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Kolumbien: "Der 'Antiterrorkampf' ist nichts anderes als ein Diskursmotiv"

Auszüge aus einer Diskussion in der Humboldt-Universität Berlin

Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus einer Podiumsdiskussion, die anlässlich der Konferenz "No al Plan Colombia" am 22. Juni 2002 in der Berliner Humboldt-Universität stattfand. Im Anschluss daran befindet sich noch die Abschlusserklärung der Konferenz (in Auszügen).


Auf Einladung von rund zwanzig sozialen und politischen Gruppen und Organisationen sprachen auf der Solidaritätskonferenz für Kolumbien dazu Luz Perly Córdoba von der »Vereinigung der Koka- und Mohnbauern« (COCCA), Olger Santodomingo, im spanischen Exil lebender Gewerkschafter (ehemals USO und CUT), Carlos Lozano als Direktor der Wochenzeitschrift Voz und Raul Zelik, Romanschriftsteller und Autor der Tageszeitung "junge Welt". Es moderierten Helma Chrenko, Arbeitskreis Lateinamerika in der PDS und Harald Neuber, Redakteur von junge Welt

Frage: Die Anschläge des 11. September 2001 in den USA und der daraufhin verkündete »Krieg gegen den Terror« werden von einigen politischen Kommentatoren als Zäsur in der neuen Weltordnung bewertet. Welche unmittelbaren Auswirkungen hat dieser Feldzug der USA in Kolumbien, und welche Perspektive sehen Sie?

Carlos Lozano: Die Auswirkungen sind offensichtlich und es wäre gefährlich, sie zu unterschätzen. Ein allgemeiner Trend ist die Stärkung der Rechten in Kolumbien wie auch weltweit. Der Wahlsieg des Rechten Alvaro Uribe Vélez in unserem Land basiert maßgeblich auf dieser Entwicklung. Im Klima nach dem 11.September war es einfacher möglich, die Friedensverhandlungen mit der Guerilla abzubrechen. Die von der Oberschicht kontrollierten Medien haben beim Fördern dieser Kriegsstimmung eine entscheidende Rolle gespielt. Der designierte Präsident Kolumbiens wurde, berücksichtigt man die enorme Wahlenthaltung, von nicht einmal der Hälfe der Kolumbianerinnen und Kolumbianer gewählt. Trotzdem dürfen wir nicht außer acht lassen, daß es den Rechten gelungen ist, einen nicht unbedeutenden Teil der Mittelschicht für ihre Kriegsziele zu mobilisieren. Das bedeutet, daß die progressiven Sektoren der Gesellschaft in die Defensive geraten. Der noch amtierende Andrés Pastrana hatte vor einiger Zeit mit einem »Gesetz zur Sicherheit und Nationalen Verteidigung« einen Vorstoß gewagt und ist damit vor dem Obersten Gerichtshof gescheitert. Der lehnte das Vorhaben angesichts der massiven Einschränkung von Zivilrechten und dem Machtzuwachs für den Sicherheitsapparat als nicht verfassungskonform ab. Mit Uribe droht nun, ein weitreichenderes Programm realisiert zu werden, das bessere Chancen hat, weil es an einen internationalen Trend anknüpft: den Antiterrorismus.

F: Sind bereits konkrete Auswirkungen zu spüren?

Carlos Lozano: Es sind in erster Linie Vorratsbeschlüsse. Meine eigene Zeitung ist unter diesen sich abzeichnenden Bedingungen aber von der Schließung bedroht, und das ganz legal. Der Grund ist einzig unsere Haltung zu den sozialen Kämpfen, was natürlich auch die Guerilla einschließt. All das ist jedoch nicht nur in Kolumbien zu beobachten, weltweit hat ein neues Kapitel begonnen. In Kolumbien zeigt sich das in besonderer Weise, weil die sozialen Auseinandersetzungen dort besonders hart sind. Wegen des starken Protestes konnten entgegen anderen lateinamerikanischen Ländern wichtige öffentliche Bereiche, etwa der Telekommunikations- oder Energiesektor, bislang nicht privatisiert werden. Das hofft man nun mit dem geplanten Antiterrorstatut ändern zu können.

