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Fatale Fehleinschätzung

Hintergrund. 60 Jahre nach Kriegsende: US-Exbotschafter Donald P. Gregg bezeichnet die Nordkoreapolitik seines Landes als »am längsten währende Aufklärungspanne in der Geschichte der US-Spionage« – Pjöngjang fordert Gespräche auf Augenhöhe

Von Rainer Werning *

Mit Blick auf die jüngsten Geschehnisse auf der koreanischen Halbinsel stellen sich fünf zentrale Fragen. Erstens: Wer bedroht und erpreßt da eigentlich wen? Zweitens: Welcher der Antagonisten zeichnet sich durch (Un-)Berechenbarkeit aus? Drittens: Handelt es sich bei alledem um einen Krieg der Worte oder geht es vielmehr um knallharte imperiale Kalküle? Viertens: Warum eskaliert die Lage auf der Halbinsel gerade jetzt? Und schließlich: Was könnte getan werden, um den Konflikt zumindest zu entschärfen, möglicherweise endlich einer Friedensregelung näher zu kommen?

Doch statt solche Fragen im notwendigen historischen Kontext zu stellen, werden sie entweder verschwiegen oder falsche Informationen breitgetreten. Mit der Konsequenz, daß die von westlichen Politikern gerne beschworene internationale Staatengemeinschaft das Recht auf Berechenbarkeit und Normalität einzig für sich reklamiert. Aus dieser Perspektive läßt sich die Kontinuität der »orientalischen Despotie« Nordkoreas und seiner Markenzeichen (Menschenverachtung, atomare Erpressung und Kriegsdrohungen) stets auf neue begründen. Dies wiederum öffnet Tür und Tor für einen Wettstreit kumulativer Negativzuweisungen.

In dieser Wahrnehmung ist die Demokratische Volksrepublik Korea (Nordkorea) ein letzter stalinistischer Gulag-Staat, kommandiert von einem postpubertären, pausbäckigen Politlümmel (laut dem Kölner Express ein »Dick-tator«), der seine Allmachtsphantasien im Reigen einer postrevolutionären Gerontokratie ungestraft auslebt.

Ähnlichen Umgang »pflegte« man in US-amerikanischen Magazinen wie Time und Newsweek oder im britischen Economist – von Boulevardblättern ganz zu schweigen. Der frühere US-Präsident George Bush titulierte den am 17. Dezember 2011 verstorbenen Kim Jong-Il gar als »Pygmäen« und – neben dem Irak und Iran – als dritten Sachwalter der sogenannten Achse des Bösen. Pjöngjangs Propaganda hielt freilich stramm dagegen: Die USA seien »eine Nation von Kannibalen«, »von moralischer Lepra befallen« und man werde sie in »einem Flammenmeer ersticken«.

Drohen und bedroht werden

Apropos »Achse des Bösen«. Im März jährte sich zum zehnten Mal der Einmarsch von US-befehligten Truppen »der Willigen« in den Irak (siehe jW-Thema vom 20.3.2013). Der darauf folgende Krieg war von Beginn an auf dem Lügengerüst aufgebaut, der despotische Finsterling Saddam Hussein hüte heimlich zig Massenvernichtungswaffen. Die desaströsen Folgen des Irak-Krieges sind heute hinlänglich bekannt. Für die unmittelbar Betroffenen eine nicht enden wollende Katastrophe und für die Verantwortlichen eine späte Genugtuung, sich nicht vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten zu müssen. Die politische Führung in Pjöngjang zog damals aus dem im Irak vollzogenen aggressiven »Regimewechsel« ihre eigenen Schlüsse: »Der trotz des Widerstandes der internationalen Gemeinschaft geführte Krieg in Irak hat gelehrt, daß eine Nation über eine angemessene militärische Stärke verfügen sollte, um ihre Souveränität zu verteidigen.« Pjöngjang beharrt deshalb »auf dem Recht, ein größtmögliches Abschreckungspotential zum Selbstschutz zu unterhalten« (siehe jW-Schwerpunkt vom 11.4.2013).

Ebenfalls 2003 entstand auf Anregung des damaligen US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld der »Operationsplan 5030«, der in bezug auf Nordkorea die Grenzen zwischen Krieg und Frieden möglichst verwischen sollte: Durch militärische Dauermanöver sollte das Land in einen permanenten Alarmzustand versetzt und so weit provoziert werden, daß es als Reaktion darauf seine knappen Ressourcen aufzehrt und schlußendlich kollabiert. Da Washington Pjöngjang überdies verdächtigte, bereits über ein Atomwaffenarsenal zu verfügen, erwog der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber Wesley Clark Ende Mai 2005 gegenüber dem Fernsehsender CNN die Realisierung des »Operationsplans 8022« – im Klartext: dieses vermeintliche Arsenal durch »zielgenaue Nuklearschläge auszuschalten«.

