-Dade trotz fehlender Beweise in allen Punkten der Anklage für schuldig gesprochen, Dezember 2001 zu horrenden Strafen verurteilt und danach auf 5 verschiedene weit über die USA verstreute Hochsicherheitsgefängnisse verteilt.

April - Mai 2003: Der vom 11th Circuit Court of Appeals in Atlanta auf den 7. April 2003 festgelegte Berufungsabgabetermin für die Verteidigung kann nicht eingehalten werden. (Ende Februar bzw. Anfang März 2003 kamen alle Fünf in ihren jeweiligen Gefängnissen in Isolationshaft, die zunächst für ein Jahr gelten, aber danach beliebig verlängert werden können sollte. Aufgrund internationalen Protestes, auch von Amnesty International, wurden sie nach einem Monat daraus entlassen.)

10. März 2004: Mündliche Anhörung durch drei Richter aus Atlanta in Miami (unter intern. Beobachtung, u.a. auch von RA Eberhard Schultz aus Deutschland)

27. Mai 2005: Die UN-Arbeitsgruppe für Willkürliche Inhaftierungen der Menschenrechtskommission in Genf veröffentlicht nach zweijähriger Analyse des Falles ihr Urteil mit einer 6-seitigen Begründung und Empfehlung an die US-Regierung, in ihrer Stellungnahme Nr. 19/2005 (Vereinigte Staaten von Amerika) heißt es, die Inhaftierung der fünf kubanischen Gefangenen sei "ein Verstoß gegen Artikel 14 des Internationalen Paktes für Zivile und Politische Rechte und entspricht nach Untersuchung des Falles vor der Arbeitsgruppe der Kategorie III der anwendbaren Kategorien". (Siehe das Urteil im Wortlaut weiter unten.)

09. August 2005: Das Drei-Richter-Panel des Berufungsgerichtes in Atlanta veröffentlicht sein Urteil in einer 93-seitigen Begründung, wonach die Strafurteile wegen der vorurteilsträchtigen Atmosphäre bei der Verhandlung in Miami-Dade aufgehoben und der Prozess an einem neutralen Ort wiederaufgenommen werden sollte.

01. November 2005: Dem Einspruch der Bundesstaatsanwaltschaft und der Beantragung einer EN-Banc-Anhörung vor allen 12 Richtern des Berufungsgerichtes in Atlanta wird stattgegeben. (Gemäß dem vom 11. Bezirksberufungsgericht in Atlanta festgesetzten Verfahren haben die Verteidiger der Cuban Five am 15. Dezember ihre Dokumente als Stellungnahme zu den Fragen des Gerichts eingereicht. Der US-Bezirksstaatsanwalt konnte diese Dokumente bis zum 13. Januar widerlegen, im Anschluss daran hatte die Verteidigung bis zum 27. Januar Gelegenheit, ihre eigene Gegenargumentation einzureichen.)

Am 14. Februar 2006 fanden die mündlichen Anhörungen statt, bei denen beide Seiten ihre mündlichen Argumente zur Beantwortung der Anliegen und Fragen der 12 Richter vortragen konnten.

ENTSCHEIDUNG der U.N. Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen (MENSCHENRECHTSKOMMISSION)
Stellungnahme Nr. 19/2005 (Vereinigte Staaten von Amerika)

Benachrichtigung: gerichtet an die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika am 8. April 2005

Betrifft: Herrn Antonio Guerrero Rodríguez, Herrn Fernando González Llort, Herrn Gerardo Hernández Nordelo, Herrn Ramón Labañino Salazar und Herrn René González Sehwerert

Aufgrund der vorliegenden Information bemerkt die Arbeitsgruppe folgendes:

(a) Nach ihrer Verhaftung und ungeachtet der Tatsache, dass die Gefangenen über ihr Recht auf Aussageverweigerung informiert worden waren und die Regierung ihnen Verteidiger zur Verfügung stellte, wurden sie über 17 Monate in Isolationshaft gehalten, währenddessen ihnen die Kommunikation mit ihren Anwälten und der Zugang zum Beweismaterial erschwert und so ihre Möglichkeiten, sich entsprechend zu verteidigen, geschwächt wurden.

