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Doppelter Tabubruch in Japans Parlament - Forcierter Nationalismus und Militarisierung

Mit der Verabschiedung eines Gesetzespakets hat Japans Parlament gleich zwei Tabus gebrochen

Von Sebastian Maslow, Sendai *

Die Annahme zweier Gesetze, die Japans Verteidigungsagentur zu einem Verteidigungsministerium aufwerten und den Patriotismus in die Schulen zurückbringen sollen, ist ein Sieg für Premier Shinzo Abe. Das neue Erziehungsgesetz soll die Schulen dazu anhalten, die Schüler zu lehren, »Tradition und Kultur zu respektieren und ihre Nation und Heimat zu lieben«. Im alten Erziehungssystem sehen die Konservative um Abe die Ursachen für einen von ihnen ausgemachten Werteverfall, der einhergeht mit steigender Jugendkriminalität und einer Zerrüttung der Gemeinschaft.

Abe gab sich vor dem Oberhaus zuversichtlich, dass die Reform einen grundlegenden Wandel in Japan herbeiführen werde. »Basierend auf dem Geist dieses neuen Gesetzes«, verhieß er, »werden wir die Erziehung Japans erneuern, um eine bewundernswerte Nation zu schaffen.«

Japans »Grundgesetz zur Erziehung« wurde 1947 von den USA-Besatzungsbehörden formuliert, um Nationalismus in den Klassenräumen zu verhindern. Die Gesetzesvorlage stieß daher auch auf Widerstand in Teilen der Bevölkerung. Bereits während der Amtszeit von Abes Vorgänger Koizumi versuchte die Regierung deshalb, die Öffentlichkeit für eine Revision des Erziehungsgesetzes zu gewinnen – zum Teil mit illegitimen Methoden, wie jetzt bekannt wurde.

Bei sogenannten Gemeindeversammlungen, in denen über die Reform des Erziehungssystems oder die Revision der Verfassung diskutiert wurde, bezahlte die Regierung Bürger dafür, Fragen zu stellen und Kommentare abzugeben, die die Gesetzesvorhaben unterstützten. Für die Organisation dieser Versammlungen war der damalige Kabinettssekretär unter Koizumi, Shinzo Abe, zuständig. Dieser Skandal sollte ein Misstrauensvotum nach sich ziehen, das Abe am Freitag jedoch überstand, da seine Regierungspartei, die konservative Liberaldemokratische Partei (LDP), und ihr Koalitionspartner, die Neue Komeito, über eine erdrückende Mehrheit im Parlament verfügen.

Die Opposition lehnt das neue Erziehungsgesetz geschlossen ab. Kritiker befürchten nicht nur, dass sich Japan von seinen pazifistischen Nachkriegswerten entfernt und ein neuer Nationalismus Aufwind erhält, sondern auch, dass Schüler künftig gemäß ihrer patriotischen Haltung im Unterricht benotet werden könnten. Bereits jetzt gehen lokale Behörden streng gegen Lehrer und Schüler vor, die das Absingen der Nationalhymne bei Schulzeremonien verweigern.

Die Aufwertung der Verteidigungsagentur hingegen traf seitens der größten Oppositionspartei, der Demokratischen Partei Japans (DPJ), auf wenig Widerstand. War es doch deren jetziger Chef Ichiro Ozawa, der bereits während seiner Zeit als Parteigrande in den Reihen des jetzigen Gegners, der LDP, für eine solche Reform warb. Künftig wird sich der Direktor der Verteidigungsagentur, Fumio Kyuma, Verteidigungsminister nennen dürfen. Ferner erlaubt der neue Status dem nunmehrigen Ministerium, eigene Haushaltsvorschläge ins Parlament einzubringen – ein Tabubruch mit Folgen. Bereits jetzt hat Japan, trotz seiner pazifistischen Verfassung, die den Unterhalt von Streitkräften verbietet, mit 41,6 Milliarden US-Dollar eines der größten Verteidigungsbudgets der Welt und eine der modernsten Armeen dazu.

Angesichts der Raketen- und Nukleartests der KDVR schließen Beobachter eine weitere Aufstockung des Etats nicht aus. Ein Schritt, der von Kritikern der japanischen Außen- und Sicherheitspolitik, insbesondere China und Südkorea, als neuer japanischer Militarismus gedeutet werden könnte.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Dezember 2006


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