Nach dem Tod Kim Jong-Ils im Dezember 2011 sahen die Regierungen in Seoul und Washington gleichermaßen die Gunst der Stunde gekommen, ihr seit langem bestehendes Drohpotential weiter zu erhöhen. Seitdem wurde die militärische Zusammenarbeit mit Japan noch enger; Südkorea gelangte in den Besitz modernster Marschflugkörper; und die alljährlich stattfindenden gemeinsamen südkoreanisch-US-amerikanischen Militärmanöver »Foal Eagle« und »Key Resolve« erhielten eine aggressivere Stoßrichtung. So erproben die 200000 südkoreanischen und die über 10000 US-amerikanischen Soldaten, die daran jeweils zwei Monate lang beteiligt sind, jetzt vorbeugende Artillerieangriffe gegen den Norden und simulieren großflächige amphibische Landungsmanöver für den Fall eines plötzlichen Regimewechsels in der Volksrepublik. Gleichzeitig wird der Aufbau einer neuen Marinebasis auf der südkoreanischen Insel Jeju gegen den massiven Widerstand der dortigen Bevölkerung forciert. Im Sommer vergangenen Jahres mußte der Kommandeur für US-Sonderoperationen in Südkorea, Brigadegeneral Neil H. Tolley, seinen Dienst quittieren, nachdem er erklärt hatte, Spezialeinheiten beider Länder seien in Nordkorea eingesetzt worden, um dortige Tunnelsysteme mit möglichen Waffenfertigungsstätten auszuspionieren. Während der diesjährigen Großmanöver wurden außerdem die beiden Zerstörer USS »John S. McCain« und USS »Decatur« der US-Marine in den Westpazifik entsandt.

Damit nicht genug: Mit Einsätzen von F-22-Jagdflugzeugen, B-52-Bombern und B-2-Tarnkappenbombern wurde eine Machtparade modernster Militärtechnologie inszeniert. Zudem bleibt der Fakt, daß die USA seit Jahrzehnten in Südkorea ein Truppenkontingent von etwa 30000 GIs unterhalten. Das ist für Nordkorea schmerzhaft – auch weil seit Ende der 1970er Jahre der Kommandeur dieser Truppen in Personalunion zugleich als Chef des Combined Forces Command (CFC) die südkoreanischen Streitkräfte befehligt. Seit dem Ende des Koreakrieges im Jahre 1953 sind hingegen im Norden keine ausländischen Soldaten stationiert. CFC-Befehlshaber, allesamt Vier-Sterne-Generäle, residieren – weltweit einmalig – quasi als Prokonsuln in einem fremden Land. Sämtliche anderen hohen US-Generäle, die ein regionales Oberkommando führen, haben ihr Hauptquartier auf US-Territorium.

Wie brenzlig die Lage tatsächlich ist, in die sich Washington durch gezielte Provokationen [1] selbst manövrierte, zeigte die Verschiebung des Washington-Trips von CFC-Kommandeur James D. Thurman vergangenes Wochenende. Er hätte eigentlich zu Anhörungen und Konsultationen im US-Kongreß erscheinen sollen. Nach den jüngsten Drohungen Nordkoreas wurde es jedoch als opportun betrachtet, daß Thurman vor Ort bleibt. Man wolle vermeiden, zitieren die Wall Street Journal-Autoren einen hochrangigen US-Regierungsbeamten, daß sich bei der Umsetzung eines vom Weißen Haus abgesegneten »Drehbuchs« zur militärischen Abschreckung Nordkorea »nicht stärker provoziert« fühle, als »Washington beabsichtigt habe«. Bereits einen Monat früher hätte man in Washington die Ausführungen zur »weltweiten Bedrohung« von James Clapper nachlesen können. Darin notierte der Direktor des US-Geheimdienstes mit Blick auf Pjöngjangs (und Teherans) Nuklearprogramm, daß diese jeweils unzureichend entwickelt seien und in erster Linie das Ziel verfolgten, das Ansehen dieser Länder zu erhöhen und ihren Einfluß in Region zu stärken.[2]

Sonnenscheinpolitik bis 2008

Nordkorea bekennt sich offiziell zum »Sozialismus eigener Prägung«, zum »starken und gedeihenden Staat« mit einer Politik des »Das Militär zuerst« und »Dschutsche«, dem »Schaffen aus eigener Kraft«. Seine Führung praktiziert einen eigentümlichen Mix aus neokonfuzianischem Verhaltenskodex, rigidem Etatismus und Personenkult, der jedoch eingebettet ist in eine seit Jahren ebenso beständige wie systemimmanente Logik. Gemäß dem Prinzip: Wenn wir schon nicht international als Freund geachtet sind, wollen wir wenigstens als ebenbürtiger Feind geächtet werden, um auf Augenhöhe Direktverhandlungen mit den USA zu führen.

