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Nach dem Regierungswechsel in Tokio – japanische Außen- und Sicherheitspolitik vor einer Wende?

Von Peter Kujath. Ein Beitrag aus der NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien" *

Moderatorin Dr. Ulrike Bosse
Japan beendet seine militärische Unterstützung der NATO in Afghanistan. Ja-pan hatte zwar keine Truppen vor Ort, aber zwei Kriegsschiffe zur Treibstoff-versorgung der NATO-Truppen im Indischen Ozean, die nun abgezogen wer-den. Es ist nicht der Unwille, im Rahmen der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan zu helfen, der die neue japanische Regierung zu diesem Schritt bewogen hat, sondern ein dezidiert nicht-militärischer Ansatz ihrer Außen- und Sicherheitspolitik. Was sich ändern könnte in Japan in diesem Bereich, dazu Peter Kujath aus Tokio:

Manuskript Peter Kujath

Am 30. August 2009 hat die Demokratische Partei Japans die über 50 Jahre fast ununterbrochen regierenden Liberaldemokraten an der Spitze der Macht abgelöst. Allerdings ist die Demokratische Partei, kurz DPJ, keine homogene Gruppe, so Professor Wilhelm Vosse von der Internationalen Christlichen Uni-versität in Tokio, der sich besonders mit außen- und sicherheitspolitischen Fra-gen beschäftigt:

O-Ton Vosse
„Die DPJ ist eine Partei, die aus Politikern besteht, die aus einer ganzen Reihe von anderen Parteien kommen. Und das politische Spektrum ist sehr, sehr breit. Obwohl die DPJ in einem Erdrutschsieg mehr als 300 Mandate gewon-nen hat, ist sie trotzdem in einer Koalition mit zwei kleineren Parteien, unter anderem den Sozialdemokraten. Die Sozialdemokraten stehen für ein sehr pa-zifistisches Weltbild und werden alle weiteren Einsätze, auch alle UN-Einsätze, zumindest sehr kritisch betrachten.“

Damit ist eines der Spannungsfelder im Bereich der Außen- und Verteidi-gungspolitik für die neue japanische Regierung umrissen. Ende Januar läuft ein Gesetz aus, das es den Marine-Einheiten der japanischen Selbstverteidigungs-streitkräfte erlaubt, im Indischen Ozean andere Kriegsschiffe zu betanken. Das geschieht im Rahmen des US-geführten Einsatzes gegen den internationalen Terrorismus. Dieses japanische Engagement ist von den westlichen Bündnis-partnern, allen voran den USA, als sehr wichtig bezeichnet worden. Doch der neue Verteidigungsminister Toshimi Kitazawa hat bereits das Ende der Mission angekündigt:

O-Ton Kitazawa (overvoiced)
„Die Regierung wird das Gesetz nicht verlängern, wenn es im Januar nächsten Jahres ausläuft. Das ist unser Plan, wie die Betankungsaktion im Indischen Ozean beendet werden wird.“

Um die Verbündeten nicht vor den Kopf zu stoßen, will Japan über andere Maßnahmen nachdenken. Dabei ist von finanzieller Unterstützung die Rede oder vom Einsatz japanischer Polizeikräfte:

O-Ton Kitazawa (overvoiced)
„Wir denken nicht, dass es Japan hilft, internationale Anerkennung zu bekom-men, wenn wir unsere Soldaten dorthin schicken. Wir überprüfen derzeit ande-re Möglichkeiten, zum Beispiel indem wir finanzielle Unterstützung für Hilfsor-ganisationen bereitstellen oder indem wir Polizei-Einheiten entsenden, die für Sicherheit sorgen können. Wir suchen nach einem neuen Ansatz.“

Ursprünglich wollten die Sozialdemokraten sogar einen sofortigen Rückzug durchsetzen, aber Japans neuer Premierminister betonte, dass in der Diploma-tie nicht alles so schnell gehen würde. Als langfristiges Ziel will Yukio Hatoyama eine ostasiatische Gemeinschaft gründen, die das Vertrauen gerade mit den Nachbarn festigt:

O-Ton Hatoyama (overvoiced)
„Ich habe vorgeschlagen, dass wir eine Beziehung schaffen sollten, die auf dem Geist der Brüderlichkeit aufbaut. China und Japan müssen das gegensei-tige Vertrauen fördern, aber gleichzeitig die Unterschiede des anderen respek-tieren. Ich hoffe, dass sich eine ostasiatische Gemeinschaft rund um stabile bilaterale Beziehungen entwickelt.“

Einschränkend muss allerdings angemerkt werden, dass auch schon der frühe-re Premierminister, Yasuo Fukuda, der Idee einer ostasiatischen Gemeinschaft nachhing. Sein Nachfolger Taro Aso sprach von einer Gürtel-Region, die von Japan über die mittelasiatischen Länder bis nach Europa reichen sollte. Ange-sichts der unterschiedlichen politischen Systeme in Asien ist derzeit jedoch kaum mehr als ein loser Verbund denkbar, betont Professor Wilhelm Vosse:

O-Ton Vosse
„Japan setzt dort eindeutig auf Wirtschaft, nicht auf militärische Zusammenar-beit. Aber Japan fährt interessanterweise zweigleisig. Zum einen hinterfragen sie nicht die einseitige Bindung an die USA und wollen diese zunächst einmal fortsetzen. Zum anderen will Japan aber mit Korea und China den Grundstein für eine Art Union oder Gemeinschaft legen, die zunächst einmal auf wirtschaftlichen Interessen beruht.“

