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Nordkorea gibt den Besitz von Atomwaffen zu

Die Welt ist beunruhigt - Ausgewählte Kommentare und ein Interview

Im Folgenden dokumentieren wir eine Reihe von Kommentaren zur jüngsten Selbstbezichtigung der nordkoreanischen Regierung im Besitz von Atomwaffen zu sein.

Nordkoreanischer Schlag

VON KARL GROBE

Die doppelte Nachricht, Nordkorea habe Atomwaffen und werde nicht an den Verhandlungstisch gehen, verändert die politische Lage in Nordostasien und weit darüber hinaus. Sie kann nicht abgetan werden wie die Halb-Andeutungen vorher; denn das Außenministerium hat gesprochen, und die dessen Text verbreitende Nachrichtenagentur KCNA lässt kein Komma ohne Billigung von "ganz oben" über den Ticker laufen.

Die Motive Pjöngjangs lassen sich nur indirekt erschließen. Zunächst aus dem Duktus der langen Meldung. Die USA sind einziger Gegenstand der polemischen Passagen. Da ist kein unfreundliches Wort gegen China, Japan, Südkorea und Russland zu finden, nichts gegen die übrigen Beteiligten der Sechser-Gespräche, die es nicht mehr geben soll.

Kim Jong Ils Regime hält die USA offenbar für derzeit nicht aktionsfähig. Die diplomatischen Versuche, die Sechserrunde wieder zusammenzuholen, werden anscheinend als Schwächezeichen nach der selbstverschuldeten Verhedderung in Irak gewertet; warum sonst sollte Washington einen Emissär zu sehr vertraulichen Gesprächen nach Peking, Tokio und Seoul geschickt haben, wenn nicht, um die regionalen Mächte stärker für die eigene Sache einzuspannen?

Text und Tonfall geben zudem Anlass zu der Vermutung, dass in internen Auseinandersetzungen der militärische, nur in den Kategorien von Bedrohung und Abschreckung denkende Flügel derzeit in Nordkorea die Oberhand hat. Wenn das zutrifft, hat die Entwicklung eine gefährliche Dynamik angenommen.

Die Nachbarn Nordkoreas haben untereinander zu keinem besonders vertrauenerweckenden Niveau der Zusammenarbeit gefunden, aber jeder für sich hat enge Bindungen an die USA. In Südkorea dauert eine Grundströmung an, die eine Abkopplung von Washington anstrebt, Frieden auf der Halbinsel will und sich allenfalls bis zum Friedensschluss unter dem US-Schirm aufzuhalten bereit ist. Auch Japan steht unter diesem besonderen Schutz; der Tokioter Aufrüster-Flügel will aber darauf gerade nicht verzichten, sondern als Militärmacht auf Augenhöhe kommen.

Das löst Befremden und Ängste aus, in Seoul ebenso wie in Peking. Die Erfahrungen mit japanischer Besatzung und Annektion, obwohl sie sechzig Jahre zurückliegen, haben weder Chinas noch Südkoreas Regierende je vergessen, und Tokio hat ihnen das Vergessen nun gerade nicht leicht gemacht. Dann sind es immer wieder Kleinigkeiten - verglichen mit der aktuellen Kriegsgefahr -, die Animositäten schüren: Russisch-japanische Uneinigkeit über die Kriegs-Altlast der Zugehörigkeit von vier kleinen Kurilen-Inseln; chinesische und koreanische Empörung über Besuche des Premiers Junichiro Koizumi im Yasukuni-Schrein; unvereinbare Geschichtsdarstellungen in Lehrbüchern; bedeutender und schwerer wiegend die Nicht-Entschädigung von Zwangsprostituierten und Zwangsarbeitern; Geisterdebatten über den nationalen Charakter mittelalterlicher Territorialstaaten. Das bläst dem Nationalismus hier wie dort in die Segel. Nichts von Aussöhnung und Verständigung.

Pjöngjang analysiert das sehr genau, ohne laut darüber reflektieren zu lassen. Die Schlussfolgerung könnte lauten: Je mehr Zwist der Nachbarn untereinander und mit den USA, desto besser für die Dynastie der Nord-Kim-Familie. Die USA durch Nuklearrüstung von Intervention abzuschrecken - wobei Südkorea allemal Geisel ist - befördert den eigenen Status.

