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Bundesregierung beschließt Bundeswehr-Beteiligung an der EU-Friedensmission im Kongo

Kritik aus der Friedensbewegung: "Probelauf der europäischen Eingreiftruppe"

Im Folgenden dokumentieren wir:
  1. eine Erklärung von Verteidigungsminister Peter Struck zum vorgesehenen Einsatz der Bundeswehr im Kongo vom 10. Juni 2003,
  2. die Erklärung der Bundesregierung nach dem Kabinettsbeschluss zur Beteiligung an der Kongo-Mission durch die EU,
  3. eine Presseerklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag vom 15. Juni 2003, worin die Entscheidung der Bundesregierung kritisiert wird.


Struck stellt deutsche Kongo-Hilfe in Aussicht
Di, 10.06.2003

Innerhalb einer europäischen Mission im Kongo kommen laut Bundesverteidigungsminister Struck medizinische Hilfen sowie Transportunterstützung in die Region in Betracht. Ein Einsatz deutscher Soldaten auf kongolesischem Boden steht nicht zur Debatte. Das Bundeskabinett werde voraussichtlich am Freitag darüber entscheiden, teilte der Minister am 10. Juni mit.

Deutschland will sich im Rahmen seiner Möglichkeiten an einer Mission der Europäischen Union unter französischer Führung im Kongo beteiligen. Innerhalb einer solchen Mission kommen laut Bundesverteidigungsminister Peter Struck medizinische Hilfen sowie Transportunterstützung in die Region in Betracht. Ein Einsatz deutscher Soldaten auf kongolesischem Boden steht nicht zur Debatte. Das Bundeskabinett werde voraussichtlich am Freitag darüber entscheiden, teilte der Minister am 10. Juni mit.

Eine Beteiligung der Bundeswehr wird naturgemäß begrenzt durch die bereits international im Einsatz befindlichen Kapazitäten. Bundesverteidigungsminister Peter Struck wies in einem Interview mit der ARD am 3. Juni darauf hin, dass die EU natürlich eine Verantwortung habe, im Kongo aktiv zu werden. Die EU hat sich am 4. Juni im Grundsatz auf die Entsendung einer Truppe unter französischem Kommando verständigt. Die Soldaten sollen die Bevölkerung vor Übergriffen verfeindeter Milizen schützen.

Abstimmung bei informellem deutsch-französischen Treffen

Bundeskanzler Gerhard Schröder äußerte sich am 10. Juni auf einer Pressekonferenz im Anschluss an die informellen deutsch-französischen Gespräche auch zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan und zur Hilfe für den Kongo. Er stellte zum Anschlag auf die Bundeswehr in Kabul vom 7. Juni fest, dass, so belastend ein solches Ereignis auch sei, sich an der grundsätzlichen Linie im Kampf gegen den internationalen Terrorismus nichts ändern könne und auch nicht dürfe. "Das betrifft Afghanistan, wie die uns mögliche Unterstützung im Kongo", so der Kanzler.

Schröder unterstrich nochmals die Notwendigkeit des Zusammenhaltens Europas auch insbesondere Frankreichs und Deutschlands im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. An der von Deutschland angebotenen Unterstützung für den Kongo werde sich aufgrund der beschränkten Möglichkeiten der Bundeswehr nichts ändern. Chirac äußerte dafür Verständnis. Während Frankreich die Funktion der Lead Nation im Kongo übernehmen werde, leiste Deutschland dies mit großem Engagement und hoher Professionalität in Afghanistan. Wichtig sei, dass Deutschland bei dieser UN-Mission präsent sei. Er dankte dem Bundeskanzler sehr für die getroffene Entscheidung.

Möglichkeiten eines Einsatzes der Bundeswehr

Nach einer ersten Prüfung der Möglichkeiten, die es für einen Einsatz der Bundeswehr im Rahmen einer ESVP-Mission (Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik) geben könnte, ist Bundesverteidigungsminister Struck zu dem Ergebnis gekommen, dass Deutschland bei entsprechender Nachfrage Unterstützung in drei Punkten anbieten könnte: medizinische Hilfe, Unterstützung des Kommandostabes, der in Frankreich installiert werden soll und Transportunterstützung in die Region.

Weitergehende Ressourcen unterliegen im Moment nicht der Prüfung. "Ich glaube nicht, dass deutsche Soldaten als Kampftruppe ins Gebiet gehen werden", verdeutlichte Struck am 4. Juni nach einer Ausschusssitzung in Berlin. Der Minister stellte in einem Interview klar, dass Frankreich Deutschland nicht um die Entsendung von Truppen in das Krisengebiet gebeten hat, "sondern vielmehr um logistische Hilfe, die wir leisten."