So wie es nach 1994 der Fall und für Nordkorea die Welt für einige Zeit in Ordnung war. Mit einem damals in Genf geschlossenen Rahmenabkommen (Agreed Framework) hatten die USA und Nordkorea ihren ersten Atomstreit beigelegt. Pjöngjang verpflichtete sich zum Stopp seines Nuklearprogramms und erhielt im Gegenzug eine Sicherheitsgarantie, die Zusage zur Installierung zweier Leichtwasserreaktoren und umfangreiche Öl- und andere Hilfslieferungen. In Seoul verfolgte man von 1998 bis 2008 die sogenannte Sonnenscheinpolitik gegenüber Pjöngjang, wofür Südkoreas Präsident Kim Dae-Jung im Jahr 2000 den Friedensnobelpreis erhielt. Und zwei Monate vor dessen Preisverleihung war gar das Ungeheuerlichste wahr geworden: Nicht nur hatte mit US-Außenministerin Madeleine Albright erstmals eine ranghohe Politikerin aus Washington der Volksrepublik einen Besuch abgestattet. Die Protokollchefs beider Länder trafen bereits Vorkehrungen für den letzten Auslandsbesuch von Präsident William Clinton in Pjöngjang zur Jahreswende 2000/2001.

Nachdem Anfang 2001 noch vieles auf eine Entspannung in Korea hinwies, änderte sich der Ton nach dem Amtsantritt von George W. Bush jedoch grundlegend: Bush stempelte die Sonnenscheinpolitik als »naiv« ab und nannte Nordkorea plötzlich einen »Bedrohungsfaktor in Ostasien«, mit dem bis zur kompletten Neubestimmung der US-Asienpolitik keine Gespräche aufgenommen würden. Die Folgen dieses Wechsels sind bekannt: Nordkorea übernahm die Sprache, die auch Bush verstand, und pochte fortan auf seinem »Recht, ein größtmögliches Abschreckungspotential zum Selbstschutz zu unterhalten«.

Pikant in diesem Zusammenhang: UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon hatte als damaliger südkoreanischer Außen- und Handelsminister Washington wiederholt davor gewarnt, »Nordkorea stets mit negativen, respektlosen Etiketten zu belegen.« Das, so Ban, sei »kontraproduktiv«. Er bezog sich auf Bemerkungen aus dem State Department, wonach Nordkorea als einer von vier »Außenposten der Tyrannei« galt – zusammen mit Myanmar, Simbabwe und Kuba. Heute rät Ban mit der Bemerkung »Atomwaffen sind kein Spielzeug« zur Mäßigung. Das wiederum ist eine Reminiszenz an Kim Dae-Jung, der öffentlich erklärt hatte, daß, sollte Nordkorea tatsächlich Nuklearwaffen besitzen, diese sich im Vergleich zum US-Arsenal nachgerade »wie Spielzeug« ausnähmen.

Obamas »Pazifisches Jahrhundert«

Daran hat sich bisher wenig geändert. Im Gegenteil. Seit Präsident Barack Obama im November 2011 in Australien seine selbst in den USA höchst umstrittene »Asia Pivot«-Doktrin vorstellte,[3] gemäß der die asiatisch-pazifische Region künftig zum Dreh- und Angelpunkt US-Engagements wird und ein »Pazifisches Jahrhundert« einläuten soll, hat sich eine Massierung von Truppen und militärischer Aufrüstung vollzogen: Bald werden im asiatisch-pazifischen Raum 60 Prozent der US-Flotte Flagge zeigen. Dabei geht es um die Erschließung gewaltiger Öl- und Gasreserven, die Kontrolle wichtiger Seerouten und nicht zuletzt um die Oberhoheit in der Region in Rivalität mit der Volksrepublik China (siehe jW-Thema vom 23.3.2013). In diesem Sinne ist stets der chinesische Esel gemeint, wenn auf den nordkoreanischen Sack eingedroschen wird.