Genau dies ist weltpolitisch brisant. Nicht nur in Teheran wird man aufmerksam hinschauen und folgern, dass eigene Rüstung Sicherheit gibt. Proliferation der Massenvernichtungswaffen wird so gefördert. Und die internationale Aufsichtsbehörde ist machtlos. Nordkorea hat die Verträge längst aufgekündigt und alles in allem Welt-Eskalation bewirkt.

Aus: Frankfurter Rundschau, 11. Februar 2005

Nordkorea spielt starken Trumpf aus

Interview im Deutschlandfunk mit Herbert Wulf, Berater des UNO-Entwicklungsprogramms zur Abrüstung in Nordkorea

Breker: Am Telefon begrüße ich nun Professor Herbert Wulf, Mitbegründer und ehemaliger Leiter des Internationalen Konversionszentrum in Bonn. Er ist zudem auch Berater eines Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen zu Abrüstungsfragen in Nordkorea. Guten Tag, Herr Wulf.

Wulf: Guten Tag, Herr Breker.

Breker: Herr Wulf, wenn das Außenministerium in Pjöngjang dies so erklärt, dann ist es auch so: Nordkorea ist eine Atommacht. Kann man das so sagen?

Wulf: Man muss die Warnung oder die Meldung sicherlich ernst nehmen und als Warnung verstehen. Aber ob das tatsächlich so ist, darüber kann man nur spekulieren. Es ist klar, dass die Nordkoreaner eine sehr leistungsfähige Nuklearindustrie haben, sie haben sehr viel an wissenschaftlichem Potential in dieses Programm gesteckt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass man sich in Nordkorea auf eine Atombombe hinzubewegt hat in der Vergangenheit. Ob man damit eine tatsächlich einsetzbare Atombombe hat, denn es ist ja nie ein Test durchgeführt worden, das ist immer noch ein Fragezeichen.

Breker: Sie persönlich haben Zweifel, Sie kennen ja Nordkorea auch aus eigener Anschauung, dass die Bombe tatsächlich auch einsetzbar ist?

Wulf: Man muss darüber spekulieren oder man kann darüber nur spekulieren. Es ist durchaus möglich, dass die Nordkoreaner soweit sind. Ich glaube aber, dass hinter dieser Meldung und hinter dieser Politik Nordkoreas mehr steht als nur der Versuch, jetzt tatsächlich Atommacht zu werden und mit Atombomben Politik zu machen. Politik will man machen, indem man eben versucht, in den Verhandlungen möglichst viel zu bekommen. Das ist ein altes Konzept der Nordkoreaner, Trumpfkarten in der Hand zu haben und wenn man sich die desolate Lage des Landes ansieht, dann ist das Atomprogramm quasi die einzige Trumpfkarte, die Nordkorea noch verblieben ist.

Breker: Allerdings, Herr Wulf nur zum Verständnis, man hat ja zeitgleich gesagt, dass man die Sechser-Gespräche abbrechen will, zumindest für eine geraume Zeitspanne. Das hört sich gar nicht so an, als ob man jetzt auf die Karte der Verhandlungen setzen würde?

Wulf: Auch das hat Nordkorea ja schon vorher gemacht. Die Sechser-Gespräche, die Gespräche zwischen den sechs Ländern sind ja auch schon von Nordkorea in den drei Jahren seitdem sie durchgeführt worden sind, mehrfach abgebrochen worden und man hat mehrfach erklärt, nun sei man nicht mehr bereit für diese Gespräche, um sich dann anschließend doch wieder an den Tisch zu begeben.

Breker: Ist denn Nordkorea überhaupt willens, diese Sechser-Gespräche zu führen? Man hatte ja auch gehofft, dass man bilateral mit den Amerikanern ins Gespräch kommen könnte.

Wulf: Das ist schon immer eine zentrale Position der Nordkoreaner gewesen. Im Grunde ist für die Nordkoreaner nicht so interessant, ob sich Südkorea oder Japan oder Russland daran beteiligt, sondern interessant ist für die Nordkoreaner, von den USA Sicherheitsgarantien zu bekommen. Das ist auch ein Teil der, wenn man so will, schizophrenen Politik. Auf der einen Seite werden die Amerikaner verteufelt, werden als Teufel dargestellt, gleichzeitig möchte man aber einen Vertrag haben, indem die Amerikaner sich verpflichten, Nordkoreaner nicht anzugreifen und ihnen Sicherheitsgarantien zu geben.