Struck warnte insbesondere auch vor den Gefahren eines solchen Einsatzes. Bei der geplanten Friedensmission gebe es für die Soldaten der Bundeswehr und anderer Armeen eine völlig neue Situation. Es handele sich hier um ein "sehr gefährliches Gebiet", in dem "Soldaten im Kindesalter mit Kalaschnikows ohne Rücksicht auf Menschenleben agieren." Einen Einsatz der NATO hält der Minister nicht für notwendig. Der europäische Pfeiler der Sicherheitspolitik soll gestärkt werden, und das beinhält auch die Teilnahme an derartigen EU-Missionen. Sollten nach dem Ablauf der bisher bis zum 1. September vorgesehenen Mission noch weitere Fähigkeiten gebraucht werden, "wird man sicherlich auch die Möglichkeiten der Nato prüfen und vielleicht in Anspruch nehmen," so Struck.

Humanitäres Engagement unabdingbar

Nach Einschätzung von Bundesaußenminister Fischer ist damit zu rechnen, dass im Kongo weitere Massaker drohen. Die Lage in dem Land sei instabil. Ein humanitäres Engagement in der Region bezeichnete der Minister als unabdingbar. Deutschland hat in den letzten drei Wochen bereits allein aus den Mitteln des Auswärtigen Amtes 500.000 Euro für die Region um Bunia zur Verfügung gestellt.

Beschluss des UN-Sicherheitsrates vom 30. Mai

Der UN-Sicherheitsrat hatte am 30. Mai 2003 den Einsatz einer multinationalen Einsatztruppe in Bunia, Kongo, beschlossen. Das Mandat gilt bis zum 1. September. Bis dahin soll die in Kongo stationierte UN-Truppe MONUC (United Nations Organization Mission in the Democratic Republic of Congo) verstärkt werden.

Die entsprechende UN-Resolution 1484 wurde einstimmig angenommen. Die Eingreiftruppe soll zur Stabilisierung der Sicherheit und der humanitären Lage in Bunia beitragen. Sie soll den Schutz des Flughafens und der Flüchtlinge in Bunia sicherstellen. Falls erforderlich soll sie auch zum Schutz der Zivilbevölkerung, des UN-Personals und der humanitären Hilfskräfte vor Ort beitragen.

Bundestag für begrenzten Kongo-Einsatz

Der Deutsche Bundestag hat sich in einer Debatte am 6. Juni mit dem Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN "Für einen stärkeren UN-Einsatz im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo" befasst. Der Antrag wurde gegen die Stimmen von CDU und FDP angenommen.

Zuvor berichtete die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, über ihren Besuch im Kongo und stellte dar, wie dramatisch die Lage dort sei. "Menschenrechte werden systematisch verachtet und grausam verletzt", sagte die Staatsministerin. Sie forderte die internationale Gemeinschaft auf, dem nicht länger zuzusehen. Dazu sei der Einsatz einer internationalen Truppe mit robustem Mandat unabdingbar. Deutschland sollte medizinische und logistische Hilfe leisten.

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Bundesregierung beschließt Bundeswehr-Beteiligung an der EU-Friedensmission im Kongo
Fr, 13.06.2003

Deutschland wird sich an der europäischen Friedenstruppe im Kongo beteiligen. Dies beschloss das Bundeskabinett am 13. Juni in Berlin vorbehaltlich der Zustimmung des Bundestages. Die deutschen Soldaten werden logistische und medizinische Aufgaben übernehmen. Sie werden außerhalb des Kongos stationiert sein.

Zur Unterstützung der EU-geführten Operation ARTEMIS im Kongo hat die Bundesregierung am 13. Juni 2003 den Einsatz von Bundeswehrangehörigen beschlossen. Mit dem Einsatz will die Bundesregierung ihren Beitrag zur Stabilisierung der Republik Kongo leisten.

Der Einsatz der Bundeswehr innerhalb der EU-geführten Eingreiftruppe EUFOR ist bis zum 1. September 2003 begrenzt. Er kann unmittelbar nach dem Beschluss durch den Deutschen Bundestag erfolgen, der in der kommenden Woche erfolgen soll.