(b) Da der Fall als ein die nationale Sicherheit betreffender eingestuft wurde, wurde den Häftlingen der Zugang zu den - Beweismaterial enthaltenden Dokumenten beschnitten. Die Regierung hat die Tatsache nicht bestritten, dass die Verteidiger wegen dieser Einstufung nur sehr begrenzten Zugang zum Beweismaterial hatte, was sich nachteilig auf deren Befähigung auswirkte, dem Gericht Gegenbeweise zu liefern. Diese spezielle Anwendung der Bestimmungen des CIPA [1] , wie sie in diesem Fall vorgenommen wurde und wie aus der der Arbeitsgruppe zur Verfügung stehenden Information hervorgeht, hat auch die Waffengleichheit zwischen der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung untergraben.

(c) Die Jury für die Verhandlung wurde nach einem Prüfungsverfahren ausgewählt, bei der die Verteidiger die Gelegenheit erhielten und die Verfahrensmittel nutzten, potentielle Geschworene abzulehnen, und sicherstellten, dass keine Cubano-Amerikaner der Jury angehörten. Dennoch hat die Regierung nicht geleugnet, dass selbst dann das Klima der Befangenheit und der Vorurteile gegenüber den Angeklagten vorherrschte und dazu beitrug, dass die Angeklagten von Anfang an für schuldig gehalten wurden. Es wurde seitens der Regierung nicht bestritten, dass sie ein Jahr später zugab, dass Miami ein ungeeigneter Ort für eine Verhandlung sei, wo es sich fast als unmöglich erweist, eine unparteiische Jury in einem Fall mit Bezug zu Kuba auszuwählen.

Die Arbeitsgruppe bemerkt, dass aus den Fakten und Umständen hervorgeht, unter denen die Verhandlung stattfand, und aus der Art der Anklagen und den schweren Strafen für die Angeklagten, dass die Verhandlung nicht in einem Klima der Objektivität und Unparteilichkeit stattgefunden hat, das errforderlich ist, um ein Ergebnis unter Beachtung der Standards eines fairen Gerichtsverfahrens nach Artikel 14 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, dessen Vertragspartei die Vereinigten Staaten von Amerika sind, zu erzielen.

Dieses Ungleichgewicht ist, wenn man die schweren Strafen, die die Personen in diesem vorliegenden Fall erhielten, in Rechnung stellt, unvereinbar mit den in Artikel 14 enthaltenen Standarts des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, die jedem eines Verbrechens angeklagten Menschen völlig gleichberechtigt das Recht garantieren, alle adäquaten Möglichkeiten zu nutzen, um seine Verteidigung vorzubereiten.

Die Arbeitsgruppe kommt zu dem Ergebnis, dass die drei oben genannten Tatbestandsmerkmale zusammengenommen von solchem Gewicht sind, dass sie der Freiheitsentziehung dieser fünf Personen einen willkürlichen Charakter verleihen.

Im Licht des Vorangegangenen gibt die Arbeitsgruppe folgende Stellungnahme ab:

Die Freiheitsentziehung von Herrn Antonio Guerrero Rodríguez, Herrn Fernando González Llort, Herrn Gerardo Hernández Nordelo, Herrn Ramón Labañino Salazar und Herrn René González Sehwerert ist willkürlich, sie Stellt einen Verstoß gegen Artikel 14 des Internationalen Pakts über zivile und politische Rechte dar und entspricht der Kategorie III der anwendbaren Kategorien, die in den Fällen vor der Arbeitsgruppe untersucht worden sind.

Nach dem Erlass dieser Stellungnahme fordert die Arbeitsgruppe die Regierung auf, die notwendigen Schritte zu unternehmen, der Situation in Übereinstimmung mit den Prinzipien, die in dem Internationalen Pakt über zivile und politische Rechte statuiert sind, abzuhelfen.

Angenommen am 27. Mai 2005

Anmerkung der Übersetzer:

[1] Der Classified Information Procedure Act (CIPA) ist ein in Spionagefällen angewandter Verfahrensakt, bei dem die Informationen als Regierungsgeheimnis klassifiziert werden. Nach Aussage hochrangiger Militärs vor Gericht konnte die Staatsanwaltschaft den Angeklagten jedoch keine Suche nach Regierungsgeheimnissen nachweisen, da sich die von ihnen gewonnenen Informationen nur auf die von Nichtregierungsorganisationen bezogen (vgl.: http://www.miami5.de/informationen/weinglass-dez-03.html)

Übersetzung ins Deutsche: ¡Basta Ya!

Quelle für beide Texte:www.miami5.de




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