Breker: Dieses Bedrohungsgefühl, Herr Wulf, was offenbar in Nordkorea herrscht vor einem Angriff oder vor Aggressionen aus den Vereinigten Staaten von Amerika, ist das im Lande spürbar oder lebt das nur an der Spitze dieses Regimes? Wie sehen Sie das aus Ihrer Erfahrung?

Wulf: Das ist sicherlich im Lande spürbar. Man merkt dies, wenn man mit Offiziellen aus dem Außenministerium spricht. Dieses ist ja nun das Einzige, was in die Bevölkerung an Informationen gegeben wird. Die Bevölkerung ist total isoliert von Informationen aus dem Ausland. Das heißt also, dies ist seit vielen Jahren, seit dem Ende des Koreakrieges, also seit über 50 Jahren immer wieder heruntergebetet worden. Ich glaube, dass dies fest verankert ist in der Bevölkerung, die Angst vor dem Großen Gegner, vor dem militärisch starken Gegner USA, der ja in Südkorea Nuklearwaffen stationiert hat. Das ist die Botschaft, die immer wieder an die Bevölkerung gegeben wird.

Breker: Herr Wulf, um es ganz klar zu machen, Sie aus Ihrer Erfahrung, aus Ihrer Kenntnis würden sagen, erst in dem Moment, wo Nordkorea auch tatsächlich einen Atomwaffenversuch unternimmt, also tatsächlich eine Waffe sprengt, muss die Welt absolut besorgt sein?

Wulf: Nein. Besorgt sein müssen wir in jedem Falle jetzt. Nur man muss sich fragen, was die Optionen der Internationalen Völkergemeinde, ob der USA oder der Vereinten Nationen oder der Europäer sind. Man kann, glaube ich, nicht militärisch gegen diese Nuklearwaffen vorgehen, das würde dem Völkerrecht widersprechen und außerdem würde das erhebliche Konsequenzen haben, weil Nordkorea militärisch stark genug ist, einen unakzeptablen Schaden den Südkoreanern zuzufügen. Man kann sich überlegen, ob man das Regime ächtet oder isoliert, dann treibt man es noch mehr in die Ecke. Dann bleibt eigentlich nur der im Moment vielleicht hilflose Versuch, die Nordkoreaner zurückzuholen an den Verhandlungstisch. Also sprich: Zuckerbrot und Peitsche. Hart gegen die Nordkoreaner sein, ihnen deutlich machen, dass das ein inakzeptables Verhalten ist, aber gleichzeitig auch anbieten, wir nehmen eure Sicherheitsängste ernst und werden mit euch darüber verhandeln. Ich glaube nach wie vor, dass die Nordkoreaner sich aus diesem Programm mit entsprechenden Hilfeleistungen herauskaufen lassen.

Breker: Herbert Wulf war das. Er ist Mitbegründer und ehemaliger Leiter des Internationalen Konversionszentrum in Bonn.

Quelle: Deutschlandradio, 10.02.2005, www.dradio.de/dlf

Die Korea-Blockade

Eine große Überraschung ist Nordkoreas Besitz von Atomwaffen nicht - von Markus Bernath

Der Kreis der erklärten Atommächte ist also um ein Mitglied größer geworden. Das allein zeigt die Bedeutung der Mitteilung, die Nordkorea über seine Nachrichtenagentur in die Welt hinaus gesandt hat und die nach einer entschiedenen Antwort der internationalen Staatengemeinschaft verlangt.

Hier beginnt aber auch wieder Pjöngjangs sattsam bekannte Poker-Politik der vergangenen Jahre: Eine große Überraschung ist Nordkoreas Besitz von Atomwaffen nicht; noch jeder höherrangigen Delegation, die zuletzt nach Pjöngjang reiste, wurde dort bedeutet, dass das kommunistische Land jetzt nun wirklich nukleare Sprengsätze plant, vorbereitet, kurz vor ihrer Produktion steht, leider noch ein paar neue bauen muss. Auch Nordkoreas Ankündigung, vorerst nicht mehr an den Sechs-Parteien- Gesprächen zur Beilegung des Atomstreits teilzunehmen, beeindruckt die Nachbarstaaten nicht über Gebühr. Alle glauben zu wissen: Kim Jong-il will sein Regime retten und nicht etwa in einem selbst angezettelten Atomkrieg untergehen. Eine neue vierte Verhandlungsrunde Nordkoreas mit Japan, China, Südkorea, Russland und den USA wird also wieder beginnen. Wird sie aber auch etwas erreichen? Das Problem der Koreakrise ist die Blockade, in die sich Pjöngjang und Washington in den zurückliegenden drei Jahren hineingeredet haben; die Lösung der Krise heißt "Realpolitik". Der Rückgriff auf den Zynismus der Jahre des Kalten Kriegs, wo Washington kühl den Machtvorteil abwog und das Geschäft mit Peking suchte zu Lasten der Sowjetunion.