Der Auftrag der deutschen Soldaten

Die Operation ARTEMIS soll die Sicherheitslage im Kongo stabilisieren. Ihr Auftrag ist es, die humanitären Situation zu verbessern, den Flughafen und die Flüchtlingslager in Bunia zu sichern und für die Sicherheit der Zivilbevölkerung und der humanitären Hilfskräfte zu sorgen. Diesen Auftrag wird die EU-Operation in enger Abstimmung mit der Kongo-Mission MONUC (Mission d'Observation des Nations Unies au Congo) der Vereinten Nationen (UNO) erfüllen. Die UNO werden ihre MONUC-Kräfte bis Mitte August verstärken.

Deutschland wird sich an ARTEMIS mit maximal 350 Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten beteiligen. Sie werden - außer im Not- oder Evakuierungsfall - nicht in Krisengebiet von Bunia im Kongo eingesetzt werden, dem eigentlichen Einsatzgebiet von EUFOR.

Die deutschen Soldatinnen und Soldaten werden folgende spezielle Aufgaben übernehmen:
  • die Unterstützung des Betriebs der logistischen Basis der Operation, die sich außerhalb der Demokratischen Republik Kongo befinden wird (derzeit geplant ist dafür Entebbe in Uganda),
  • den Lufttransport zu dieser logistischen Basis,
  • den Einsatz des "fliegendes Hospital" (AIRMEDIVAC),
  • den Einsatz von Kräften für das multinationale Hauptquartier in Paris.
Die Grundlage des Einsatzes

Grundlage des Einsatzes ist die Resolution 1484 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 30. Mai 2003. Darin wird der Einsatz einer zeitlich befristeten multinationalen Eingreiftruppe (Interim Emergency Multinational Force - IEMF) festgelegt und die Mitgliedstaaten um Unterstützung gebeten.

Die Europäische Union hatte am 5. Juni die Bereitschaft zur Übernahme der Aktion erklärt. Am 12. Juni erfolgte die endgültige Zustimmung. Dieser Einsatz ist der erste, der ohne NATO-Mittel und NATO-Fähigkeiten von der Europäischen Union geführt wird. Neben der UN-Resolution ist der Artikel 24, Absatz 2, Grundgesetz (Regeln des Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit) Basis für den Einsatz der Bundeswehr.

Außer den EU-Mitgliedstaaten beteiligen sich auch Südafrika und Kanada an der Operation. Frankreich hat bereits erste Einheiten entsandt und die Führung der Operation übernommen.

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Presseerklärung

Kritik aus der Friedensbewegung am Kongo-Einsatz

Der Bundesausschuss Friedensratschlag begrüßt grundsätzlich das Engagement der Staatengemeinschaft in der Bürgerkriegsregion Kongo, kritisiert aber das Vorgehen der EU und der Bundesregierung.

Seit Monaten bemühen sich die in der ostkongolesischen Provinz Ituri stationierten UN-Kräfte MONUC (Mission der Vereinten Nationen in der Demokratischen Republik Kongo), die Lage in Bunia zu stabilisieren und den politischen Prozess in der Region zu unterstützen. Wie so oft bei Blauhelm-Operationen sind die UN-Kräfte unterbesetzt und können insbesondere bei andauernden Feindseligkeiten der Konfliktparteien kaum sich selber, geschweige denn die von den Kämpfen betroffene Zivilbevölkerung schützen. Aus diesem Grund war der UN-Generalsekretär seit langem bemüht, zusätzliche Mittel für MONUC zu erhalten.

Weder von der Bundesregierung noch von der EU wurden Angebote unterbreitet, die UN-Kräfte aufzustocken. Die EU setzte stattdessen auf die Entsendung einer eigenen Kampftruppe unter französischer Führung. Die UN-Resolution 1484 (2003) vom 30. Mai enthält denn auch die Genehmigung zur "Dislozierung einer interimistischen multinationalen Noteinsatztruppe in Bunia bis zum 1. September 2003". Sie soll "in enger Abstimmung mit der MONUC" zur "Verbesserung der humanitären Lage in Bunia" beitragen und den Schutz der Binnenflüchtlinge in den Lagern gewährleisten. Ganz klar wird in der Resolution auch festgestellt, dass diese Interimstruppe "streng auf vorübergehender Grundlage disloziert" wird, um dem Generalsekretär "zu gestatten, die Präsenz der MONUC in Bunia zu verstärken".

