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Mogelpackung durchschaut

Mehrwertsteuererhöhung beschert Japans Demokraten Wahlschlappe

Von Josef Oberländer *

Japans Wähler merken immer schneller, wenn sie von den Herrschenden betrogen werden. Wieder einmal war das, was ihnen als große politische Erneuerung verkauft wurde, nur eine Mogelpackung. Prompt haben die regierenden Demokraten ihre Mehrheit in der zweiten Kammer des Parlaments verloren. Die Oberhauswahlen - sonst eher ein Schaulaufen von Filmsternchen, Sportlern und anderer B-Prominenter, die von den großen Parteien als Stimmenfänger aufgestellt werden - wurden zur Abstimmung über die von Ministerpräsident Naoto Kan geplante Mehrwertsteuererhöhung. Immerhin droht die Verdoppelung auf zehn Prozent. Für besondere Empörung sorgte, daß gleichzeitig Unternehmen Steürvergünstigungen gewährt werden sollen - eine klassische Politik der Umverteilung von unten nach oben. Kan kann jetzt nicht mehr einfach durchregieren, er ist für vieles auf die Unterstützung weiterer Parteien im Oberhaus angewiesen.

Ist die Mehrwertsteuer niedrig, kommt das vor allem ärmeren Bevölkerungsschichten zugute, die einen Großteil ihres Einkommens für Güter des täglichen Bedarfs ausgeben - nicht nur in Japan. Wird sie angehoben, kann Geld von Haushalten abgeschöpft werden, die sonst keine oder nur wenig Steuern zahlen, etwa von Rentnern und Arbeitslosen. Die japanischen Unternehmen haben bereits interne Reserven von 229 Billionen Yen (rund 2,1 Billionen Euro) gebildet und brauchen keine zusätzlichen Steuervorteile, um wohlbehalten durch die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise zu kommen. Ihnen würde lediglich die Möglichkeit gegeben, noch mehr Geld zu horten.

Als die Mehrwertsteuer 1997 auf fünf Prozent erhöht wurde, bedeutete das eine Mehrbelastung von fünf Billionen Yen für die Verbraucher. Außerdem mußten sie noch rund vier Billionen Yen mehr für ihre Gesundheitsversorgung aufbringen. Trotz steigender Haushaltseinkommen leitete die Steuererhöhung damals eine schwere Rezession ein. Wird die Mehrwertsteuer heute auf zehn Prozent erhöht, müssen die privaten Haushalte eine zusätzliche Last von elf Billionen Yen stemmen - und das bei aktuell sinkenden Haushaltseinkommen.

Japans Linke hat es nicht geschafft, von der öffentlichen Empörung zu profitieren. Den Kommunisten (JCP) gelang es nicht, einen in Tokio verlorenen Oberhaussitz zurückzugewinnen. Sie mußten ein weiteres Mandat abgeben. Auch die Sozialdemokraten (SDP) gingen geschwächt aus den Wahlen hervor. Die SDP hatte ihre Koalition mit den Demokraten platzen lassen, nachdem Kans Vorgänger Yukio Hatoyama keine Lösung im Streit um den US-Stützpunkt Futenma auf Okinawa vorlegen konnte. Die SDP behielt ihren Fraktionsstatus im Oberhaus nur, weil sich die Abgeordnete Kyoko Nakayama noch vor der Wahl der Partei angeschlossen hatte. Der große Gewinner war dagegen ein weiterer großer Erneuerer: Der aus einer konservativen Politikerdynastie stammende Yoshimi Watanabe sackte mit seiner »Partei für alle« (Minna no Tou) mit ein paar wolkigen Reformversprechungen zehn Sitze ein. Bis zur nächsten Wahl wissen es die Wähler wohl auch in diesem Fall besser.

* Aus: junge Welt, 14. Juli 2010


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