Luz Perly Córdoba: Diese Verknüpfung zwischen sozialem Widerstand und sogenannten terroristischen Organisationen hat im Rahmen der weltweit aus dem Boden gestampften Antiterrorkampagne besonders auf dem Land Auswirkungen gehabt. Sofort hat eine wahre Hexenjagd begonnen, führende Funktionäre von Landarbeiterverbänden sind kaum noch sicher. Einer von ihnen ist Nelson Vargas, ein lokaler Aktivist aus der Region Arauca, der dort seit 25 Jahren bekannt ist. Von einem Tag auf den anderen wurde er unter dem Terrorismusvorwurf festgenommen. Es hat massive Proteste gegeben, und Dutzende Menschen bezeugten, daß Nelson nie etwas mit Terror zu tun hatte, sondern sich nur für die Belange der Kleinbauern einsetzt. Er kam trotzdem nicht frei, und im Gefängnis wurde er mißhandelt. Ihm wurde ins Bein geschossen, und wegen verweigerter medizinischer Behandlung mußte es ihm amputiert werden. Wer also, fragt man sich, ist hier der Terrorist?

Olger Santodomingo: In den Städten sieht das nicht anders aus. Jeder Gewerkschafter, der sich für die Belange der Arbeiter einsetzt, gerät in Terrorismusverdacht. Das nimmt so abstruse wie gefährliche Züge an, denn einmal mit der Guerilla in Verbindung gebracht, steht man in Kolumbien ganz oben auf der Todesliste der Paramilitärs. Wir haben es hier, vorsätzlich oder nicht, mit einer »gut« funktionierenden Arbeitsteilung zwischen den Medien und rechtsextremen Elementen zu tun. Auf der anderen Seite wird von den aktiven Kollegen auf einmal erwartet, daß sie sich gegen die Guerilla positionieren. Ich kann dazu nur sagen: Nie habe ich mich in den Jahrzehnten meiner politischen Arbeit gegen irgendeine soziale Kraft in Kolumbien ausgesprochen. Diese erzwungene Entsolidarisierung darf auf keinen Fall Fuß fassen.

F: Auch an Raul Zelik die Frage nach den Auswirkungen des »Antiterrorkampfes«. In Deutschland wird derzeit ein neuer Antiterrorparagraph 129 b diskutiert, der die Unterstützung ausländischer »Terrororganisationen« ahnden soll. Mit welchen Konsequenzen?

Raul Zelik: Die Erfahrung mit der kurdischen Bewegung hat gezeigt, daß der Staat jede Gruppe kriminalisieren kann. Wenn man als Journalist über Kolumbien schreibt, dann ist das bis auf die linke Presse ein äußerst schwieriges Unterfangen. Man gerät schnell unter Druck, eine gewisse Äquidistanz einnehmen zu müssen, also Guerilla wie Paramilitärs verdammen zu müssen. Wenn man die Situation im Land kennt, ist das natürlich nicht akzeptabel. Neutralität ist aber Blödsinn in einem Konflikt, in dem es darum geht, daß einige alles besitzen und fast alle nichts.

In bezug auf den Paragraphen 129b mache ich mir für die Solidarität Leistenden in Deutschland keine allzu großen Sorgen, ich würde einem solchen Prozeß wegen der Haltung zur kolumbianischen Aufstandsbewegung fast mit Freude entgegenschauen, weil die Situation so eindeutig ist und weil man dort viele Dinge klar auf den Tisch packen könnte. Verheerender ist das eher für die kolumbianischen Freunde, und das hat unmittelbar mit dem Zuwanderungsgesetz zu tun. Es werden sich dadurch neue Möglichkeiten ergeben, diejenigen abzuschieben, die zur Opposition gehören. Und das ist ungeheuer bedenklich.

Der sogenannte Antiterrorkampf ist nichts anderes, als ein Diskursmotiv, mit dem die Aufrüstung des Staates gerechtfertigt werden kann, genauso wie das eine zeitlang mit dem Drogenhandel geschehen ist. Hätte es die Anschläge vom 11. September nicht gegeben, würde man jetzt vielleicht von BSE- oder Nitrofenterror reden, um die gleichen Ziele durchzusetzen.

