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CIA-Projekt "Hexenmeister"

Befehl von USA-Präsident Dwight D. Eisenhower: Lumumba beseitigen

Von Horst Schäfer *

Lawrence Devlin, der Chef der CIA-Station in Brüssel, wurde im Juli 1960 dringend in Leopoldville gebraucht. Zehn Tage, nachdem Kongo am 30. Juni seine Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Belgien erkämpft hatte, packte der CIA-Mann in aller Eile seine Koffer und übernahm – getarnt als Konsul der US-Botschaft – das CIA-Büro in Leopoldville, heute Kinshasa. Er sollte im Auftrag seiner Regierung das »Project Wizard« (Hexenmeister) umsetzen, einen Plan, den auch die belgische Regierung verfolgte: die Beseitigung Patrice Lumumbas.

Am 27. Juli 1960 führte die erste Auslandsreise des 35 Jahre alten Kämpfers gegen den Kolonialismus und bisher einzigen demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Kongos nach Washington. Kurz zuvor hatte der Interessenvertreter Belgiens und der USA in der Provinz Katanga (heute Shaba), Moise Tshombé, die an Bodenschätzen reiche Region abgespalten. Die UNO stationierte 20 000 Soldaten in Kongo – was allerdings nicht Lumumba und den Kongolesen half, sondern die Interessen der USA flankierte. Schon wenige Tage nach dem Besuch in Washington wurde auf einer Beratung von Außenministerium, Pentagon und CIA erstmals »die Frage der Ermordung Lumumbas aufgeworfen«. Das bezeugte der stellvertretende US-Außenminister Douglas Dillon vor einem Sonderausschuss des Senats, der 1975 einige Verbrechen der CIA untersuchte.

Im Bericht des Ausschusses, auf den sich dieser Artikel stützt, wird der Mordplan auf 67 eng bedruckten Seiten in allen Details dokumentiert. Dazu gehörten der Mordbefehl von Präsident Eisenhower, CIA-Mordwerkzeuge wie tödliches Gift und Spezialgewehre, das Entsenden von Killerkommandos sowie Hunderttausende Dollar zum Kauf kongolesischer Politiker und des Parlaments.

Dulles: »Ein Castro oder noch schlimmer«

CIA-Chefagent Devlin alias Victor Hedgman alarmierte seine Regierung am 18. August 1960 in einem Telegramm an CIA-Direktor Allen Dulles: »Möglicherweise nur noch wenig Zeit für Aktionen, um neues Kuba zu verhindern.« Dulles hatte aber bereits auf den zwei vorhergehenden Beratungen des Nationalen Sicherheitsrats (NSC) gewarnt: »In Gestalt Lumumbas sind wir mit einer Person konfrontiert, die ein Castro ist oder noch schlimmer.« Zu der Zeit – Mitte 1960 – hatte die CIA im Auftrag der Regierung schon begonnen, die Mordanschläge auf Fidel Castro und die Invasion in der Schweinebucht vorzubereiten.

Präsident Dwight Eisenhower äußerte – ebenfalls am 18. August – vor dem NSC den dringlichen Wunsch, Lumumba zu beseitigen. Nach einer Sitzung der CIA mit Eisenhowers Sicherheitschef Gordon Gray erhielt Devlin in Leopoldville am 26. August 1960 ein Telegramm von Alan Dulles, der die »Machtergreifung der Kommunisten« beschwor und erklärte: »Folgerichtig entscheiden wir, dass seine (Lumumbas) Beseitigung dringendes und erstrangiges Anliegen ist und unter den gegenwärtigen Bedingungen hohe Priorität unter unseren geheimen Operationen haben muss.«

Die CIA reagierte prompt. Am 5. September veranlasste sie Kongos Präsidenten Joseph Kasavubu, Lumumba trotz seines großen Rückhalts im kongolesischen Parlament zu entlassen. Doch das reichte Washington noch nicht. Nach einem Staatsstreich am 14. September durch Devlins Vertrauten Oberst Joseph-Desire Mobutu war Lumumba gezwungen, sich unter den Schutz der UN-Truppen zu stellen.

Fortan liefen die verdeckten Operationen gegen »Big Brother« – das CIA-Codewort für Lumumba – auf vollen Touren. Richard Bissell, Direktor für verdeckte Operationen, beauftragte seinen »Spezialisten für wissenschaftliche Fragen«, Sidney Gottlieb, mit den Vorbereitungen für die Bluttat. Mordspezialist Gottlieb, Doktor der Biochemie, machte seinen Chef darauf aufmerksam, dass die CIA Zugang zu tödlichen biologischen Giften hat, die für solche Zwecke hervorragend geeignet seien. Der Wissenschaftler bezeugte 1975 vor dem Senatsausschuss, sein Vorgesetzter habe ihm mitgeteilt, es bestehe »Anweisung von höchster Autorität, diese Art Operation durchzuführen«.

Der Senatsausschuss stellte fest, Gottlieb habe eine Liste von biologischen Giften durchgesehen, »die in den Einrichtungen der chemischen Abteilung der US-Armee in Fort Detrick/Maryland vorhanden und die geeignet waren, Krankheiten hervorzurufen, die die Person entweder töten oder so schwerwiegend beeinträchtigen, dass sie unfähig zu jeder Aktion ist«. Er wählte ein Gift aus, »das eine Seuche hervorrufen sollte, die in jener Gegend Afrikas zu Hause war und die tödlich sein konnte«. Auf der Liste hätten noch »sieben oder acht Materialien« gestanden, so Gottlieb, darunter die Auslöser von Hasenpest, Brucellose, Tuberkulose, Antrax, Pocken und der Schlafkrankheit.