Donald P. Gregg, ein Ex-CIA-Mann und von 1989 bis 1993 US-Botschafter in Seoul, bezeichnete schon vor Jahren die Nordkoreapolitik seines Landes als »die am längsten währende Aufklärungspanne in der Geschichte der US-Spionage«. Noch 2009, so Gregg, hätten gute Chancen zum Nord-Süd-Ausgleich auf der Koreanischen Halbinsel bestanden, zumal Pjöngjang damals ein (nach 2000 und 2007) drittes Gipfeltreffen vorschlug. »Doch was immer auch militärische Manöver, wirtschaftliche Sanktionen und verbale Attacken bewirken sollten«, merkte der Exbotschafter an, »so werden die verantwortlichen Stellen in Washington und Seoul letztlich mit der Enttäuschung konfrontiert sein, daß dadurch kein Zusammenbruch des Kim-Regimes herbeigeführt wird. China wird das nicht zulassen. Zwar mag China über ein nuklear gerüstetes Nordkorea nicht glücklich sein, doch mehr noch wäre es über eine instabile Lage auf der Koreanischen Halbinsel besorgt. Pjöngjang weiterhin unter Druck zu setzen, erhöht nur dessen Abhängigkeit von China.«[4]

Wenngleich Chinas neuer Präsident Xi Jinping am 7. April öffentlich Pjöngjangs Verhalten rügte und vor »selbstsüchtigem Handeln« warnte, ist und bleibt Beijing Nordkoreas engster Verbündeter. Eine Grundlage dafür ist die Waffenbrüderschaft, die es während des Koreakrieges von 1950 bis 1953 gab, in dem auch ein Sohn Mao Zedongs sein Leben verlor. Ein anderer Grund ist der Freundschafts- und Beistandspakt zwischen den Staaten vom 11. Juli 1961. Außerdem erhält Nordkorea vom großen Nachbar Erdöl, Lebensmittel und andere Güter des täglichen Bedarfs, auf die es bei Strafe seines Untergangs nicht verzichten kann.

Ein Friedensvertrag

Zum Vermächtnis des Koreakrieges mit über 4,6 Millionen Toten – davon rund drei Millionen Zivilisten im Norden und 500000 im Süden – gehört nicht nur eine Generation schwer traumatisierter Menschen in beiden Landesteilen, sondern eben auch ein brüchiges, am 27. Juli 1953 im Grenzort Panmunjom ausgehandeltes Waffenstillstandsabkommen. Unterzeichnet wurde es aber lediglich von der Volksrepublik China, Nordkorea und einem US-General im Auftrag der Vereinten Nationen. Südkoreas Präsident Rhee Syngman verweigerte damals die Unterschrift und wollte den Krieg fortsetzen.

60 Jahre später besteht ein Kalkül Pjöngjangs darin, mit allen Mitteln darauf hinzuwirken, das Waffenstillstandsabkommen in einen längst überfälligen Friedensvertrag mit eigenen Sicherheitsgarantien zu überführen. Die Zahl 60 ist in der Region symbolträchtig und von größter Bedeutung – die fünf Elemente der daoistischen Philosophie multipliziert mit den zwölf Tierkreiszeichen stehen für einen Lebenszyklus, weshalb der 60. Geburtstag auch als wichtigster gilt.

Anmerkungen
  1. Adam Entous und Julian E. Barnes in The Wall Street Journal vom 3.4.2013
  2. James R. Clapper: Statement for the Record. Worldwide Threat Assessment of the US Intelligence Community. Senate Select Committee on Intelligence. Washington, D.C., 12.3.2013, S. 7 f. – Der Autor ist Director of National Intelligence
  3. Robert S. Ross: The Problem with the Pivot, in Foreign ­Affairs, New York, November/December 2012
  4. Donald P. Gregg in The New York Times vom 31.8.2010 und im Gespräch mit Frontline (Boston) am 20.2.2003 (www.pbs.org/wgbh/pages/frontline/shows/kim/interviews/gregg.html)
* Rainer Werning ist Koautor des 2012 im Wiener Promedia Verlag erschienenen Buches Korea: Von der Kolonie zum geteilten Land.

Aus: junge Welt, Freitag, 12. April 2013



Nicht verwundene Schmach

Vor 45 Jahren wurde die Besatzung der USS »Pueblo« in Nordkorea aufgegriffen und blieb dort in mehrmonatiger Haft

Von Rainer Werning **


Seit Ende des Koreakrieges ist Nordkorea für die USA geblieben, was es für sie war – »das Böse« schlechthin. Washington sieht in der Volksrepublik nicht nur einen »Schurkenstaat«. Anfang 2002 erklärte Präsident George W. Bush das Land auch als Teil einer »Achse des Bösen« – neben Irak und Iran.