Nach den ersten Gesprächen in den USA Ende September unterstrich der ja-panische Außenminister Katsuya Okada die Bedeutung des japanisch-amerikanischen Verhältnisses:

O-Ton Okada (overvoiced)
„Ich hoffe, ich kann dazu beitragen, die Beziehungen zwischen Japan und den USA tiefgehend und dauerhaft für die nächsten 30 oder 50 Jahre zu machen.“

Doch auch der Begriff der „Beziehung auf Augenhöhe“ wird im neuen Hatoya-ma-Kabinett verwendet:

O-Ton Kitazawa (overvoiced)
„Es geht um eine Art der Beziehung, in der beide Seiten ihre Meinungen deut-lich und ehrlich zum Ausdruck bringen können. In anderen Worten geht es um die Möglichkeit der offenen Diskussion. Wenn ich das sage, habe ich aber im-mer im Hinterkopf, dass die US-japanische Beziehung so viel Positives zur Entwicklung hier in den letzten 60 Jahren beigetragen hat.“

Der japanische Verteidigungsminister Kitazawa hat all die schweren Probleme im Umgang mit den Vereinigten Staaten auf seinem Schreibtisch. Auf der einen Seite soll das Sicherheitsbündnis mit den USA nicht angetastet werden. Gleichzeitig will sich Japan beim internationalen Engagement der Selbstvertei-digungsstreitkräfte aber wieder stärker zurückhalten. Und dann kommt noch das Problem mit den US-amerikanischen Stützpunkten auf Okinawa, den südlichen Inseln Japans, dazu:

O-Ton Kitazawa (overvoiced)
„Dieser Punkt ist für mich der dringendste. Ich möchte zuerst etwas darüber erfahren, was die Menschen auf Okinawa über die Angelegenheit denken. Ich werde deshalb die Präfektur so schnell wie möglich besuchen. Mir ist bewusst, dass die Regierungen der USA und Japans bereits einem Plan zur Umsiede-lung zugestimmt haben. Ich werde diesen Plan intensiv prüfen und dann ent-scheiden, wie es weitergehen kann. Ich will das Opfer würdigen, das die Men-schen auf Okinawa über all die Jahre erbracht haben. Ich werde deshalb nach Okinawa fliegen und ihnen zuhören.“

Erklärte Japans Verteidigungsminister kurz nach seinem Amtsantritt. Für die USA ist Japan der sicherheitspolitische Eckpfeiler in Asien wie die amerikani-sche Außenministerin Hillary Clinton jüngst wieder betonte. Rund 36 Tausend Angehörige der US-Streitkräfte sind in Japan stationiert. Darüber hinaus er-möglichen die Stützpunkte der US-Flotte einen größeren Handlungsradius in Ostasien. Ein Großteil ihrer Finanzierung liegt übrigens bei Japan. Bei all den Problemen mit der US-Regierung kann Japan im Zweifelsfall auf seine Verfas-sung verweisen. Denn dort steht unter Artikel 9:

„In aufrichtigem Streben nach einem auf Gerechtigkeit und Ordnung gegründe-ten internationalen Frieden verzichtet das japanische Volk für alle Zeiten auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation und auf die Androhung oder Ausübung von Gewalt als Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten.“

O-Ton Vosse
„Japans Armee ist inzwischen eine sehr moderne Armee. Vor allem die See-Verteidigungstruppen wurden in den letzten Jahren modernisiert. Aber es ist natürlich keine moderne Armee im Vergleich zu den USA oder Frankreich oder Großbritannien. Es ist keine Armee, die in der Lage wäre, in relativ kurzer Zeit Truppen von einem Ort zum anderen zu transportieren.“

So Wilhelm Vosse. Der Widerspruch zwischen dem Artikel 9 und der Existenz der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte erklärt sich dadurch, dass Ja-pan zwar auf das Recht verzichtet hat, Krieg zu führen, nicht aber auf das Recht, sich selbst zu verteidigen. Das sahen die über Jahrzehnte regierenden Liberaldemokraten so, und auch der neue Verteidigungsminister, Toshimi Kita-zawa, hält an dieser Interpretation fest:

O-Ton Kitazawa (overvoiced)
„Die japanische Regierung war lange Zeit der Ansicht, dass Japan ein Recht auf kollektive Selbstverteidigung hat. Aber man hat bisher den Weg gewählt, davon keinen Gebrauch zu machen. Und ich respektiere diese Sichtweise. Die japanische Verfassung beschränkt den Einsatz von Gewalt auf den einen Grund, die eigene Nation zu verteidigen. Japan sollte diesen ausschließlich defensiven Ansatz nicht aufgeben.“

Auch zu den drei Anti-Atom-Prinzipien hat sich die neue Regierung wie alle früheren bekannt. Diese besagen, dass Japan keine Atomwaffen herstellen, besitzen oder die Stationierung auf japanischem Boden dulden wird. Den ato-maren Schutzschirm der Vereinigten Staaten, der mit der Bündnisverpflichtung im US-japanischen Sicherheitsvertrag festgeschrieben ist, akzeptiert Japan hingegen. Auf die Frage, ob sie ihr Land im Ernstfall verteidigen würden, ant-worten nur 15 Prozent der japanischen Bevölkerung mit „ja“ , 75 Prozent sehen den japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrag als nützlich an. Im nächsten Jahr muss der Pakt wie alle zehn Jahre üblich verlängert werden und daran wird auch die neue japanischen Regierung nicht vorbeikommen.

* Quelle: NDR, Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, gesendet am 17.10.2009

Im Internet: www.ndrinfo.de



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