Bei einem Blick in die USA wird das Bild noch deutlicher. Dort sitzen unter George W. Bush mehrere Akteure in mittelbarer Regierungsverantwortung, die maßgeblich am US-Staatsterrorismus der 70er und 80er Jahre in Lateinamerika beteiligt waren, einer von ihnen ist Otto Reich, der »Beauftragte für die westliche Hemisphäre«. Das alles hat nichts mit dem Kampf gegen Terror zu tun, aber alles mit dem Durchsetzen von Machtinteressen.

F: Es gibt nun einige Wortmeldungen aus dem Publikum: Gloria Mansilla, Vizepräsidentin der lateinamerikanischen »Vereinigung der Angehörigen von Verschwundenen« und Gründerein der kolumbianischen Organisation für solidarische Hilfe.

Gloria Mansilla: Ich würde gerne auf drei wichtige Punkte hinweisen. Ich denke, daß, wenn wir über Solidarität mit Kolumbien sprechen, die Flüchtlingsarbeit ganz wichtig ist. In den hiesigen Medien werden Flüchtlinge vor allem als Bedrohung dargestellt. Ich halte es für bedeutsam, dazu eine Gegenstimmung zu entwickeln, denn die Konsequenzen dieser Propaganda sind schon unübersehbar: Emigranten werden von vielen Menschen in westlichen Industriestaaten als Bedrohung für ihren Wohlstand betrachtet. Die Medien schüren die Angst vor Konkurrenz am Arbeitsmarkt. Die Gräben, die sich hier auftun, sind sehr gefährlich.

Mein zweiter Punkt geht in dieselbe Richtung. In Lateinamerika sind verschiedene Menschenrechtsorganisationen damit befaßt, ihre Arbeit zu koordinieren. Auch das ist wichtig, um der Umdeutung von Menschenrechten entgegenzuwirken. Als drittes die Rolle der multinationalen Konzerne: Solange Unternehmen wie Coca-Cola, Exxon oder andere ungehindert Aktivisten in den eigenen Vertretungen verfolgen lassen und paramilitärische Verbände engagieren können, wird sich die Lage vor Ort weiter zuspitzen. Es ist unabdingbar, daß über diese Methoden in den Ursprungsländern aufgeklärt wird. All das führt natürlich zum Problem der Information, und deswegen ist es auch wichtig, alternative Informationsquellen weiter auszubauen.

F: Hans Eberhard Schultz, Rechtsanwalt und Vertreter von Kurden in Deutschland, bitte.

Hans-Eberhard Schultz: Ein Kommentar noch zum Paragraphen 129 b und der sogenannten Terrorliste der Europäischen Union. Es hat in der vergangenen Woche eine Tagung in Berlin zum Thema der Flüchtlingspolitik gegeben. Daran haben teilgenommen der Hohe Kommissar für Flüchtlingsfragen der Vereinten Nationen (UNHCR), Wissenschaftler des Max-Planck-Institutes, Menschenrechtsorganisationen und deutsche Regierungsvertreter. Bei dieser Tagung bestand Einigkeit darüber, daß künftig unter Berufung auf die indizierten Organisationen Asyl verweigert werden kann. Was bedeutet das? Selbst Menschen, die politisch aktiv waren, und nun der Gewaltspirale entkommen wollen, werden wieder in die Kriege und Konflikte zurückgeschickt. Bei dieser Tagung haben die Vertreter des Bundesamtes zum Schutz ausländischer Flüchtlinge abgewiegelt und auf den Abschiebeschutz hingewiesen. Es könne ja schließlich immer noch eine Duldung ausgesprochen werden. Das mag noch so sein, und dafür sollte man ebenso kämpfen wie für das Asylrecht. Allerdings gibt es auf internationaler Ebene auch andere Trends. In Kanada etwa darf nach geltendem Recht selbst dann abgeschoben werden, wenn die betroffene Person nachweislich gefoltert wurde, im Asylland allerdings der Zugehörigkeit zu einer dort als terroristisch geltenden Organisation bezichtigt wird. Das zeigt die neue Dimension auf. Sicherlich ist das auch schon in Europa in Einzelfällen geschehen, es blieb aber eben die Ausnahme. Die Verfolgung der Kurden in Europa zeigt uns, was in Zukunft geschehen kann. Der alte Terrorparagraph 129a hat für die Verfolgung aller politisch aktiven Kurden den Vorwand geliefert. Die gesamte Unabhängigkeitsbewegung wurde damit so weit geschwächt, daß es möglich wurde, Abdullah Öcalan in die Türkei zu verschleppen und die PKK so zu zerschlagen. Heute ist die Organisation quasi nicht mehr existent und stellt keine Gefahr mehr für den wichtigen NATO-Partner Türkei dar.