»... um USA-Rolle völlig zu verbergen«

Der CIA-Giftmischer packte außerdem ein Päckchen mit Zusatzgeräten wie Nadeln für Injektionsspritzen, Gummihandschuhe und Gesichtsmasken, »die nötig waren für den Umgang mit diesem ziemlich gefährlichen Stoff«. Gift und Geräte schickte er mit dem diplomatischem Kurier an die Botschaft der USA in Leopoldville und machte sich ebenfalls auf die Reise.

In Leopoldville unterwies Gottlieb den CIA-Stationschef im Gebrauch des Giftes, das nur in irgendeine Substanz injiziert werden müsse, »die mit seinem (Lumumbas) Mund in Berührung kommt, ob Lebensmittel oder Zahnbürste«. Als die Durchführung der Operation Mord fehlschlug, weil der V-Mann keinen Zugang zu Lumumba fand, die CIA-Führung aber auf Beseitigung Lumumbas drängte, forderte Devlin Verstärkung an. Außerdem verlangte er, »eine hochwirksame Waffe ausländischen Fabrikats mit Teleskop und Schalldämpfer« im diplomatischen Gepäck mitzugeben und schrieb: »Jagd hier gut, wenn Lichtverhältnisse stimmen. Werde... Waffe im Büro behalten, bis Jagdsaison eröffnet.«

Am 22. September weist ein neues Telegramm aus Washington an: »Falls Unterstützung nötig, Agent aus drittem Land für Operation benutzen, um USA-Rolle völlig zu verbergen.« Dieser Hinweis, die Spuren der USA beim geplanten Mord unkenntlich zu machen, ist in mehreren Telegrammen und Aussagen von CIA-Offiziellen zu finden. Am besten wäre es, so erklärten Zeugen vor dem Senatsausschuss die US-Strategie, wenn man Lumumba durch seine eigenen Landsleute ermorden lassen könnte.

Im Oktober 1960 wurde schließlich Michael Mulroney, stellvertretender Chef der CIA-Abteilung für verdeckte Operationen, beauftragt, dem CIA-Stationschef behilflich zu sein. Seine Mission, Lumumba aus dem Gewahrsam der UN zu locken und seinen Todfeinden zuzuspielen, war – stellte der Senatsausschuss fest – von der US-amerikanischen Politik gedeckt.

Lapidar, aber deutlich: »Danke für Patrice«

Um seinen Entführungsplan verwirklichen zu können, forderte Mulroney die sofortige Entsendung von Sonderagent QJ/WIN an, ein – so der Senatsausschuss – »Ausländer mit kriminellem Hintergrund, der in Europa für die CIA-Tätigkeit rekrutiert worden war«. Zu den Aufgaben von QJ/WIN gehörte es, geeignete Personen unter den kongolesischen und UN-Wachen zu infiltrieren und »umzudrehen«. Auf diese Weise wollte die CIA endlich Zugang zum Haus Lumumbas gewinnen und entweder seine Entführung und die Übergabe an seine Feinde oder aber die ursprünglich geplante Beseitigung erreichen.

Ein weiterer CIA-Helfer bei diesem Komplott war der Agent WI/ROGUE. Der »Glücksritter und ehemalige Bankräuber« wurde von der CIA vor dem Einsatz mit Gesichtsplastik und Toupet versehen, »damit Reisende aus Europa ihn nicht erkennen«. Zwischen diesen beiden CIA-Killern, die sich nicht kannten, jedoch im selben Hotel wohnten, kam es zu einem bemerkenswerten Vorfall: Agent WI/ROGUE versuchte, wie der CIA-Stationschef aufgebracht an Washington kabelte, den Agenten QJ/WIN für sein »Hinrichtungskommando« anzuheuern. Aus CIA-Berichten geht hervor, dass beide später oft gemeinsam Aufträge übernommen haben.

Am 27. November 1960 verließ Lumumba unter bisher nicht ganz geklärten Umständen die Schutzhaft der UN-Truppen. Mehrere Indizien deuten darauf hin, dass die CIA ihre Hände im Spiel gehabt haben könnte und Mulroney seinen Auftrag, Lumumba aus dem Gewahrsam der UN zu locken, erfüllen konnte. Am 17. Januar 1961, vor 50 Jahren, wurde Patrice Lumumba angeblich von Kongolesen und im Beisein von Belgiern ermordet. Kurz darauf übermittelte der CIA-Chef in Elisabethville (heute Lubumbashi), dem Sitz der Separatistenregierung Tshombés, ein Telegramm nach Washington, das der US-Senatsausschuss als »ungewöhnlich« bezeichnete. Darin hieß es lapidar, aber eindeutig: »Danke für Patrice.«

»Konsul« Devlin wurde ab 1963 erneut gebraucht. Als Chef der CIA-Station in Laos leitete er den »geheimen Krieg« gegen die kommunistische Befreiungsbewegung Pathet Lao. 1974 wirkte er wieder in Kongo – als Vertreter des weltgrößten Diamantenkonzerns De Beers Diamond.

* Horst Schäfer war elf Jahre lang DDR-Korrespondent in den USA und ist u.a. Verfasser des Buches »Im Fadenkreuz: Kuba – 50 Jahre US-Staatsterrorismus«.

Aus: Neues Deutschland, 15. Januar 2011



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