Pjöngjang und Washington waren nie zimperlich im Umgang miteinander. Das resultiert aus den Erfahrungen des Koreakrieges und erst recht aus der bis heute in Washington nicht verwundenen Schmach über den »USS Pueblo«-Vorfall, der sich Ende der 1960er Jahre, auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges, in nordkoreanischen Gewässern ereignete. Am 23. Januar 1968 hatten nordkoreanische Patrouillenboote das US-amerikanische Aufklärungsschiff USS »Pueblo« vor der Küste Nordkoreas aufgegriffen, die gesamte 83köpfige Besatzung unter dem Befehl von Kapitän Lloyd Mark »Skip« Bucher gefangen genommen und sie der Spionage bezichtigt. Die »Pueblo«, erklärte die Regierung in Pjöngjang, sei innerhalb der Zwölf-Seemeilen-Zone aufgegriffen worden und somit unrechtmäßig in nordkoreanisches Terrain eingedrungen. Demgegenüber sprach die US-amerikanische Regierung vom Kapern des Schiffes.

Zwölf Tage zuvor, am 11. Januar 1968, hatte die »Pueblo«, ein von der U.S. Navy für ihre Zwecke umgebautes Frachtschiff, den Hafen im japanischen Sasebo verlassen. Im Ostmeer, das die Japaner das Japanische Meer nennen, sollte es routinemäßige Erkundungstrips durchführen und in gemeinsamem Auftrag von US-Marine und Nationaler Sicherheitsbehörde (NSA) ozeanographische Daten sammeln. So jedenfalls stellte es der damalige Marineminister John Chafee dar. US-amerikanischen Berichten zufolge sei die »Pueblo« nicht mit der neuesten Naviga­tionstechnik ausgestattet und die junge Besatzung unerfahren gewesen, so daß das Schiff möglicherweise irrtümlich die international anerkannte Zwölf-Seemeilen-Zone überschritten habe.

Für die US-Marine jedenfalls bedeutete die »Affäre« eine herbe Schlappe. Mit der »Pueblo« nämlich fielen den Nordkoreanern strategisch sensible Daten in die Hände, die es unter anderem der mit ihnen befreundeten Sowjetunion ermöglichte, nachrichtendienstlich relevante Kodes zu knacken. Nachdem die Pueblo lange Zeit in Wonsan (an Nordkoreas Ostküste) ankerte, wurde sie später in die im Westen gelegene Hauptstadt Pjöngjang gebracht und dort auf dem Taedong-Fluß als Touristenattraktion und wie eine Trophäe ausgestellt.

Während in den USA die Stimmen lauter wurden, die auf Rache sannen und einen Militärschlag gegen Nordkorea befürworteten, setzte die damalige US-Administration unter Präsident Lyndon B. Johnson auf eine politisch-diplomatische Lösung des Konflikts. Gegenüber Pjöngjang räumte die US-Regierung ein, die »Pueblo« habe die Hoheitsrechte der Volksrepublik verletzt und entschuldigte sich dafür. Wenngleich der US-Vertreter in der Militärischen Waffenstillstandskommission, Generalmajor Gilbert Woodward, dies mit der Erklärung herunterspielte, es sei einzig um die Befreiung der »Pueblo«-Crew gegangen, wollte Johnson ein weiteres Fiasko in Asien vermeiden. Denn schon im Frühjahr 1968 verdichteten sich die Anzeichen, daß die USA in Südvietnam militärisch scheitern und eine Niederlage erleiden.

Jedenfalls landeten Heiligabend 1968 – nach elfmonatiger Gefangenschaft – 82 Mann Besatzung unversehrt auf der Miramar Naval Air Station im kalifornischen San Diego. Ein US-amerikanischer Soldat war seinen Verletzungen erlegen, die er sich während des Schußwechsels vor dem Aufgreifen der »Pueblo« zugezogen hatte. Nach ihrer Freilassung wurde die Besatzung in ein langwieriges Verfahren verwickelt, in dem vor allem Kapitän Bucher ins Visier des US-Marinekommandos geriet. Er sollte als Hauptschuldiger für das Desaster hingestellt werden. Schließlich war dies in Friedenszeiten das erste Mal in der Geschichte der USA, daß das Land eines seiner Schiffe einer fremden Macht ausliefern mußte. Eine Verurteilung Buchers und eines Teils seiner Crew durch ein Militärgericht wurde letztlich vom Marineministerium und im Kongreß mit dem Argument abgewiesen und verhindert, die Besatzung hätte bereits so sehr gelitten, daß eine zusätzliche Bestrafung der Soldaten unangemessen sei.

** Aus: junge Welt, Freitag, 12. April 2013


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