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Terrorangst: In Jemen entsteht neues Pakistan

Luftfracht-Bomben: Al-Qaida-Aussteiger soll Saudi-Geheimdienst über Attacke informiert haben

Von René Heilig *

Nach dem Fund von zwei Paketbomben aus Jemen in Frachtflugzeugen sind Sicherheitsbehörden in Alarmstimmung. Die Bomben waren an jüdische Zentren in Chicago (USA) adressiert. Wer und was hinter den Funden steckt, kann nur gemutmaßt werden. Sicher dagegen ist: Heute sind in den USA Kongresswahlen. Obamas Demokraten geht es nicht gut.

»Yes, we can« – auch der neuen terroristischen Bedrohung widerstehen. US-Präsident Barack Obama selbst stellte sich, nachdem Ende vergangener Woche Eilmeldungen über vermutete Luftfrachtbomben um die Welt gegangen waren, vor die Presse. In Deutschland, Großbritannien, den USA und Frankreich wurde der Luftfrachtverkehr aus Jemen gestoppt.

Direkte wie indirekte Flüge sowie Luftfracht aus Jemen werden seit gestern auf keinem deutschen Flughafen mehr angenommen. Kein Problem, das Aufkommen ist gering. Andere Möglichkeiten gibt es nicht, denn die Sprengsätze lassen sich – so die in den Transport involvierte Fluggesellschaft Qatar Airways – weder durch Röntgen noch durch Spürhunde entdecken. Die allgemein aufgelebte Debatte über mögliche Sicherheitslücken bei der Luftfracht geht ohnehin am Kern vorbei. Für die Sicherheit solcher Fracht sind in aller Regel die Ursprungsflughäfen zuständig.

Die am Freitag (29. Okt.) in Dubai sowie auf dem East-Midlands-Flughafen nahe Nottingham (England) entdeckten Paketbomben – letztere war in Köln-Bonn umgeladen worden – hätten nach Angaben des Anti-Terror-Beraters der US-Regierung John Brennan »zu einem von den Terroristen gewählten Zeitpunkt« detonieren können. »Sie hätten diese Flugzeuge zum Absturz bringen können«, sagte Brennan, der zugleich stellvertretender nationaler Sicherheitsberater ist. Die Absender hätten die Sprengsätze aber auch beim Adressaten zur Explosion bringen können. Die Bomben seien technisch sehr ausgeklügelt entworfen.

Ein ehemaliges Al-Qaida-Mitglied namens Jaber al-Faifi hat laut BBC den entscheidenden Hinweis auf die Attacke gegeben. Der Ex-Guantanamo-Häftling habe sich vor zwei Wochen den saudi-arabischen Behörden offenbart.

Bei der Fahndung nach den Hintermännern richteten die US-Dienste ihr Augenmerk inzwischen auf den saudischen Staatsbürger Ibrahim Hassan al-Asiri, der als eine der führenden Al-Qaida-Figuren auf der arabischen Halbinsel gilt. Al-Asiri soll sich in Jemen versteckt halten. Er wurde 1981 im Süden Saudi-Arabiens an der Grenze zu Jemen geboren und ist der Bruder von Abdullah Hassan Taleh al-Asiri. Der war im August 2009 bei einem Selbstmordattentat auf den für den Anti-Terror-Kampf des Landes zuständigen saudi-arabischen Prinzen Mohammed bin Nadschef getötet worden.

Laut einer CIA-Studie, die erst ein halbes Jahr alt ist, stellt die Terrorgruppe Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel »die größte Gefahr für die USA« dar und hat der »Mutterorganisation« von bin Laden in Pakistan den Rang abgelaufen. Offiziell gibt es von US-Seite kein militärisches Engagement in Jemen, im Februar wurden jedoch Trainingsleistungen auf 150 Millionen Dollar aufgestockt. Inoffiziell ist von US-Luftangriffen die Rede. Zwischen Dezember und Mai habe es in dem Land mindestens vier Drohnen-Einsätze gegeben. Ruchbar wurde das, weil dabei der Vize-Gouverneur der Provinz Marib umkam. Er verhandelte gerade mit Islamisten über ein Ende der Gewalt.

»Die USA haben in Jemen offenbar unrechtmäßige Tötungen durchgeführt oder waren an menschenrechtswidrigen Aktionen der jemenitischen Sicherheitskräfte beteiligt«, liest man in einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty international.

Anfang vergangener Woche hatte Jemens Staatspräsident Ali Abdullah Saleh angeblich hohen Besuch aus Washington. Obamas Terrorexperte Brennan war in die Hauptstadt Sanaa gekommen und übergab einen Brief seines Präsidenten mit weiteren Finanzzusagen zur Aufrüstung der lokalen Anti-Terror-Einheiten.

* Aus: Neues Deutschland, 2. November 2010


Zweierlei Pakete

Von René Heilig **

Sicherheitsbehörden mehrerer Staaten haben zwei Luftfracht-Bomben abgefangen. Danke! Doch dieses kleine Wort ist zu vielen nicht genug. Kaum war die Meldung im Umlauf, schon spreizten sich Armeen von beamteten und gewählten Besserwissern vor Kameras und Mikrofonen. Von Wissen zumeist ungetrübt plapperten sie – leider nur selten ungefragt – über Schlussfolgerungen, die unbedingt – und zumeist vom politischen Konkurrenten oder jenseits unserer Grenzen – zu ziehen seien. Aktionistisches Alarmgeschrei macht alles nur noch schlimmer und arbeitet jenen in die Hände, deren Ziele Quoten oder Vorratsdatenspeicherung heißen.

Was wissen wir wirklich? Weder kennen wir den Bombenbastler noch seine Absichten. Die medial gehandelten Informationen sind bruchstückhaft, widersprüchlich und oft einfach nur falsch. Eines ist aber gewiss: Wenn es stimmt, dass wir uns in einem globalen Krieg gegen den Terrorismus befinden – was der Gegner mit umgekehrter Zielansprache übrigens nicht anders sieht –, dann sind Angriffe per Paketbombe ebenso logisch wie Drohnen-Attacken. Die Frage lautet also: Wie kann man diesen Krieg entschärfen? Da mögen im Kanzleramt, in Ministerien und Diensten noch so viele Experten immer neue Anti-Terror-Pakete schnüren – wichtiger ist es, sich in und um Afghanistan endlich auf ein minimales Miteinander am Verhandlungstisch zu verständigen. Das hätte, so ist zu hoffen, eine Signalwirkung wider Hardliner auf beiden Seiten.

** Aus: Neues Deutschland, 2. November 2010 (Kommentar)


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