Die USA müssten ähnlich heute dem nordkoreanischen Regime jene finanziell ausgepolsterte Sicherheitsgarantie geben, auf die Kim Jong-il so hofft, und ihre Verachtung gegenüber einem Staat, der seine Bürger verhungern ließ und in Arbeitslager steckt, hintanstellen. Nordkoreas realistische Option wiederum ist nur die nukleare Entwaffnung und ein Wirtschaftsweg nach dem Modell Chinas.

Aus: DER STANDARD, Wien, 11. Februar 2005

Atomkeule

Von Peter Kirschey

Nordkorea hat den Besitz von Atomwaffen bestätigt, melden die internationalen Agenturen. Hat es das wirklich? Die KDVR habe Atomwaffen zur Selbstverteidigung gegen die »unverhohlene Politik« der USA hergestellt, die darauf abziele, das Land zu »isolieren und zu unterdrücken«, soll das Außenministerium erklärt haben.

Der Wahrheitsgehalt solcher Erklärungen ist nicht nachprüfbar. Seit Jahren schwingt die KDVR propagandistisch die Atomkeule. Über welche Potenziale das Land tatsächlich verfügt, ist bis heute im Dunkeln. Doch gehen wir vom Schlimmsten aus. Dann kann es nur ein Ziel der internationalen Gemeinschaft geben, Nordkorea zu einer Abkehr von ihrer bisherigen Rüstungspolitik zu bewegen.

Doch es steht mit dem Rücken zur Wand, traditionelle Freundesländer gibt es nicht mehr, die Wirtschaft quält sich auf niedrigem Niveau mühsam voran, Hunger ist seit vielen Jahren Dauergast. Die Drohung mit der Bombe ist das Einzige, was die Führung dieses Landes noch in seinem Arsenal zu haben glaubt.

Es ist der falsche Weg, die KDVR permanent unter Druck zu setzen, Planspiele zum Sturz des Systems zu entwickeln, wirtschaftlich die Daumenschrauben anzusetzen und sie immer und immer wieder mit dem Bannfluch zu belegen. Sprüche wie »Achse des Bösen« (Bush), »Außenposten der Tyrannei« (Rice) sind absolut ungeeignet, den Frieden auf der koreanischen Halbinsel zu befördern. Statt fauler Worthülsen sollten die USA den Nordkoreanern endlich – wie gefordert – Sicherheitsgarantien bieten. Vielleicht lösen sich dann die nordkoreanischen Atomwaffen im Nebel auf, wo sie bisher versteckt waren.

Aus: Neues Deutschland, 11. Februar 2005

Harte Währung

Von Roland Heine

Die Meldung aus Nordkorea ist alarmierend. Das Regime in Pjöngjang hat sich zum Besitz von Atomwaffen bekannt. Ob das Land tatsächlich solche Waffen besitzt, ist nicht zweifelsfrei zu sagen, doch es ist wahrscheinlich. Unabhängige Experten gingen seit einiger Zeit schon davon aus, dass die Armee inzwischen mehrere Atombomben im Depot hat. Insofern ändert die jüngste Erklärung an der Sicherheitslage in der sensiblen ostasiatischen Region zunächst wenig. Neu ist, dass man in Pjöngjang nun dazu übergeht, Atomwaffen offensiv als politisches Argument einzusetzen. Niemand kann sagen, ob es dabei bleibt - das Regime ist unberechenbar und kämpft ums Überleben.

Der Fall Nordkorea darf jedoch nicht isoliert betrachtet werden. Wir erleben derzeit eine Renuklearisierung der internationalen Politik insgesamt, die Hauptschuld daran tragen die fünf offiziellen Atommächte, allen voran die USA. Sie waren es, die nach Ende des Ost-West-Konfliktes verhindert haben, dass Atomwaffen als Währung in den internationalen Beziehungen an Bedeutung verlieren. Doch auch die Nato insgesamt - und damit auch Deutschland - ist dafür in hohem Maße verantwortlich: der Pakt hält nach wie vor an der Option des atomaren Erstschlages fest. Zudem hat der Westen mit dem Jugoslawien-Krieg 1999 und dem Irak-Krieg 2003 klare Lektionen erteilt: Hätten Belgrad oder Bagdad Atomwaffen besessen, wären sie kaum angegriffen worden.