Die Bundesregierung, die nun die Entsendung von EU-Truppen mit einem eigenen Kontingent unterstützt, muss sich fragen lassen, warum sie erst jetzt und auf diese Art tätig wurde. In der Region Ituri sind seit Beginn der offenen Feindseligkeiten ca. 50.000 Menschen bei Kämpfen ums Leben gekommen, die meisten von ihnen Zivilpersonen. Und der Konflikt in Bunia/Ituri ist nur ein Teil des Gesamtkomplexes Bürgerkrieg Kongo, an dessen direkten und indirekten Folgen seit 1998 mehr als drei Millionen Menschen umgekommen sind.

Die EU muss sich fragen lassen, warum sie Frankreich mit der Führung der Mission betraut, obwohl Frankreich im Kongo und in den Nachbarländern stets eigene Interessen vertreten hat. Afrikaexperten haben stets darauf hingewiesen, dass französische Truppen - ähnliches gilt für belgische Verbände - im Kongo ausgesprochen unbeliebt sind. Die gestrigen bewaffneten Übergriffe gegen die gerade erst angekommenen französischen Soldaten in Bunia bestätigen diese Befürchtung.

Die EU muss sich auch fragen lasse, mit welcher Lageanalyse und mit welchem politischen Konzept sie in den Konflikt hinein geht. Nur bei einer oberflächlichen Betrachtung geht es um einen "ethnischen" Konflikt zwischen Hema und Lendu. Die derzeitigen Konfliktlinien gehen viel mehr um die Kontrolle oder den Besitz der in Ituri befindlichen oder vermuteten natürlichen Ressourcen. Es gibt sehr ertragreiche Goldminen und wahrscheinlich größere Ölvorkommen in der Region. Darauf richtet sich das Hauptinteresse der örtlichen Milizen, die ihre Auftraggeber und Finanziers in Uganda, Burundi und im Kongo selbst haben und hinter denen wiederum dubiose Geschäftsleute stehen. Es ist nicht sichtbar, dass die EU etwa parallel zu ihrer Militärintervention massiven Druck auf die Regierungen in Uganda, Ruanda und Kongo ausüben würde, damit das Friedensabkommen von Lusaka 1999 wirklich umgesetzt wird.

Der Friedensbewegung drängt sich der Verdacht auf, dass die EU-Mission im Kongo nicht in erster Linie der Befriedung der Region gilt, sondern zum Zwecke der Gewöhnung der Öffentlichkeit an europäische Militär- und Kriegseinsätze durchgeführt wird. Der Aufbau der 60.000 Soldaten umfassenden europäischen Eingreiftruppe soll mithilfe solcher "humanitärer" Interventionen legitimiert werden. Gleichzeitig soll offenbar der Nachweis erbracht werden, dass eine - von Frankreich, Belgien, Luxemburg und Belgien forcierte - künftige europäische Verteidigungsgemeinschaft "gebraucht" wird und auch ohne NATO einsatzfähig ist. Der Kongo-Einsatz ist also ein erster Probelauf für die EU-Armee.

Zu befürchten ist außerdem, dass die EU-Soldaten in Kämpfe verwickelt werden, in denen auf Seiten der Konfliktparteien Kindersoldaten eingesetzt werden.

Die Entscheidung des Bundeskabinetts, der EU-Truppe unter französischer Führung bis zu 350 Bundeswehrsoldaten zur Verfügung zu stellen, hält der Bundesausschuss Friedensratschlag aus den genannten Gründen für falsch. Unabhängig davon halten wir die Beschränkung des Bundeswehreinsatzes auf die Gewährleistung medizinischer (fliegendes Lazarett) und humanitärer Hilfe (Transportflugzeuge für Not- und Evakuierungsfälle) sowie die Stationierung der Einheit im Nachbarland Uganda für ein Zugeständnis an die kriegskritische Öffentlichkeit.

Der Bundesausschuss Friedensratschlag lehnt den Aufbau einer europäischen Eingreiftruppe auch weiterhin ab. Von der Bundesregierung und dem Bundestag verlangt die Friedensbewegung Antworten auf die Konflikte in der Welt, die jenseits militärischer Optionen politische, ökonomische und soziale, also: zivilpräventive Instrumente beinhalten. Blauhelmeinsätze sollten ausschließlich aufgrund eines UN-Mandats genehmigt werden und unter einem neutralen UN-Oberbefehl stehen. Letzteres ist beim EU-Einsatz im Kongo nicht gegeben. Auch aus diesem Grund lehnen wir diesen Einsatz ab.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)
Kassel, den 15. Juni 2003


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