Ich halte es in Anbetracht dieser Erfahrungen für ungemein wichtig, Kampagnen gegen diese staatliche Repression in die Solidaritätsarbeit mit aufzunehmen. Das schließt den sogenannten Kampf gegen den Terrorismus ganz explizit mit ein, weil es ein neues Mittel ist, Staatsterrorismus zu legitimieren.


Gegen Desinformation.

Offener Brief der Berliner Solidaritätskonferenz für Kolumbien an Alvaro Uribe, designierter kolumbianischer Präsident


"Wir, die Teilnehmer der Solidaritätskonferenz mit Kolumbien in Berlin unterstützen die legitimen Forderungen der sozialen Organisationen Kolumbiens. Wir teilen die Forderung nach einer politischen Lösung des bewaffneten Konflikts in Ihrem Lande und nach deutlichen Maßnahmen zur Verbesserung der erschreckenden Menschenrechtssituation.

Wir werden Ihre Regierungspraxis mit der gebotenen Aufmerksamkeit verfolgen und den gewohnten gezielten Desinformationskampagnen kolumbianischer Regierungsvertreter in Europa eine wahrheitsgemäße Berichterstattung entgegenzusetzen wissen.

Wir verurteilen die massiven Verletzungen der Menschenrechte in Kolumbien – politische Morde, Massaker an ganzen Gemeinden, das Verschwindenlassen von Personen, Vertreibungen, Gewalttaten an der indigenen Bevölkerung, die Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen, die Verweigerung politischer, sozialer und gewerkschaftlicher Rechte. ... Die ungesühnt bleibenden Verbrechen an Zehntausenden Kolumbianern sind Ergebnis eines Ausrottungskrieges des Staates und der von ihm geförderten paramilitärischen Einheiten gegen jede demokratische Opposition im Lande ...

Wir verurteilen jeden Schritt zur weiteren Implementierung des verbrecherischen Plans Colombia, der die ganze Region militarisieren und destabilisieren soll und bereits heute die Kampfhandlungen und Gewalttaten eskalieren läßt. ... Unter dem Vorwand der Drogenbekämpfung, der heute bereits weitgehend fallengelassen und in »Antiterrorkampf« umgemünzt wird, bedeutet er die totale militärische Kontrolle des Landes durch die USA und steht im direkten Zusammenhang mit der Durchsetzung der Freihandelszone ALCA, die diesen den ungehinderten Zugriff auf die Wirtschaftspotentiale Lateinamerikas, so auch die Ölvorräte Kolumbiens, die Biovielfalt und den Wasserreichtum der Amazonasregion sichern soll. ...

Die Indizierung der bewaffneten Organisationen auf der Liste der terroristischen Organisationen der EU weist zugleich auf den Einfluß politischer Kreise in der EU hin, die an einer Verhandlungslösung nicht interessiert sind und den Konfrontationskurs vorziehen. Wohlwissend, daß dies auch von sozialen Organisationen in Kolumbien mit Sorge beobachtet wird, werden wir dagegen in unseren Ländern Aufklärungsarbeit leisten. ...

Berlin, denn 22. Juni 2002

Beide Dokumente sind veröffentlicht in der "jungen Welt", 24. Juni 2002


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