Aus Sicht vieler Staaten ist die politische Versicherung, welche Rüstungskontrolle einmal bedeutete, weggefallen. Die Supermacht USA demonstriert fast täglich, dass entsprechende Verträge für sie selbst nichts als Makulatur sind. Man nehme - um beim Fall Nordkorea zu bleiben - nur den Atomwaffensperrvertrag. 1970 in Kraft getreten, galt er lange eine Barriere gegen eine weltweite Ausbreitung nuklearer Waffen. Der Vertrag ging davon aus, dass fünf Staaten (USA, UdSSR, Frankreich, Großbritannien, China) zu diesem Zeitpunkt bereits Nuklearwaffen besaßen, allen anderen verbot er diese. Zum Ausgleich verpflichtete er die Atommächte, Verhandlungen mit dem Ziel der Abschaffung ihrer Atomwaffen aufzunehmen. Solche Verhandlungen aber wurden nie ernsthaft geführt, die Atomarsenale der fünf sind heute größer als 1970.

Der Sperrvertrag wurde von den offiziellen Atommächten vertragswidrig vor allem als Instrument zur Sicherung ihres Atomwaffenprivilegs genutzt. Und schon vor Jahren war klar, dass unter diesen Bedingungen der Austritt von Ländern mit Nuklearpotenzial wie Nordkorea droht. 2003 trat das Land tatsächlich aus. Andere, wie Indien, signierten den als diskriminierend empfundenen Vertrag gar nicht erst. Inzwischen haben Indien und Pakistan offiziell erklärt, Atomwaffen zu besitzen. Auch Israel gilt seit geraumer Zeit als De-facto-Atommacht, aus Ägypten und Südkorea gibt es Hinweise auf nukleare Ambitionen. Doch nur in ausgewählten Fällen - vor allem Iran und Nordkorea - haben die USA diesen Umstand zum Hauptthema der bilateralen Beziehungen gemacht.

Gerade in diesen Tagen hat Washington für neue Argumente gegen den Sperrvertrag gesorgt. Erst wurde bekannt, dass die USA dabei sind, Atomwaffen mit noch längerer Lebensdauer zu schaffen. Dann hieß es, das Pentagon wolle die Arbeit an kleinen Atomwaffen fortsetzen, mit denen sich die nukleare Einsatzschwelle senken ließe. Schließlich kam die Meldung, die USA lagerten 480 Atomwaffen in Europa, 150 davon in Deutschland - dreimal soviel wie bisher angenommen. Im Rahmen des Nato-Systems der "nuklearen Teilhabe" wäre Deutschland im Ernstfall angehalten, Trägermittel für diese Waffen bereitzustellen. Die Mehrheit der Staaten sieht in diesem Konzept eine Verletzung des Sperrvertrages - auch durch Deutschland.

Aus: Berliner Zeitung, 11. Februar 2005

Die Übermütigen

Pjöngjang und die Atomwaffen

Werner Pirker


Die Koreanische Demokratische Volksrepublik ist ihrem Ruf, das Enfant terrible unter den Nationen zu sein, wieder einmal gerecht geworden. Freimütig hat Pjöngjang am Mittwoch zugegeben, im Besitz von Atomwaffen zu sein. Das hat es schon einmal getan und dann wieder dementiert. Und auch diesmal ist es keineswegs auszuschließen, daß es sich bei diesem »Eingeständnis« nicht um das typisch nordkoreanische Imponiergehabe handelt. Kim Jong Il und die Seinen sind vielleicht die einzigen, die es verstehen, die Bushmänner vorzuführen. Während überall die in Abhängigkeit gehaltenen Ländern vor dem Empire in die Knie gehen, lassen die Nordkoreaner ihre Muskeln spielen. Oder tun wenigstens so.

Das mag zwar in seiner Rhetorik etwas überdreht, wenn nicht wahnwitzig wirken, hat aber durchaus seinen rationalen Kern. Die KDVR begründet die Herstellung von Atomwaffen mit ihrem Recht auf Selbstverteidigung. Das entspricht einer durchaus realistischen Einschätzung der internationalen Situation. Der Irak wurde von den USA plattgemacht, nicht weil er Massenvernichtungswaffen besaß, sondern weil er keine besaß. Das einzige wirkliche Risiko, das die US-Militärmacht scheut, liegt darin, in einen ungewollten Atomkrieg verwickelt zu werden. Die USA, die bisher als einziges Land Atomwaffen eingesetzt haben und deren Vorherrschaft auch auf ihrer Fähigkeit zur atomaren Erpressung beruht, bekommen ihre eigene Melodie vorgespielt.

Das forsche Verhalten der Halbstarken von Pjöngjang bringt die USA in einen eigenartigen Legitimationskonflikt. Denn von ihrem Anspruch als Weltpolizei her müßten sie der atomaren Bedrohung aus dem Fernen Osten sofort Einhalt gebieten und den »Schurkenstaat« umgehend eliminieren. Doch statt dessen üben sie sich in Zurückhaltung. Das mag tatsächlich etwas mit der Bereitschaft Nordkoreas, seine Unabhängigkeit notfalls auch unter Einsatz seines Nuklearpotentials zu verteidigen, zu tun haben. Doch davon abgesehen herrscht in Washington gegenwärtig wenig Neigung, die Koreafrage ernsthaft zu thematisieren. Die Bush-Administration richtet all ihre außenpolitischen Energien auf die Beherrschung des Nahen Ostens. Auf der koreanischen Halbinsel gibt es keinen wirtschaftlichen und strategischen und deshalb auch keinen »demokratiepolitischen« Handlungsbedarf. Zumal das nordkoreanische Gesellschaftsmodell für die unterentwickelten Länder nicht von allzu großer Anziehungskraft sein dürfte.

Dennoch: Das amerikanische Imperium zeigt Schwächen, und das macht dem von den bizarren Dschudsche-Ideen geleiteten Land Mut. Würden andere Staatsführungen nur ein wenig von diesem Mut aufbringen, sähe die Welt anders aus.

Aus: junge Welt, 11. Februar 2005

Paukenschläge aus Pjöngjang

Von Kai Strittmatter (Auszüge)

Es ist schon merkwürdig. Da ist US-Präsident George W. Bush vor vier Jahren angetreten mit dem Anspruch, die Welt von Tyrannen zu befreien und vor allem sicherer zu machen.

Er wollte also jenen auf die Finger klopfen, die mit Massenvernichtungswaffen spielen. Drei Bösewichte suchte er sich aus und schnürte sie zusammen unter dem Schlagwort von der "Achse des Bösen".

Dann zog er in den Krieg mit Bösewicht Nummer eins, mit dem Irak also, wo keine solchen Waffen gefunden wurden. Hernach trat seine Regierung eine scharfe öffentliche Debatte los über die Nummer zwei, Iran, dem nachgesagt wird, an solchen Waffen zu arbeiten.

Bösewicht Nummer drei aber, Nordkorea, will Bush kaum über die Lippen kommen. Gerade mal einen Satz hatte der Präsident in seiner Regierungserklärung vergangene Woche übrig für Pjöngjang.
(...)
Für Bush kommen solche Paukenschläge ungelegen, weil seine Nordkorea Politik die letzten Jahre ohne Plan und ohne Ziel war. Vom "gefährlichsten Versäumnis" der US-Außenpolitik sprach die New York Times diese Woche; von "böswilliger Nachlässigkeit" Bradley Martin, der Autor einer eben erschienenen Biografie der nordkoreanischen Kim-Dynastie.

Bush hat Nordkorea schlicht ignoriert, weil sich ein Tyrannensturz dort nicht so leicht inszenieren lässt wie in Bagdad, weil er aber gleichzeitig von seiner Basis nicht dabei erwischt werden will, mit einem wie Kim Jong Jl in Verhandlungen zu treten. Es stimmt schon, einen übleren Diktatoren als Kim wird man kaum finden.

Unter Bill Clinton haben die USA dennoch mit ihm verhandelt - und als Clinton abtrat, hatte Nordkorea die Bombe wohl noch nicht. Alle Atomwaffen, die Kim nun in den Händen hält, hat er erworben, während die Regierung Bush sich Augen und Ohren zuhielt.
(...)

Aus: Süddeutsche Zeitung, 11. Februar 2005


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